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Den Haag - Es ist das größte Kriegsverbrecherverfahren seit den Nürnberger Prozessen. Ab Dienstag muss sich der jugoslawische Ex-Präsident Slobodan Milosevic in Den Haag in einem Großverfahren wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen während der Balkankriege verantworten. Der frühere Diktator ist der erste Staatschef, dem vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal der Prozess gemacht wird. Das Verfahren gilt deshalb als entscheidende Bewährungsprobe für das internationale Gericht.
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Die Anklage wirft Milosevic vor, während der Kriege in Kroatien (1991-1995), Bosnien (1992-1995) und dem Kosovo (1998-1999) Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Wegen des besonders blutigen Bosnien-Kriegs, in dem etwa 250.000 Menschen getötet wurden, ist Milosevic auch des Völkermordes angeklagt. In allen drei Kriegen habe Milosevic, so argumentiert die Anklage, das Ziel verfolgt, ein "Großserbien" zu schaffen - durch die Vertreibung und Tötung aller Nicht-Serben.
Das UNO-Tribunal steht vor Prozessbeginn unter erheblichem Druck. Zwar kann es für sich bereits als Sieg verbuchen, dass der Prozess überhaupt zustande kam und der Angeklagte anwesend ist. Der Verlauf des Verfahrens wird für die Zukunft und die Glaubwürdigkeit des Tribunals maßgeblich sein.
Noch ist ungewiss, wie der Prozess verlaufen wird. Ein Unsicherheitsfaktor ist sicher Milosevic selbst. Im Juni vergangenen Jahres wurde der ehemalige jugoslawische Staatschef nach langem Hin und Her von der serbischen Regierung an das Haager Tribunal ausgeliefert. Seitdem hat Milosevic immer wieder betont, dass er das Tribunal als illegale Einrichtung betrachtet. In den Anhörungen vor dem Prozess polemisierte er immer wieder gegen die NATO und die USA, beschimpfte die Richter als parteiisch. Die Klageschrift der Chefanklägerin Carla del Ponte bezeichnete er abfällig als "politisches Pamphlet, geschrieben von einem unmündigen Kind."
Auf Rechtsbeistand verzichtete Milosevic, behielt sich aber das Recht vor, Zeugen zu befragen. Er werde hochrangige westliche Politiker laden, kündigten Milosevic nahestehende Anwälte an. Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, der frühere Jugoslawien-Chefunterhändler Richard Holbrooke oder auch die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright könnten dazu gehören. Allerdings muss er zuerst die Richter überzeugen, dass eine Vorladung überhaupt etwas zur Klärung der Vorwürfe beitragen könne.
Eine weitere Unbekannte bleibt vor Prozessbeginn: Bisher hat die Chefanklägerin noch keine Details darüber verlauten lassen, welche Beweise für Milosevics Schuld sie tatsächlich vorlegen will. Fest steht, dass zwanzig Zeugen aussagen wollen, die in der betreffenden Zeit zum engsten Umfeld des damaligen Staatsoberhauptes gehörten. Ihre Aussagen sollen beweisen, so hofft Del Ponte, dass Milosevic am oberen Ende einer Befehlskette stand, die den Tod tausender Zivilisten herbeiführte. Zumindest Del Ponte gibt sich zuversichtlich: Sogar für den besonders schwerwiegenden Vorwurf des Völkermordes will sie ausreichende Beweise vorlegen. AFP