Polens Regierungspartei setzt eine neue Gerichtspräsidentin durch - die EU-Kommission gewährt Warschau eine weitere Frist.
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Brüssel/Warschau. Eine unabhängige Justiz. Das würde das polnische Volk verdienen, sagt die EU-Kommission. Aber gerade das werde in Polen untergraben, befindet die Opposition dort. Die Regierung in Warschau weist diese Vorwürfe zurück. Und der Staatspräsident ernennt im Eiltempo eine neue Gerichtspräsidentin.
Der Streit um den Verfassungsgerichtshof in Warschau geht in die nächste Runde. Seit einem Jahr schwelt er; die EU-Kommission hat ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet. In ihrer letzten Sitzung vor Weihnachten berieten die Kommissare erneut über die Situation. Einmal mehr gewährten sie danach Warschau mehr Zeit: Die Regierung soll nun innerhalb von zwei Monaten auf die Empfehlungen reagieren, die aus Brüssel geschickt werden.
Das EU-Verfahren sieht in einem letzten Schritt Sanktionen wie den Entzug von Stimmrechten bei EU-Ministersitzungen vor. Das würde zum ersten Mal ein Land treffen, und noch schreckt die Kommission davor zurück. Zum einen gebe es noch Spielraum für Gespräche, erklärte Vizepräsident Frans Timmermans. Zum anderen müssten die anderen EU-Institutionen, das EU-Parlament und vor allem das Gremium der Mitgliedstaaten, in die Verschärfung der Maßnahmen eingebunden werden. Dass alle diese billigen würden, ist jedoch unwahrscheinlich.
Brüssel sucht den Dialog
Timmermans setzt also noch auf Dialog. "Ich glaube, dass es möglich ist, gemeinsam eine Lösung zu finden", stellte er fest. Dass die Kommission daran beteiligt sein will, sieht er nicht zuletzt als Zeichen der Solidarität mit den Polen, "die eine unabhängige Justiz verdienen".
Viel Grund zu Optimismus hat Timmermans jedoch nicht. In den vergangenen Monaten hat die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jaroslaw Kaczynski die Mahnungen der Kommission als irrelevant eingestuft. So bleiben die Kritikpunkte, die Brüssel aufzählt, bestehen. Dazu gehören die Nicht-Veröffentlichung von Urteilen des Verfassungsgerichts, umstrittene Besetzungen von Richterposten sowie Gesetzesänderungen, die die Arbeit des Gerichts zu lähmen drohen. All die Themen finden sich in den jüngsten Empfehlungen der Kommission. Die Behörde rief auch dazu auf, mit der Ernennung eines neuen Gerichtspräsidenten zu warten.
Dafür war es aber schon zu spät. Nur wenige Stunden vor Timmermans’ Presseauftritt in Brüssel berief Staatspräsident Andrzej Duda in Warschau Julia Przylebska zur neuen Vorsitzenden des Verfassungstribunals. Die Frau des polnischen Botschafters in Berlin, Andrzej Przylebski, wurde vor einem Jahr von PiS in den Gerichtshof entsandt und übernimmt nun die Führung des Organs von Andrzej Rzeplinski, dessen Amtszeit ausgelaufen ist. Dass sie ähnlich wie Rzeplinski der Regierung Paroli bietet und die Unabhängigkeit der Behörde verteidigt, nehmen etliche Kommentatoren aber nicht an.
Spannungen verschärfen sich
Duda, selbst aus den PiS-Reihen kommend, hat nur kurz davor entsprechende Gesetze zu den Personaländerungen im Gericht unterzeichnet. Er zähle nun darauf, dass Przylebska dem Tribunal wieder die "ihm zustehende Position" sichere, erklärte Duda laut der Presseagentur PAP.
Das Kabinett von Premierministerin Beata Szydlo sieht das Problem nun gelöst. Es gebe keinen Anlass mehr für die EU-Kommission, die Vorgänge in Warschau weiter zu prüfen, befand ein Regierungssprecher.
Dass damit die Konflikte ein Ende haben, ist aber keineswegs absehbar. In der polnischen Opposition und Teilen der Zivilgesellschaft sorgt nämlich nicht nur der Zwist rund um den Verfassungsgerichtshof für Empörung. Heftig umstritten sind auch weitere Initiativen der Regierungsfraktion im Bereich der Medien, der Bildung oder bei staatsnahen Unternehmen. Pläne zur Verschärfung der Abtreibungsgesetze hat PiS erst zurückgezogen, nachdem zehntausende Frauen auf der Straße protestiert hatten. Auch im Sejm, im Parlament in Warschau, kam es vor kurzem zu Tumulten. Oppositionspolitiker waren in einen tagelangen Sitzstreik getreten.
Für den PiS-Vorsitzenden Kaczynski ist dies schlicht "Rechtsbruch". Trotzdem bot er bei einer Pressekonferenz der Opposition "eine ausgestreckte Hand" an. Doch das hat er auch in der Vorweihnachtszeit vor einem Jahr getan. Die innenpolitischen Spannungen haben sich seitdem noch verschärft.