)
Die Massenhysterie um ein simples Unkrautvertilgungsmittel hat wenig mit Chemie zu tun, aber viel mit unserer kollektiven Befindlichkeit.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Man sollte meinen, dass die Zulassung oder Nichtzulassung einer bestimmten Chemikalie durch die EU eine jener Fragen ist, die für halbwegs vernünftige Zeitgenossen von überschaubarer Bedeutung ist. In Zeiten nordkoreanischer Atombomben, des drohenden nächsten Nahostkrieges, einer historischen Migrationskrise und anderer Unbilden; in Zeiten Trumps, Putins oder Erdogans sollten wir doch eigentlich ganz andere Sorgen haben als ein Mittel namens "Glyphosat", das bloß Unkraut von Feldern fernhält.
Dass um die dieser Tage mit knapper Mehrheit in der EU erfolgte befristete Zulassung dieses Mittels trotzdem nicht nur eine gewaltige, höchst emotional ausgetragene öffentliche Debatte in Deutschland und teilweise auch in Österreich entstand, sondern sogar ein ernsthafter Streit zwischen den beiden deutschen Regierungsparteien CDU und SPD ausgebrochen ist, sagt mehr über die Verfasstheit der jeweiligen Gesellschaften aus als über die vermeintliche Gefährlichkeit der gegenständlichen Substanz.
Die hochseriöse und gerade in wissenschaftlichen Causen angesehene Faktenchecker-Plattform "mimikama.at" hat den aktuellen Wissenstand um das Mittel jüngst so zusammengefasst: "Kaum ein Pflanzenschutzmittel ist so lange so gründlich erforscht wie Glyphosat, es gibt zahlreiche Studien... (Die Welternährungsorganisation) FAO und (die Weltgesundheitsorganisation) WHO kommen wie andere staatliche und internationale Organisationen bei der Bewertung der derzeitigen Studienlage zu dem klaren Ergebnis, dass von Glyphosatrückständen auf Lebensmitteln keine Gefahr für den Menschen ausgeht. Auch für die Landwirte, die erheblich höheren Dosen ausgesetzt sind, besteht bei sachgemäßer Anwendung kein höheres Risiko, es gibt keine signifikante Steigerung von Krebsfällen durch Glyphosatanwendung. Das hat nichts mit Meinungsmache durch Agrarkonzerne zu tun, das ist einfach wissenschaftlicher Konsens."
Warum gehen dann aber trotz der Faktenlage die Emotionen so hoch, und warum gerade in Deutschland oder Österreich, kaum jedoch in Frankreich oder gar den USA - und was sagt uns das eigentlich darüber, wer und was wir sind? Vermutlich kocht hier wieder einmal jene Technologie- und Fortschrittskepsis hoch, die gerade für die Menschen des deutschen Sprachraumes so typisch ist. Und die dazu führt, dass in den 1970er Jahren das prophezeite apokalyptische Ende der Erdölvorräte im Jahr 2000 für Albträume sorgt, vermeintliches "Waldsterben" in den 1980er Jahren eine Welle kollektiver Angstlust hervorrief, in den 1990er Jahren und danach die Klimarettung zur religiösen Pflicht wird und im
beginnenden 21.Jahrhundert sichere deutsche Kernkraftwerke abgeschaltet werden, nur weil am anderen Ende der Welt ein Tsunami ein AKW havariert hat.
Man sieht, dass wir es hier weniger mit einem rationalen, faktenbasierten Verhalten zu tun haben, sondern mehr mit einer Politik der Gefühle, die irrationale Grundstimmungen in der Bevölkerung bedient, die nicht weiß, ob sie sich mehr vor "dem Gen" oder "dem Atom" fürchten soll, anstatt Risiken und Nutzen bestimmter Technologien, Produkte und Methoden gegeneinander abzuwägen. Wenn sich, wie im Falle "Glyphosat", noch der Schreckensbegriffe "Krebs" untermengt und das Produkt vom "Monsanto"-Konzern stammt, ist die Vernunft hoffnungslos in der Defensive.
(Alle Fakten dazu ausführlich unter https://www.mimikama.at/volksverpetzer/glyphosat-verboten/)