14 Jahre lang stand David Ellensohn im Schatten von Maria Vassilakou. Nun könnte er die grüne Frontfrau beerben.
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Wien. Wer an die Macht will, muss warten. Auf den Moment, in dem das Oberhaupt Schwäche zeigt oder von selbst aufgibt. Für David Ellensohn ist es nun soweit. Nie zuvor war der Zeitpunkt für ihn idealer, um den Schritt an die Spitze zu wagen. Die grüne Frontfrau Maria Vassilakou hat ihre Strahlkraft eingebüßt. Die Vizebürgermeisterin kann nicht mehr auf den Rückhalt in der Partei zählen. Die Reihen der Unterstützer lichten sich. Ganz im Gegensatz zu David Ellensohn. Er hat es geschafft, die Partei hinter sich zu vereinigen. Hat das Warten für Ellensohn ein Ende?
Eine graue Wolke hängt an diesem 27. März vor drei Jahren über den grünen Gemeinderäten. Die Blicke starr zu Boden gerichtet, hängende Mundwinkel, bewegungslos. Bis vor einer Stunde waren sie noch zu elft. Nun bleibt ein gepolsterter Sitz inmitten der Abgeordneten leer. Senol Akkilic wechselte zum roten Koalitionspartner. Mit dem Coup verhinderte die SPÖ eine Abstimmung im Gemeinderat gegen ihren Willen. Eine Mehrheit gegen die Genossen war nun nicht mehr möglich.
Ellensohn richtet seinen Blick auf, drückt sich von seinem Sitz hoch und marschiert zum holzvertäfelten Rednerpult des Gemeinderatssaals. Mit fester Stimme richtet er sich an die Abgeordneten aller Parteien: "Für mich ist es der schwärzeste Tag aus demokratiepolitischer Sicht", erläutert er. Ein kurzer Blick zu Akkilic, der nun zwischen den Genossen Platz genommen hat, dann fügt er hinzu: "Ob es das wert war, ein faires Wahlrecht für Wien, vor dem alle Menschen gleich sind, scheitern zu lassen, wird er selbst beantworten müssen."
Ellensohn wagte sich als Erster aus der Deckung. Es war nicht das erste Mal, dass er das Wort ergriff, als es für die Grünen schwierig wurde. Und es sollte auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Egal, ob eine Wahl verloren wurde, oder ein grünes Projekt in der Stadt für Aufregung sorgte, Ellensohn stand Rede und Antwort, fand die richtigen Worte. "Als Führungsperson hat er nie enttäuscht", sagt Monika Vana, grüne Europaabgeordnete, die Ellensohn seit mehr als 20 Jahren kennt. Michael Schmid, Obmann der grünen Bildungswerkstatt Wien stimmt zu. "Er scheut keine Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner", erzählt Schmid.
Österreichs faschistischeVergangenheit
David Ellensohn, geboren 1963 in London, aufgewachsen in Vorarlberg. Im Spannungsfeld zwischen internationaler Metropole und alpenländischer Folklore, zwischen britischer und österreichischer Familienhälfte. Sein Großvater mütterlicherseits kämpfte als Pilot im Zweiten Weltkrieg gegen die Nationalsozialisten und wurde abgeschossen. Die Familienbindung zu Österreichs faschistischer Vergangenheit prägte ihn. Aus ihr resultiert sein lebenslanges Engagement gegen Rechtsextremismus.
2003 setzt er sich erfolgreich für die Aberkennung des Ehrengrabs des Nazi-Piloten Walter Nowotny am Zentralfriedhof ein. Auch das Deserteursdenkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz auf dem Ballhausplatz ist ihm zu verdanken. Mit Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani klapperte er solange Institutionen ab, bis das Denkmal 2013 genehmigt wurde. Sein Verdienst ist es ebenso, dass der Sieg der Alliierten über das Nazi-Regime am 8. Mai seit 2013 von einem Totengedenken der Burschenschafter zu einem Fest der Freude wurde. "Wer heute nicht feiert, hat verloren", sagte er damals.
