Nach der Banken-Pleite der Commerzialbank herrschen in Mattersburg Fassungslosigkeit, Sprachlosigkeit und Ärger.
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Es klingt wie Hohn für die Bankkunden. Selbstbedienung, 24 Stunden Banking, verheißt das kleine Schild auf der Commerzialbank in der Judengasse im Zentrum von Mattersburg. Aber von Bankgeschäften rund um die Uhr kann für jene Menschen, die bei der Regionalbank in der burgenländischen Bezirksstadt ein Konto haben seit dieser Woche keine Rede mehr sein, seit die Finanzmarktaufsicht das Geldinstitut in der Nacht auf Mittwoch geschlossen hat. Zwei mit Tixo auf die Scheiben geklebte Zettel geben Auskunft, wie Bankkunden Zugang zu den Schließfächern der Commerzialbank Mattersburg bekommen und verweisen auf die Homepage der Einlagensicherung der Banken.
Ein halbes Dutzend Personen wartet bei angenehmen 20 Grad an diesem Freitagvormittag geduldig vor dem Nebeneingang der Bank. Sie haben sich in einer Reihe aufgestellt. Während am nahen Bauernmarkt auf dem Hauptplatz Eier, Honig und Ribisel feilgeboten werden, harren die Frauen und Männer bei der Commerzialbank in all der Demut, die den einfachen Menschen im Burgenland eigen ist, darauf, dass sich die Seitentür für den Nächsten öffnet.
Gegen das Bankinstitut und dessen Chef Martin Pucher steht seit wenigen Tage der Verdacht der Bilanzfälschung und Untreue im Raum. Mit 480 Millionen Euro an Schaden rechnet man bei der Einlagensicherung. 480 Millionen Euro ist schier unvorstellbar viel Geld hier abseits der wuchtig-protzigen Großbankzentralen in Wien. Die Zentrale der Commerzialbank in der Mattersburger Judengasse knotzt neben einem viel größer wirkenden Sportgeschäft. Selbst im Zentrum der 8000-Einwohner-Stadt Mattersburg nimmt sich das geduckte rosa Haus, in dem auch "er", Martin Pucher, die Geschäfte geleitet hat, bescheiden neben den einen Steinwurf entfernen Filialen zweier Großbanken aus.
"Bei der Commerz hat alles gepasst"
Die Wartenden sind einmal interessiert, zu ihren Ersparnissen zu kommen. Die Stimmung schwankt zwischen Fassungslosigkeit, die über Nacht über Mattersburg hereingebrochen sind, und Resignation. "Wir bleiben übrig, wir die kleinen Sparer", klagt eine 73-jährige Pensionistin. Die Frau hat für ihr Begräbnis vorgesorgt. "Das ganze Sterbegeld ist da drinnen", sagt sie. Wie sollen auch Menschen, die ihr Leben lang brav gearbeitet und gespart haben, verstehen, dass eine Bank über Nacht kracht, wenn weder die Bankenaufsicht noch Wirtschaftsprüfer der Bank nach eigenen Angaben etwas von möglichen Unregelmäßigkeiten bemerkt haben. Die Rentnerin fühlt sich an den Zusammenbruch der Hypo Alpe Adria erinnert: "In Kärnten war das genauso der Fall."
Im Schaukasten sind x Fotos mit Spielszenen des Fußball-Bundesligavereins SV Mattersburg, dessen wichtigster Sponsor die Commerzialbank war. Eine andere Frau stellt dem Bankinstitut mit rund 13.500 Kunden nachträglich das beste Zeugnis aus: "Bei der Commerz hat alles gepasst." Ein dritte Wartende pflichtet mit leichtem Kopfschütteln, als könne sie das alles immer noch nicht so recht glauben, bei: "Die Bank war die beste Bank, die freundlichste." Bei ihr kommt neben der Sorge um ihr Geld dazu, dass ihre Tochter bei der Bank beschäftigt ist: "Wo kriegst jetzt einen Arbeitsplatz her?" Noch dazu, wo es wegen der Corona-Krise mehr Arbeitslose gibt.
Zwei Männer in der Warteschlange sind keineswegs so gesprächig wie die Frauen. Was das abrupte Schließen einer Bank im täglichen Leben bedeutet, schildert dafür ein drahtiger Grauhaariger auf dem Gehsteig, dessen Freundin derzeit nicht einmal die Bankomatkarte nutzen kann, um ein bisschen Geld für einen Kaffeehausbesuch abzuheben. Der Mann sinniert über Martin Pucher, der in Mattersburg als "Macher" und als "Vertrauensfigur" beschrieben wird. "Das hat alleweil so ausgeschaut, wie wenn er ein Zauberer wäre. Aber er ist kein Zauberer." Es klingt wie eine Bestätigung für den Grauhaarigen.
