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Der Griechen dunkles Geheimnis

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Warum leistet sich Athen nach wie vor hunderttausende Beamte zu viel, wenn der Staat gleichzeitig kein Geld mehr für Medikamente hat?


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In Griechenland, so berichteten internationale Medien jüngst übereinstimmend, sei die Kindersterblichkeit seit 2010 um 40 Prozent angestiegen. Man kann das, sollte die Zahl korrekt sein, nicht anders nennen als obszön. Dass in einem Mitgliedsland der EU Kinder sterben, weil die medizinische Versorgung nicht mehr klappt, ist durch nichts zu entschuldigen.

Der Hauptschuldige für diesen Skandal war schnell gefunden, und es war erwartungsgemäß kein Unbekannter. "Sparprogramme kosten Menschenleben", diagnostizierte etwa die "Süd-
deutsche Zeitung" unter der eingängigen Schlagzeile "Tödliches Sparen".

Faktum ist, dass Griechenland die Ausgaben für sein Gesundheitssystem angesichts der drohenden Insolvenz signifikant reduziert hat und dadurch die medizinische Versorgung leidet. Und Faktum ist auch, dass die Rettungsmilliarden der solideren EU-Mitglieder von der Athener Regierung hauptsächlich an die Gläubiger weitergereicht worden ist, weil eben der Staatsbankrott abgewendet werden sollte. Auch der hätte ja für die Bevölkerung üble Folgen gehabt.

Faktum ist aber auch, dass dem skandalösen Anstieg der Kindersterblichkeit eine ganz andere Rechnung gegenübersteht. Griechenland beschäftigt in den vergangenen Jahren im Schnitt rund 750.000 Beamte zur Verwaltung eines Landes von überschaubaren 11 Millionen Einwohnern. Deutschland, zum Vergleich, hält sich zwei Millionen Beamte, die 80 Millionen Einwohner zu administrieren haben, in Österreich ist die Relation übrigens vergleichbar. Daraus ergibt sich mathematisch leicht nachvollziehbar, dass Griechenland, orientierte es sich bei der Zahl der Beamten pro Kopf an Deutschland, locker mit 250.000 bis 300.000 Beamten das Auslangen finden könnte. Und das wiederum bedeutet, dass Griechenland derzeit um fast eine halbe Million öffentlich Bedienstete zu viel beschäftigt - und bezahlt.

Dazu aber werden die Regierung und das Parlament weder von der bösen Troika noch der strengen Zuchtmeisterin Angela "Austerity" Merkel gezwungen - diesen unfassbaren Überhang an Beamten nicht abzubauen, ist eine freie Entscheidung der Griechen. Dass Athen nun angekündigt hat, (angeblich) 15.000 Beamte loswerden zu wollen, klingt in diesem Kontext deshalb fast schon zynisch.

Eine halbe Million Beamte zu bezahlen, die zur Verwaltung des Landes nicht notwendig sind, ist nicht eben billig. Selbst wenn man die Kosten pro Beamten vorsichtig mit 2000 Euro pro Monat kalkuliert, ergeben sich daraus weit mehr als 10 Milliarden Euro an Staatsausgaben. Und zwar jedes Jahr. Für ein Land, das pleite ist, nicht eben wenig Geld.

Selbst mit einem Bruchteil dieser Summe aber wäre es ohne Weiteres möglich, das Gesundheitssystem des Landes wenigstens so weit zu reparieren, dass die Kindersterblichkeit wieder auf jenes Niveau abgesenkt werden kann, das einem zivilisierten europäischen Staat im 21. Jahrhundert angemessen ist.

Warum die Griechen sich nicht für diesen irgendwie naheliegenden Weg entscheiden, bleibt das dunkle Geheimnis der Griechen. Vielleicht kosten nicht Sparprogramme Menschenleben, sondern die bornierte Weigerung des Landes, seine Verwaltung auf das sonst in Europa übliche Maß zurückzuführen.

ortner@wienerzeitung.at