Neben seiner Antifa-Haltung wird die sozial ungleiche Verteilung zu seinem Thema. Für Gerechtigkeit, gegen das System, das nur den Oberen nützt. Ellensohn war der Erste in seiner Familie, der maturierte. "Aber nicht, weil die Familie zu blöd war. Sondern weil die Chancen ungleich verteilt sind", erklärt er. Und fügt hinzu: "Das wird ja auch nicht besser." Als erklärter Fan der Romanfigur Robin Hood, die den Reichen nimmt und den Armen gibt, nennt er auch den ersten seiner drei Söhne Robin. Dass er die Londoner Punk-Szene aus den Siebzigern verehrt, ist wenig verwunderlich.
Nach der Matura zieht Ellensohn mit 20 Jahren nach Wien. Die Stadt ist für den Anglo-Vorarlberger ein guter Kompromiss. Ein bisschen Metropole, ein bisschen alpenländische Folklore. Er studiert Politikwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre. Als ein Jahr nach seiner Wiener Ankunft die Hainburger Au besetzt wird, organisiert er in der Österreichischen Hochschülerschaft der Wirtschaftsuni Wien den Protest. Er fährt zu den Demonstrationen, übernachtet dort. Für die Gerechtigkeit, gegen das System. Es war nicht die Zerstörung der Auenlandschaft durch ein Kraftwerk, die ihn motivierte, sondern das Vorgehen der Politiker, die ihre Macht schonungslos gegen die Bürger ausspielen wollten.
Vom Antifa-Aktivistenzum Versicherungsvertreter
Wenig später gründete er mit anderen die Alternative Basisliste (ALB). Zu seinem 30. Geburtstag im Jahr 1993 ändert er sein Erscheinungsbild. Statt punkiger langer schwarzer Haare, Jeans und T-Shirt trägt er fortan borstigen Kurzhaarschnitt, schwarzes, Sakko und Hose. Dazu glatt rasiertes Gesicht. Er ähnelt eher einem Versicherungsvertreter, als einem linksalternativen Antifa-Aktivisten. Sein Studium bricht er ab, wird Redakteur der "Sportzeitung" und grüner Bezirksrat in Rudolfsheim-Fünfhaus. Zehn Jahre verdient er sein Geld mit Sportberichterstattung, in der Zeitung schafft er es bis zum Chefredakteur. 2001 zieht er in den Gemeinderat ein, wird Politiker. Hauptberuflich.
Sein Einstieg beginnt mit einem Knall. "Null geehrte Herren, (. . .) ihr Wixer. Eure Fickfantasien könnt ihr euch in den Arsch schieben. Grußlos", schreibt er in einem Mail an die Junge ÖVP Penzing. Zuvor hatten die Jung-schwarzen auf ihrer Homepage über das Sexualleben der Grünen spekuliert: "Bekifft fickende Grüne?" Ellensohn hält seine Reaktion für angemessen: "Das war die passende Antwort."
Das Mail verschafft ihm Respekt. "Ganz klar. Ein Außenfeind stärkt immer. Gegen die ÖVP kannst du schon auftreten", sagt Schmid. Nur drei Jahre später landet er in den oberen Rängen der Partei. Er riskiert dafür eine Auseinandersetzung mit dem damaligen Klubobmann Christoph Chorherr. Die Partei teilt sich in zwei Lager. Doch Ellensohn setzt sich durch. Als nicht amtsführender Stadtrat wird er die Nummer zwei hinter Klubobfrau Maria Vassilakou, die Chorherr nachfolgt. Ein Kompromiss auf den sich alle in der Partei einigen können. Bis heute hat sich an der Konstellation nichts verändert. Als die Grünen 2010 in die Regierung kommen und Vassilakou zur Vizebürgermeisterin und Stadträtin aufsteigt, übernimmt Ellensohn ihren Posten.
BeinaheBildungsstadtrat
Als Klubobmann bringt er neben dem bereits erwähnten Antifa-Engagement auch sein zweites Thema, Gerechtigkeit, bei den Grünen ein. Die soziale Frage wurde bis dahin von der Partei ignoriert. Er tritt gegen das kleine Glückspiel auf, das 2015 verboten wird und verteidigt Mindestsicherungsbezieher lautstark gegen Anfeindungen von schwarz-blauer Seite. Bei den Koalitionsverhandlungen vor zwei Jahren wäre er beinahe Bildungsstadtrat geworden. Für Vassilakou war neben dem Verkehrs-Ressort der Vizebürgermeisterin-Titel jedoch wichtiger.