Die Fassungslosigkeit angesichts der Pleite der Commerzialbank rührt in Mattersburg und Umgebung auch daher, weil nicht zuoberst ein versnobter Bankmanager, der jedem seinen Neureichtum spüren hat lassen, in die Affäre verstrickt ist. "Ein wirklicher Fantast war der Pucher nicht", hält ihm auch der grauhaarige Mann zugute. Dieser fühlt sich bei den Vorgängen, die das ganze Burgenland erschüttern, an die frühere Kaufgenossenschaft Konsum erinnert, die jahrzehntelange bis zum Niedergang mit ihren Geschäften vor allem SPÖ-dominiertenStädte geprägt hat. "Es hat sich keiner vorstellen, dass der Konsum bankrott geht", sagt er.
"Die Bank der Region", der Werbespruch ist noch auf den Glasfenstern der Commerzialbank in Mattersburg zu lesen. Alle Geschäfte habe man bei und mit dieser Bank abgewickelt, heißt es in einem nahen Geschäft. Jetzt fällt dort zu der von der Bankenaufsicht erzwungenen Schließung nur das Wort "Skandal". Vor der Raiffeisenbank auf dem Hauptplatz hat sich indessen eine Schlange bis auf die Straße gebildet, darunter sind auch Kunden, die ihr Konto von der Commerzialbank weg verlegen. Etwa eine Mutter aus dem nahen Zemendorf. Sie hofft vor allem, dass das Geld der Einlagensicherung dann schnell auf das neue Konto überwiesen wird.
Wut auf die Bürgermeisterin
Eng, winkelig ist es im Mattersburger Zentrum, wegen einer Baustelle muss der Autoverkehr teils um die Innenstadt herumgeführt werden. Gleich ums Eck der Commerzialbank sticht die große frei Fläche gegenüber der Volksschule besonders ins Auge. Bauschutt, der geebnet ist, wechselt sich mit mehr als einem halben Meter hoch wucherndem Unkraut und Gras ab. Früher standen Häuser hier, ausgerechnet diese Woche hätte mit dem Bau des neuen "Impulszentrums" begonnen werden sollen. Hinter dem Millionenprojekt stand ebenfalls die Commerzialbank mit Martin Pucher. Auch ein neues Rathaus hätte bei diesem Großprojekt entstehen sollen.
Nicht nur deswegen reißt es Ingrid Salamon, die seit 20 Jahren Bürgermeisterin in Mattersburg ist, im Erdgeschoß des derzeitigen Rathauses seit Dienstag dieser Woche herum wie noch nie. "Ich bin selten sprachlos, aber am Dienstag war ich es auch", erzählt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Was ihr vor allem zu schaffen macht, ist auch der Umstand, dass ihr zumindest manche vorwerfen, die Stadtpolitik könnte schon früher etwas gewusst haben. "Ich bin in letzter Zeit sehr vielen Anfeindungen per Mail ausgesetzt", sagt die Stadtchefin, was sie noch fassungsloser macht.
Salamon kann sich die Vorwürfe nur mit der allgemeinen Wut und dem Umstand erklären, dass Politiker für alles gerade stehen müssen. Dabei sei die Stadt weder im Aufsichtsrat noch gar im Vorstand der Commerzialbank gewesen. Wie hätte man da etwas über Unregelmäßigkeiten wissen sollen, betont sie. Für sie ist es selbst ein Rätsel, dass weder Bankenaufsicht noch Wirtschaftsprüfer von der Entwicklung etwas bemerkt haben: "Man muss jetzt abwarten, was die Justiz ans Tageslicht bringt."
Das Bauprojekt Impulszentrum werde sich jetzt verzögern. Beim Neubau des Rathauses sei man aber für 5,5 bis sechs Millionen Euro allein aufgekommen. Direkt werde es nach jetzigem Wissensstand für die Stadt zwar keinen Schaden geben, indirekt über die Kommunalsteuer und mehr zu erwartende Arbeitslosen aber schon. "Für die Bevölkerung ist das wirklich eine Katastrophe", bilanziert die Bürgermeisterin ungeschminkt.
Kopfzerbrechen bereitet ihr auch die Fußballakademie und der Fußballklub SV Mattersburg, wo Pucher ebenfalls im wahrsten Sinn des Wortes das Sagen hatte. Das Pappelstadion mit dem charakteristischen Viadukt im Hintergrund bei der Einfahrt von Wien kommend, liegt friedlich da. Wie es mit dem Verein, der Mattersburg bis Vorarlberg bekannt gemacht hat, weitergeht? Das ist eine andere Geschichte.