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Der grüne Riese schrumpft

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

RBI-Aktie bei neun Euro - Russland-Sorgen werden größer - EZB macht Druck auf Landesbanken.


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Wien/Moskau/Brüssel. Bei Raiffeisen ist Feuer am Dach, denn Investoren und Aufsichtsbehörden werden immer nervöser. Die Aktie der Osteuropa-Tochter befindet sich seit Tagen im freien Fall, sie notierte am Mittwoch unter 9 Euro. Damit hat sich der Unternehmenswert in Jahresfrist gedrittelt, und liegt aktuell bei nur noch knapp über 2,6 Milliarden Euro.

Hauptprobleme bei Raiffeisen: Russland und ein 2,9-Milliarden-Euro-Obligo in Schweizer Franken bei der Polen-Tochter der Bank. Investoren sind so nervös, dass manche Schuldverschreibungen Raiffeisens bei nur noch 48 Cent notieren, da Analysten laut Bloomberg einen "bail-in" befürchten, also die Umwandlung der Anleihe in hartes Stammkapital. Das wäre gemäß den Bankenunion-Bestimmungen mittlerweile möglich.

Abwertung in manchen RLB

"Bei uns liegen die Nerven blank", sagte ein Raiffeisen-Manager unter Zusicherung der Anonymität zur "Wiener Zeitung". Denn die Zuspitzung der Krise in der Ukraine und die EU-Ankündigung einer Verschärfung der Sanktionen treffen die Bank hart. Die Russland-Tochter lieferte mehr als die Hälfte des Konzerngewinns. Sanktionen, und der vom Ölpreis bestimmte Rubel-Verfall drücken diesen nun gewaltig nach unten. Die Bank selber rechnet mit einem Verlust von mindestens 500 Millionen Euro für 2014.

Und damit kommen die Aufsichtsbehörden ins Spiel, alles voran die Europäischen Zentralbank (EZB). Sie soll, wie zu hören ist, vor allem den RBI-Eigentümern Druck machen. 61 Prozent hält die RZB, die ihrerseits im Eigentum der acht Raiffeisen-Landesbanken steht.

Und genau die sind das Problem. Die Landesbank Niederösterreich-Wien sowie die RLB Oberösterreich stehen ebenfalls unter dem Aufsichtsregime der EZB, die nun die 130 größten Banken Europas beaufsichtigt. Die EZB will dem Vernehmen nach eine deutliche Abwertung des RZB-Anteils in den Bilanzen der Landesbanken. Vor allem die RLB Niederösterreich-Wien, die 35 Prozent an der RZB hält, sei davon betroffen, ist zu hören. Eine solche Abwertung würde aber das Eigenkapital gefährlich nach unten drücken.

Die Landesbanken stehen ihrerseits im Eigentum der etwa 490 lokalen Raiffeisen-Banken.

Kleine Eigentümer

Das Problem dieser Eigentümer-Kaskade: Das Eigentum (RZB) ist deutlich größer als die Eigentümer. Mögliche Kapitalzuschüsse sind kaum oder nur unzureichend möglich. Ein Ausweg aus der Misere lautet nun, so ist aus Raiffeisenkreisen zu hören, die RZB und vor allem die Osteuropa-Tochter RBI einer deutlichen Schrumpfkur zu unterziehen. "Die Reduzierung der Risiko-Assets würde deren Kapitalunterlegung reduzieren und damit entlasten", ist aus Bankkreisen zu hören.

Was sich nüchtern liest, ist allerdings mit erheblichen Veränderungen verbunden, für den in Österreich sehr mächtigen Raiffeisensektor ein Erdbeben. "Reduzierung der Assets" bedeutet im Klartext den massiven Verkauf von Beteiligungen. Die RBI könnte deutlich schrumpfen, auch ein Rückzug aus Russland, der Ukraine und Polen sowie eine Reduzierung des umfangreichen Ölhandelsgeschäftes, wird unter dem Giebelkreuz nicht mehr ausgeschlossen.

