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Der große Graben quer durch Malta

Von Martyna Czarnowska, Valletta

Europaarchiv

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Mirjam und John sind sofort bereit, über den EU-Beitritt zu reden. Auf dem Flug nach Malta lerne ich sie kennen, und sie geben mir bereitwillig Auskunft. Immerhin soll die Abstimmung bald statt finden, am 8. März, und es ist tatsächlich derzeit das Thema Nummer Eins. Von den rund 380.000 EinwohnerInnen der Insel scheint so gut wie jede/r eine gefestigte Meinung dazu zu haben. Und von Politikverdrossenheit kann keine Rede sein.

Mirjam und John sind "selbstverständlich" dafür. Sie werden zum Referendum gehen und für den EU-Beitritt stimmen. Es gebe doch gar keinen anderen Weg für Malta, ein kleines Land, das auf Unterstützung von außen angewiesen ist, nicht zuletzt auf finanzielle Hilfe.

Welche Vorteile sie für sich erhoffen? "Die gibt es schon jetzt", ruft Mirjam aus und verweist auf ihre aktuelle Reise. Die beiden sind Lehrer und nahmen am Comenius-Projekt der EU teil. Gerade kehren sie von einem Treffen in Bratislava heim, wo sie mit KollegInnen aus verschiedenen Ländern Erfahrungen ausgetauscht haben. Und diese Einbindung in größere Strukturen sei für Malta in vielerlei Hinsicht nun mal notwendig.

Die EU-SkeptikerInnen verstehen Mirjam und John nicht. Wenn sie mit Bekannten sprechen, die gegen einen EU-Beitritt sind, dann könnten diese eigentlich keine überzeugenden Argumente bringen. "Das ist eine politische Sache", meint John. Die Sozialisten machten nämlich Stimmung gegen die Mitgliedschaft in der Union. John ereifert sich: "Stell dir das vor: Sozialisten, die sich nicht mit den Europäischen Sozialisten vereinigen wollen!"

Die Parteienlandschaft auf Malta ist recht überschaubar. Die Partei der Grünen, die Alternattiva Demokratika, spielt im Parlament keine Rolle - sie ist dort nicht vertreten. Anders als die Nationalist Party (PN) und Maltas Labour Party (MLP). Eine regiert, eine ist in der Opposition. Und wer gerade an der Regierung ist, bestimmt den EU-Kurs des Landes. 1987 lösten die Nationalisten die MLP als Regierungspartei ab, 1990 wurde der Antrag zur Aufnahme in die Europäische Union gestellt. Als die Sozialisten 1996 abermals an die Macht gelangten, stoppten sie die Verhandlungen. Zwei Jahre später siegte bei der vorgezogenen Parlamentswahl wieder die PN - und nahm die Gespräche mit der EU wieder auf. Im Dezember des Vorjahres wurden die Verhandlungen in Kopenhagen abgeschlossen.

Die SozialistInnen hingegen lancieren ein "Partnerschafts"-Modell, das auf engen wirtschaftlichen Verbindungen mit der EU ohne Vollmitgliedschaft basiert. Dazu reiche der seit 30 Jahren bestehende Assoziationsvertrag aus, lautet das Argument. Bei der letzten Wahl erhielt die Labour Party 46,9 Prozent der Stimmen. Dem entsprechend gespalten zeigt sich das Land: wie beim Fußball so in der Politik. Im Parlament stehen sich zwei beinahe gleich starke Parteien gegenüber, auf den Straßen marschieren abwechselnd AnhängerInnen der PN und SympatisantInnen der MLP auf.

Es gibt Gerüchte, dass Leute von der PN bestochen werden, um sich öffentlich zum EU-Beitritt zu bekennen. Und dessen GegnerInnen sollen sogar manchmal Repressalien ausgesetzt sein. "Dir kann ich es ja erzählen, du bist nicht vor hier", vertraut mir ein Gesprächspartner an, der drei Boutiquen besitzt. "Aber wenn ich es laut sagen würde, dass ich beim Referendum mit Nein stimme, muss ich am nächsten Tag schon höhere Steuern zahlen." Am nächsten Tag lese ich in der Zeitung von der Beschwerde einer Frau, die wiederum von einem Mitglied der Labour Party bedroht worden sein soll, weil sie für einen EU-Beitritt ihres Landes stimmen wollte.

Stephen hat kein Problem damit, seine Meinung offen zu sagen. Diese ist auch nicht schwer zu erraten, treffe ich den Elektronikhändler doch im Klublokal der Labour Party. Die Partei hat ihren Anhänger-Innen drei Optionen eröffnet: nicht am Referendum teilnehmen, ungültig wählen oder mit Nein stimmen. Stephen wird nicht zur Abstimmung gehen. Er bezeichnet das als Akt des "zivilen Ungehorsams". Das Referendum erkennt er nicht an, er hätte lieber Neuwahlen. Denn die Regierung sei korrupt, und es sei an der Zeit, dass wieder die Arbeitspartei an die Macht gelange. Dann wäre die Privatisierung und Liberalisierung von Telefongesellschaften, Medien und Flugtransport unter staatlicher Kontrolle. Und zwar unter maltesischer, denn das Land könne sehr wohl auf sich allein aufpassen. Dazu brauche es keinen "Diktator aus Brüssel".

