Zum Hauptinhalt springen

Der große Graben

Von Martyna Czarnowska

Kommentare

Nach der Präsidentenwahl auf Zypern sollen die Gespräche um eine Wiedervereinigung des Landes wieder aufgenommen werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Aus der Bar auf der einen Seite der Grenze dringt laute Musik. Junge Mädchen und Burschen nippen an ihren Getränken, schauen auf ihre Smartphones, unterhalten sich und lachen.

Aus der Bar auf der anderen Seite der Grenze dringt laute Musik. Junge Mädchen und Burschen unterhalten sich und lachen, nippen an ihren Getränken, schauen auf ihre Smartphones.

Die Jugendlichen sind ähnlich gekleidet, haben ähnliche Interessen, sogar die Musik, die sie hören, ist eine ähnliche, wenn auch oft in einer anderen Sprache. Dennoch kommen sie kaum zusammen. Die einen sind griechische Zyprioten und leben im Süden der Insel, die anderen sind türkische Zyprioten und wohnen im Norden. Nikosia ist eine zerrissene Hauptstadt: Die Bars an der Hauptstraße diesseits und jenseits des Grenzübergangs, den nur Fußgänger passieren dürfen, sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Früher konnte es schon vorkommen, dass Gewehrkugeln hin- und herflogen. Jetzt ist es nicht mehr so. Aber die Grenzziehung existiert noch immer. Und sie trennt nicht mehr einander feindlich gegenüberstehende Soldaten, sondern die Gesellschaften.

Die Jugendlichen in den Lokalen sind diese Trennung gewöhnt. Sie kennen nichts anderes. Was sie brauchen, holen sie sich jeweils in dem Teil der Insel, in dem sie leben. Ein Zusammenleben griechischer und türkischer Zyprioten in einem gemeinsamen Staat, gemischtsprachige Dörfer und früher noch die Bemühungen um die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft kennen sie höchstens aus Erzählungen. Sogar ihre Eltern können schon in Flüchtlingsunterkünften aufgewachsen sein, mit ihren Eltern wiederum vertrieben aus ihren Häusern. Als türkische Truppen 1974 im Norden Zyperns einmarschierten, als Antwort auf einen von Griechenland aus gesteuerten Putschversuch, flohen hunderttausende Menschen: griechische Zyprioten in den Süden, türkische Zyprioten in die entgegengesetzte Richtung. Die Fragen zur Rückgabe des Eigentums, der Häuser und Felder dieser Familien sind noch immer ungeklärt. Und immer noch sind türkische Soldaten im Norden stationiert.

Dass die Türkei nicht alle abziehen will, war einer der Streitpunkte bei den Verhandlungen um eine Wiedervereinigung des Landes im Vorjahr. Die Gespräche sind gescheitert.

Sie sollen wieder aufgenommen werden, wenn es nach dem künftigen Präsidenten geht. Am Sonntag findet im griechischen Teil die Stichwahl statt, bei der das Staatsoberhaupt der Präsidialrepublik bestimmt wird. Der konservative Amtsinhaber Nikos Anastasiadis tritt dabei gegen Stavros Malas an, der von der kommunistischen Partei Akel unterstützt wird und der beim ersten Urnengang vor einer Woche fast ein Drittel der Stimmen erhielt, nur wenige Prozentpunkte weniger als Anastasiadis. Beide Kandidaten setzen sich für eine Fortsetzung der Bemühungen um eine Wiedervereinigung ein.

Eine Lösung für den Zypern-Konflikt ist freilich noch in weiter Ferne. Sollte sie aber gelingen, gilt es noch eine der größten Herausforderungen zu meistern: die Gesellschaften einander wieder näherzubringen.