In seiner Zeit als Klubobmann hielt er die Zügel fest in der Hand. Bei den grüninternen Wahlen in den Landesversammlungen traute sich selten jemand gegen ihn anzutreten. "Weil allen klar war, dass man gegen David nicht gewinnen kann", sagt Schmid. "Er hatte nie die Höhen und Tiefen, die sonst jeder normale Grüne einmal hat. Er ist nie in Frage gestanden", sagt Monika Vana. Nur einmal schien es, als würde er die Kontrolle verlieren. Als sich die Gegner des Investorenprojekts am Heumarkt in einer internen Urabstimmung durchsetzten, beauftragte ihn Vassilakou, eine Mehrheit im grünen Klub für die Umwidmung des Projekts zu finden. Er setzte sich damit über das eigentlich bindende Ergebnis der Abstimmung hinweg. Sieben von zehn Gemeinderäten stimmten schließlich dafür, die Basis schäumte. "Das ist ihm lange im Magen gelegen", sagt Monika Vana. "Er hat sich auf die Seite von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou gestellt. Wenn er nur Gemeinderat gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich dagegen gestimmt."
Auf derfalschen Seite
Dass er mit seiner Entscheidung bis heute nicht glücklich ist, zeigt sein Versuch, den Investor dazu zu bringen, den Turm kleiner zu bauen. "Tojner kann zum Retter des Weltkulturerbes werden", lässt er dem Investor über die "Wiener Zeitung" ausrichten. Doch wie hat er es geschafft, dass sich die Heumarkt-Gegner nicht gegen ihn stellen? "Er hat es geschafft sich zu beiden Seiten die Gesprächsebenen offen zu halten", sagt Schmid. Ein Rezept, das ihn erfolgreich durch die vergangenen Jahre getragen hat. "Er ist ein Fundi mit guter Kompromissbereitschaft. Ideologisch sehr stark gefestigt, aber in der Realpolitik sehr stark Realo", sagt Vana. Auch der von Ellensohn verdrängte Klubobmann Christoph Chorherr sagt: "Er macht schon seit vielen Jahren sehr kompetent den Klubobmann, er repräsentiert sehr erfolgreich den gesamten Klub. Seine Aufgabe erledigt er ausgezeichnet."
Selbst Anton Mahdalik, Klubobmann von Lieblingsgegner FPÖ, stellt Ellensohn ein gutes Zeugnis aus: "Ellensohn ist weder Fundi, noch Realo. Er war immer die Ellensohn-Fraktion. Er kann sehr gut den Spagat zwischen den beiden Gruppen. Als innerparteilicher Machtpolitiker ist er überaus talentiert, deswegen ist er noch dabei."
Doch so sehr Ellensohn die Gesprächsebenen zu den Funktionären in der Partei offen gehalten hat, so sehr wandten sich die Wiener Wähler nach der Heumarkt-Abstimmung von der Partei ab. Bei den Nationalratswahlen verlor die Partei in ihrer Hochburg zwei Drittel ihrer Stimmen. Die Grünen verpassten daraufhin den Sprung in den Nationalrat. Der Schuldige für das Wiener Desaster ist in der öffentlichen Wahrnehmung aber nicht Ellensohn, sondern Vassilakou. Sie hat sich mit der Heumarkt-Entscheidung nachhaltig beschädigt. Kaum jemand traut ihr noch zu, die Grünen in eine erfolgreiche Wien-Wahl 2020 zu führen. Auch sie selbst ließ bereits anklingen, dass sie über ihre Zukunft "intensiv nachdenke", wie sie dem Kurier sagte. Parteiintern kreist das Gerücht, dass sie spätestens im Juli zurücktritt.
Sollte Ellensohn den Sprung an die Spitze wagen, wäre ihm interne Unterstützung sicher. Doch wie würden die Wähler auf ihn reagieren? Nach innen hat er die heterogene grüne Partei hinter sich vereinigen können. Ideologisch gefestigt, kompromissbereit, Verantwortungsbewusst. Ob er auch der Richtige ist, um die Grünwähler zurückzuholen und zum Parteiretter taugt, bleibt jedoch abzuwarten.