"Wenn du einen Artikel über Malta schreibst, dann musst du schreiben, dass sich viele von Brüssel beleidigt fühlen", versucht Stephen mich zu überzeugen. "Die EU mischt sich in unsere Angelegenheiten ein. Es ist undemokratisch, dass die Regierung für Propaganda 1,5 Millionen Pfund (knapp 3,5 Millionen Euro) ausgibt, und die Opposition weit weniger bekommt." Das Malta EU Information Centre (MIC) verdiene diesen Namen nicht, weil es nur von den Vorteilen der EU spreche.

Als ich Isabel Depasquale nach ihrer persönlichen Meinung frage, wird sie unruhig. Die Mitarbeiterin des MIC möchte zum EU-Beitritt offiziell nicht Stellung nehmen. Allzu sehr sind ihr die Vorwürfe der Parteinahme bekannt. Die Stelle wurde 1999 von der Regierung eingerichtet, sie wird auch von der PN finanziell gestützt. Dennoch sieht sie sich als unabhängige Organisation an. "Wir liefern nur Fakten über die EU", erklärt Isabel Depasquale. "Wir sprechen nicht über Vor- oder Nachteile. Diese muss jeder für sich abwägen." Als Beispiel nennt sie die Abschaffung von Zöllen, die mit dem EU-Beitritt notwendig wird: für KonsumentInnen ist es günstig, für Unternehmen weniger.

"In erster Linie sind wir dazu da, Fragen zu beantworten", erläutert Depasquale. Seit Dezember häufen sich die Anfragen, an die 9.000 werden im Monat per mail, Fax oder Telefon gestellt. Die meisten kommen nach TV-Debatten, die ein bestimmtes Thema behandeln. "Dann rufen die Leute bei uns an, und wollen wissen, ob stimmt, was sie gehört haben." So werden die MitarbeiterInnen auch mit Ängsten konfrontiert. In erster Linie sei es die Furcht vor einem Ansturm von AusländerInnen: Studierende, die MalteserInnen ihre Plätze wegnehmen, Jobsuchende und ImmobilienmaklerInnen, die die Grundstückspreise in die Höhe treiben. Dann verweist das MIC auf Übergangsfristen bei der Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen oder darauf, dass beim Grundstücksverkauf der status quo - pro Ausländer nur eine Immobilie - beibehalten wird.

Die Befürchtungen werden von der Labour Party mit einer Kampagne der Angstmache geschürt, wirft die Regierung der Opposition vor. Dabei eröffne der EU-Beitritt Malta bessere Zukunftsperspektiven, mit ausländischen Direktinvesitionen und Zugang zu einem riesigen Markt. Aber dafür gehen die guten Handelskontakte mit Libyen verloren, kontern die SozialistInnen. Und in dem riesigen EU-Markt mit seinen 400 Millionen Menschen könnten sich die knapp 400.000 MalteserInnen verlieren.

"Einige Berufssparten sind massiv gefährdet", erklärt Michael Parnis von der General Worker's Union (GWU), die die MLP unterstützt. Er führt nur einige Beispiele aus der Liste der GWU an: "Malta hat 140.000 Beschäftigte. In den Schiffswerften haben in den letzten fünf Jahren 2.000 Arbeiter ihren Job verloren. Es gibt etwa 6.000 Hafenarbeiter-Innen - etliche ihrer Arbeitsplätze könnten wackeln." Negative Auswirkungen für den Tourismus, der eine der größten Einnahmequellen für Malta ist, sieht Parnis in einem EU-Beitritt aber weniger.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ImmigrantInnen aus Sizilien etwa nach Malta auf Arbeitssuche kommen, schätzt der Gewerkschafter ebenfalls als gering ein. Eher könnte zum Problem werden, dass StudentInnen aus nördlichen Ländern an die Universität von Malta strömen und sich monatelang etwas dazuverdienen wollen.

Verlockend könnte diese Aussicht für junge Leute nicht nur aus Skandinavien sein. Auf dem Universitäts-campus wachsen Palmen, Verständigungsprobleme gibt es für Englischsprechende keine: Bis 1964 war Malta eine britische Kolonie. Neben der Landessprache Malti beherrscht fast jede/r perfekt Englisch.

Um ihre Studienplätze sorgen sich Christianne und Sarah dennoch nicht. Sie befürworten den EU-Beitritt, weil er größere Möglichkeiten mit sich bringe. Nicht nur für ausländische sondern auch für maltesische Studierende. Beide wollen ins Ausland, um dort Erfahrungen zu sammeln. Die Anglistik-Studentin Christianne wird das nächste Semester in Brighton verbringen, Sarah, die Jus studiert, interessiert ein Aufenthalt in Brüssel. "Die EU beeinflusst unser Leben jetzt schon", meint Christianne. "Warum sollen wir also nicht in der EU mitreden?" Isolation könne sich mittlerweile kein Land leisten - schon gar nicht wenn es so klein ist wie Malta.

Die Serie wird kommenden Freitag mit "Slowenien" fortgesetzt.