Da es sich dabei um eine grundsätzlich genossenschaftliche Organisation handelt, mit dezentralen Entscheidungen, tobt darüber ein erbitterter Streit innerhalb Raiffeisen. Außerhalb des Geldsektors beschäftigt Raiffeisen in den Hunderten Beteiligungen etwa 100.000 Mitarbeiter nur in Österreich. Bei der RBI zwischen Bratislava und Wladiwostok arbeiten 58.000 Mitarbeiter.

"Die Regierung will sicher keine Probleme bei Raiffeisen, das wäre eine Katastrophe", sagte ein Banker. Bei der EZB in Frankfurt ist der Blick - nicht nur geografisch - distanzierter. Dort wird mit Sorge registriert, dass es keinerlei Abwertungen wegen der Russland-Beteiligung bisher gibt.

Ein weiterer Ausweg aus den Problemen wäre natürlich, die börsenotierte RBI mit Partnern auszustatten, etwa die auf Osteuropa spezialisierte EU-Bank EBRD geneinsam mit Investmentfonds. "Kuriose Spekulation", nannte das eine Sprecherin der Bank im Gespräch mit Analysten. Auch aus Russland wolle man sich nicht zurückziehen.

Richtungsstreit

Da der Druck der europäischen Aufsicht allerdings auf den Raiffeisen Landesbanken als Eigentümer lastet, steigt auch dort die Sorge. Seit Wochen laufen bei Raiffeisen Gespräche über eine Neuordnung des Sektors. Die "Dreistufigkeit" (Ortsbank, Landesbank, RZB) gilt bei Raiffeisen als Dogma, doch eines scheint sicher zu sein: Die Zahl der Raiffeisenbanken wird deutlich schrumpfen, auch in Österreich sollten größere Institute geschaffen werden. Auch eine Verschränkung von Landesbanken ist kein Tabu mehr, ist informell zu hören. Ob das kommt, will bei Raiffeisen derzeit niemand beantworten, die Diskussionen sind im Gang.

Allerdings läuft dem "grünen Riesen" die Zeit davon. Die Bonitätseinschätzungen verschlechtern sich. Und der Druck der Aufsicht steigt, sich vom traditionellen Denken zu verabschieden.

Viele Agrar-Beteiligungen

Ob vor allem das in Niederösterreich und Oberösterreich beträchtliche Beteiligungsimperium zu halten sein wird, gilt mittlerweile mehr als fraglich.

Wenn allerdings die Agrar-Beteiligungen (Agrana, Leipnik-Lundenburger, nöm, Bergland, Lagerhäuser) verloren gingen, würden Raiffeise, so ein Manager, "seine Seele verlieren". (Friedrich Wilhelm Raiffeisen gründete 1862 bäuerliche Selbsthilfeorganisationen in Form von Genossenschaften.) Es ist also denkbar, dass die massive Bank-Expansion geopfert wird.

Die aktuelle Richtungsdebatte bei Raiffeisen wird noch angefacht, weil deren mächtigster Manager Christian Konrad aus Altersgründen in Pension ging. Sein Nachfolger als Chef der RLB Niederösterreich-Wien und Aufsichtsratschef der RZB und der Versicherungsgruppe UNIQA wurde Erwin Hameseder. Er ließ der "Wiener Zeitung" ausrichten, dass er zur Zeit keine Kommentare zu Raiffeisen abgeben möchte.

Je länger die Probleme in Russland andauern, und je drängender die Kapital-Erfordernisse durch die EZB werden, desto prekärer wird es allerdings für die Raiffeisen-Organisation. Analysten erwarten, dass es in Kürze eine Stellungnahme geben wird, wie sich Raiffeisen aus dem Dilemma befreien will. "Österreich wird wegen der Bedeutung des Sektors danach etwas anders sein als es heute ist und ich es gerne hätte", sagte ein Raiffeisen-Manager etwas resigniert.