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Der größte Staat Afrikas zerfällt

Von Klaus Huhold

Politik

Bange Frage, ob Regime Sezession akzeptiert oder ob es zum Krieg kommt. | Erdöl könnte den Frieden bringen. | Juba/Wien. Das Winterwetter in Europa hat auch im Südsudan Sorgen ausgelöst. Denn die Region stimmt am 9. Jänner über ihre Unabhängigkeit ab und die Wahlzettel für die Abstimmung wurden in Großbritannien gedruckt.


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Es herrschte Angst, dass die Schneefälle in London die rechtzeitige Lieferung der begehrten Papiere verhindern könnten. Doch schließlich nahmen Beamte am Flughafen von Juba, der Hauptstadt des Südsudans, die Maschine mit den Wahlzetteln erleichtert in Empfang.

Das Unabhängigkeitsreferendum wurde 2005 nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs in einem Friedensvertrag festgeschrieben (siehe Grafik), der zwischen der Regierung in Khartum und der nun den Süden verwaltenden Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) abgeschlossen wurde.

Bei Beobachtern besteht kein Zweifel, dass sich die rund vier Millionen registrierten Wähler für eine Loslösung vom flächenmäßig größten Staats Afrikas entscheiden werden. "Das Regime in Khartum hat in den vergangen Jahren den Südsudanesen keine Gründe dafür geliefert, in einem Gesamtstaat zu verbleiben", analysierte der frühere sudanesische Oppositionelle Fadil Abbas bei einem Vortrag in Wien für die "Föderation für Weltfrieden".

Die Regierung im Norden hat nichts für die Entwicklung der vom Bürgerkrieg zerstörten Region getan, sagt Fadil Abbas. Zudem herrscht in Khartum unter Machthaber Omar al-Bashir ein undemokratisches, islamistisches Regime.

Kampf um Ressourcen

Die aggressive Islamisierungs- und Arabisierungspolitk des Nordens war auch einer der Anlässe für die Rebellionen im großteils schwarzafrikanischen, christlichen und animistischen Süden. Zudem wurden in dem Bürgerkrieg ethnische Konflikte ausgetragen. Und es ging um Ressourcen, lagert doch im Süden viel Erdöl.

Nun ist die bange Frage, ob der Norden den Süden friedlich in die Unabhängigkeit ziehen lässt. Würde das Regime doch damit den Großteil seiner Ölressourcen verlieren.

Doch gerade das Öl könnte Frieden bringen. Denn es setzt beide Seiten in gegenseitige Abhängigkeit. Auch wenn die meisten Ölfelder im Süden liegen, die Pipelines und Raffinerien befinden sich im Norden. Beide Akteure sind von den Öleinnahmen abhängig, ein Krieg würde die Produktion zum Erliegen bringen. Dieser wäre bestimmt auch nicht im Interesse Chinas, des größten Abnehmers sudanesischen Öls.

Bashirs Rhetorik hat sich schon merklich verändert. Sollte sich der Südsudan für die Unabhängigkeit entscheiden, werde die Regierung in Khartum helfen, einen "sicheren und stabilen Bruderstaat" aufzubauen, verkündete der 66-Jährige nun. Zuvor hatte er immer wieder betont, dass es für ihn keine Alternative zur Einheit des Sudans gebe.

Die Kehrtwende des Präsidenten sorgte bei der besorgten internationalen Gemeinschaft natürlich für Erleichterung. Das Potenzial für einen bewaffneten Konflikt ist aber weiterhin vorhanden.

Ungeklärte Streitfragen

So befürchten etwa Beobachter Übergriffe auf die im Norden lebenden Südsudanesen, deren Zahl sich auf etwa drei Millionen belaufen soll. Ein unabhängiger Südsudan wäre natürlich deren Schutzmacht.

Und viele Streitfragen sind noch nicht entschieden. Zurzeit werden die Öleinnahmen je zur Hälfte aufgeteilt, doch der künftige Verteilungsschlüssel steht noch nicht fest. Zu welchem Staat die umstrittene Grenzregion Abyei gehören soll, wie überhaupt die Grenze genau verlaufen soll, wer wie viel der Staatsschulden übernimmt - all diese noch ungeklärten Punkte könnten zu Auseinandersetzungen führen.

Zudem würde eine Unabhängigkeit des Südens für Khartum einen unangenehmen Präzedenzfall schaffen. Auch in Darfur oder in der östlichen Kassala-Provinz gibt es Widerstand gegen das Regime. Ein souveräner Südsudan könnte für Gruppierungen in diesen Regionen zum Anlass werden, ebenfalls die Unabhängigkeit zu fordern, sagt der Historiker und Sudan-Forscher Michael Zach. Das Regime wird also alle Hände voll zu tun haben, einen weiteren Zerfall des Sudans zu verhindern. Und Bashir, gegen den ein Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen in Darfur vorliegt, hat bereits bewiesen, dass er seine Interessen auch mit Gewalt verfolgt.