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Der größte Autoraub in Österreich

Von Heiner Boberski

Wissen
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Der Fiat 522 C der Familie Glückselig, 1938 von der SA beschlagnahmt, wurde im Jahr 2008 restituiert und anschließend als zeithistorisch wertvolles Objekt zurückgekauft.
© Technisches Museum Wien

Wiener Technisches Museum bringt Restitutionsfälle an die Öffentlichkeit.


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Wien. Sagt man einem Menschen nach, er sei eine "Person mit Vergangenheit", so werden damit in der Regel dunkle Punkte in seiner Lebensgeschichte angedeutet, an deren Existenz die betreffende Person nicht ganz schuldlos war. Die "Autos mit Vergangenheit", denen am Technischen Museum Wien (TMW) ein internationales Forschungsprojekt gewidmet war, tragen keine Verantwortung für dunkle Punkte in ihrer Geschichte. Es waren Menschen, die im Jahr 1938 den größten Autoraub in der Geschichte Österreichs begingen: Das NS-Regime eignete sich aus jüdischem Eigentum mehr als 3000 Kraftfahrzeuge an, ein Fünftel aller damaligen Wiener Autos.

Etwa die Hälfte dieser Fahrzeuge verblieb im Besitz staatlicher Instanzen oder nationalsozialistischer Organisationen, die andere Hälfte wurde durch das Wiener Dorotheum versteigert. Im Rahmen des von 2009 bis 2012 unter der Leitung von Christian Klösch durchgeführten Projekts wurde der Kfz-Besitz in Österreich in den 1930er Jahren erforscht und zusätzlich auch das dunkle Kapitel der geraubten Fahrzeuge aufgearbeitet. Wichtigste Ergebnisse sind zwei Datenbanken, die über die Website des TMW abgerufen werden können. Sie können nicht nur für Auktionshäuser und den Oldtimerhandel, sondern auch für das Erforschen der eigenen Familiengeschichte interessant sein.

Die Datenbank "Historische Kfz-Verzeichnisse" umfasst derzeit über 69.000 Kraftfahrzeuge aus der Zeit um 1938, und zwar rund 38.000 Personen- und Lastwagen sowie etwa 31.000 Motorräder. Hilfreiche Quellen für das Erstellen der Datenbank bildeten damals von Automobilklubs regelmäßig veröffentlichte Verzeichnisse von Kraftfahrzeugen mit Angaben zu den Besitzern. Diese Register sind aber nicht für ganz Österreich flächendeckend vorhanden. Etwa zwei Drittel aller damals zugelassenen Kraftfahrzeuge sind in der Datenbank enthalten, etwa 75 Prozent der Personen- und Lastkraftwagen sowie rund 45 Prozent des Motorräderbestandes. Die Adressen von Kfz-Besitzern, die zur wohlhabenden Schicht zählten, waren für die Wirtschaft interessant und unterlagen noch keinem Datenschutz. "Heute werden alle Zulassungsdaten elektronisch erfasst und nach elf Jahren automatisch gelöscht. Ein Projekt wie dieses wäre also in 50 Jahren kaum möglich", erklärt Projekt-Mitarbeiterin Verena Pawlowsky.

Sigmund Freuds Steyr 50

Die Datenbank "NS-Kfz-Raub" enthält mehr als 3000 österreichische Kraftfahrzeuge, die in der NS-Zeit nachweislich ihren Eigentümern entzogen wurden. Darunter befand sich auch ein auf den großen Psychiater Sigmund Freud zugelassener Steyr 50, den die Gestapo beschlagnahmte; der Wunsch der Familie Freud, das Fahrzeug dem nichtjüdischen Chauffeur Freuds zu überlassen, wurde abgelehnt. Was aus dem Auto wurde, war bisher nicht herauszufinden. Erhalten ist aber beispielsweise der 1938 von der SA geraubte Fiat 522 C der jüdischen Kauffrau Rosa Glückselig. Das Technische Museum Wien restituierte ihn im Zuge der Provenienzforschung 2008 an den in Argentinien lebenden Sohn der Eigentümerin, konnte das Auto aber zurückkaufen, sodass es jetzt in der Schausammlung des Hauses zu sehen ist.

"Das Technische Museum sieht es als seine Aufgabe, der Provenienz aller seiner Objekte nachzugehen", betonte TMW-Direktorin Gabriele Zuna-Kratky anlässlich der Präsentation der Datenbanken. Man wolle nicht nur Objekte präsentieren, sondern auch deren Geschichte erzählen, "die sehr wechselvoll und auch sehr traurig ist". 22.442 vom Gründungsjahr bis 1933 erworbene Gegenstände seien bereits untersucht worden. Bei Restitution dürfe man nicht nur an die "Goldene Adele" und Kunstwerke denken, im Fall des TMW gehe es eben auch um technische Geräte wie Autos, Fahrräder oder Durchlauferhitzer. Das TMW besitzt übrigens 70 Kraftfahrzeuge aus der Zeit bis 1945. Wie viele solcher Oldtimer es noch in Museen gibt, ist unbekannt, in österreichischem Privatbesitz dürften sich derzeit rund 2000 bis 1945 zugelassene Kraftfahrzeuge befinden.

Töchterle: "Paradebeispiel"

Das Wissenschaftsministerium ist an sich nicht für die Museen zuständig, fördert aber im Rahmen der "forMuse"-Projekte, zu denen auch "Autos mit Vergangenheit" gehört, die Forschung an den Museen. Ressortchef Karlheinz Töchterle hob die Rolle der Museen als "Orte von Forschung" hervor, das aktuelle Projekt sei ein "Paradebeispiel" und "genau das, was wir wollen". Es weite das Problembewusstsein, indem es aufzeige, wie sehr die ganze Lebenswelt betroffen war, der gesellschaftliche Wert solcher Forschungen sei "eminent". Der Minister merkte positiv an, dass die Resultate über das Internet einer großen Öffentlichkeit zugänglich seien, zudem sei das Projekt mit der Präsentation nicht zu Ende.

Von der Österreichischen Kommission für Provenienzforschung ergänzte Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie für Bildende Künste: "Für uns sind alle Objekte - unabhängig von ihrem materiellen Wert - gleich bedeutend, sei es nun ein Auto, Bücher oder auch eine Knopfsammlung."