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Wegen ihrer Rolle in einem umstrittenen Schiedsspruch wird nun gegen IWF-Chefin Christine Lagarde ermittelt.
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Paris. Eine der Bedingungen bei der Berufung der Französin Christine Lagarde auf den Chefsessel des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington im Jahr 2011 lautete, es müsse eine moralisch integre und unbelastete Persönlichkeit sein - zu traumatisch hatte man dort zuvor den Absturz des vorherigen Chefs Dominique Strauss-Kahn infolge seiner Sex-Skandale erlebt. Schon damals drohte ihre Verwicklung in die Affäre um den Unternehmer Bernard Tapie den guten Ruf Lagardes zu belasten, die ansonsten als Idealbesetzung galt und daher den Job bekam. Nun hat die französische Justiz ein formelles Ermittlungsverfahren gegen die 58-Jährige eingeleitet.
Vorgeworfen wird ihr "Nachlässigkeit" in dem Finanzskandal um den Geschäftsmann und früheren Politiker Tapie, der im Jahr 2008 von der französischen Staatskasse mit 405 Millionen Euro abgefunden worden war, davon allein 45 Millionen Euro als steuerfreies Schmerzengeld. Die Entschädigung erfolgte nach einer Klage Tapies, nachdem 1993 die damals staatliche Bank Crédit Lyonnais auf seinen Auftrag hin seine Anteile am Sportartikelhersteller Adidas verkauft, diese über Umwege aber selbst erworben und für einen deutlich höheren Preis weiterverkauft hatte. Möglich gemacht hatte sie das Urteil eines privaten Schiedsgerichtes, dessen Unabhängigkeit in Frage steht. Sowohl Tapie selbst als auch der mit ihm befreundete damalige Präsident Nicolas Sarkozy und sein Umfeld stehen im Verdacht, die Richter beeinflusst zu haben. Einträge in ihren Terminkalendern beweisen mehrmalige Treffen im Vorfeld der Entscheidung. Vermutet wird, dass Tapie eine Wahlempfehlung für Sarkozy abgegeben hatte, weil er sich dessen Intervention erhoffte.
Lagarde war damals französische Wirtschafts- und Finanzministerin und hatte das außergerichtliche Schiedsverfahren entgegen dem ausdrücklichen Rat von Experten akzeptiert, obwohl es sich um beträchtliche Staatsgelder handelte. Auf einen Einspruch verzichtete sie. Zu ihrer Verteidigung erklärte sie, sie habe dem jahrelangen Rechtsstreit ein Ende setzen wollen und nicht im Auftrag Sarkozys gehandelt. Allerdings wurde bei ihr ein zweideutiger Brief an den früheren Staatspräsidenten gefunden, in dem sie anbot: "Benutze mich während der Zeit, die dir passt, die zu deiner Aktion und deinem Casting passt."
Lagarde schließt ihren Rücktritt als IWF-Chefin aus
Einen Rücktritt von der Spitze des IWF schloss Lagarde am Mittwoch aus, da sie die Vorwürfe für völlig unbegründet halte. "Ich kehre diesen Nachmittag zurück nach Washington, um zu arbeiten", erklärte sie nach ihrer Anhörung, der mittlerweile vierten in der Affäre. Außerdem kündigte die IWF-Chefin an, Berufung einzulegen.
Ermittlungsverfahren laufen bereits gegen fünf weitere Personen, darunter Lagardes damaligen Büroleiter und heutigen Chef des Telekommunikationsunternehmens Orange (früher France Télécom), Stéphane Richard, sowie gegen Tapie selbst. Dem umstrittenen Medienunternehmer und Geschäftsmann, der unter François Mitterrand kurzzeitig Minister war und einst den französischen Fußballklub Olympique Marseille führte, wird "bandenmäßiger Betrug" vorgeworfen. Einen Teil seines Vermögens hat die Justiz beschlagnahmt, nachdem der Staat 2013 Revision gegen das Schiedsurteil eingelegt hatte. Die brisante Affäre könnte auch Ex-Präsident Sarkozy noch gefährlich werden - zumal es nicht die einzige ist, die ihn in den Fokus der Ermittler bringt.