Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Juan Santos ist politisches Kalkül. Kolumbiens Staatschef bemüht sich darum, gegen massive Widerstände sein Friedensabkommen mit der Guerilla zu retten. Die Auszeichnung soll ihm den Rücken stärken.
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Bogota. Selbst die Servietten zum Kaffee sind im Präsidentenpalast in Bogota mit einer Friedenstaube geschmückt. Alles, aber auch wirklich alles soll die Besucher in der Casa Narino an die Mission des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos erinnern. Und dann sind auch noch die drei Worte, die der Sohn einer der einflussreichsten Familien des Landes zum Motto seines politischen Auftrages gemacht hat: "Durchhalten, durchhalten, durchhalten."
Wann immer es schwierig wird beim Projekt seines Lebens, der Befriedung Kolumbiens, ruft er seinen Landsleuten und auch sich selbst diese Botschaft zu. Sie soll Mut machen in stürmischen Zeiten. Und stürmisch ist es wieder einmal Kolumbien. Seit Freitag ist der gelernte Jurist, Journalist und Wirtschaftswissenschafter auch Friedensnobelpreisträger. Damit endet die wohl dramatischste Wochen im Leben des Juan Manuel Santos mit einem politischen Happy End. Frieden herrscht deswegen aber noch lange nicht in dem von einem blutigen Krieg heimgesuchten südamerikanischen Land.
"Überwältigt"
"Überwältigt" zeigte sich ein aus dem Schlaf gerissener Santos, als ihm Nachricht über die Auszeichnung um 4 Uhr morgens Ortszeit mitgeteilt wurde. "Danke, im Namen aller Kolumbianer und besonders im Namen der Opfer. Jener Million Opfer, die unter diesem Krieg gelitten hat."
Am Sonntagabend stand der Kolumbianer noch mit leeren Händen da und vor den Trümmern seiner Karriere. Entsetzt starrten auch seine Anhänger auf die Bildschirme, als das Ergebnis der Volksabstimmung über den Friedensvertrag zwischen der Santos-Regierung und der linksgerichteten Farc-Guerilla verkündet wurde. Mit 50,2 Prozent setzte sich das Nein-Lager durch, wenn auch äußerst knapp. Angeführt wurde es von Santos’ Vorgänger Alvaro Uribe.
Alles schien verloren, der in vier Jahren ausgehandelte Friedensvertrag mit den Rebellen - mit viel Prominenz und Pathos wenige Tage zuvor in der Kolonialstadt Cartagena voreilig unterschrieben - nur noch Makulatur. Auch die Präsidentschaft war in Gefahr, als sich Santos am Abend seinen Landsleuten stellte. Das Gesicht wirkte erstarrt, die Augen gerötet. Er werde nicht zurücktreten, ließ Santos seine Landsleute wissen. Er habe die Stimmen beider Lager gehört, die der Gegner und der Befürworter seines Friedensvertrages. Es gehe um die Stabilität.
Ein Rücktritt wäre politisch angemessen gewesen, immerhin hatte das Volk seinem Präsidenten die Gefolgschaft verweigert. Doch in dieser sensiblen Phase des politischen Vakuums hätte seine Demission die Kriegsgefahr nur weiter angeheizt. Santos fühlte sich allein gelassen. Von seinen Landsleuten, von der kolumbianischen Politik, von der internationalen Staatengemeinschaft. Aber er erinnerte sich an seinen eigenen Leitspruch: "Durchhalten, durchhalten, durchhalten."
Inzwischen hat das Nein zum Friedensvertrag - basierend auf teilweise irrationalen Ängsten innerhalb der Bevölkerung vor einer Machtübernahme der Guerilla und einer Amnestie für ihre Kämpfer - allen Unkenrufen zum Trotz in den internationalen Medien eine konstruktive Kraft entfaltet. Erst am Mittwoch waren zehntausende junge Kolumbianer in Richtung Casa Narino marschiert. Sie sangen die Nationalhymne und stellten sich hinter den Präsidenten. Der hörte den leisen aber kraftvollen Gesang seiner Landsleute und fühlte sich endlich in seinen Bemühungen, den Konflikt nach 50 Jahren zu beenden, bestätigt. Endlich ist die Friedensbewegung auch auf der Straße angekommen, dort wo Santos bislang vergeblich um Rückendeckung warb. Und die Studenten legten Wert darauf, dass sie keinem politischen Lager angehören. "Den dritten Weg, den Weg der extremen politischen Mitte", nannte das Santos schon in einem Exklusivinterview mit der "Wiener Zeitung" im vergangenen Jahr.
Vor ein paar Jahren noch galt Santos als einer der meistgehassten Politiker Lateinamerikas. Damals hätte er fast einen Krieg mit den Nachbarländern Ecuador und Venezuela provoziert. Santos führte als Verteidigungsminister unter dem rechtsgerichteten Präsidenten Alvaro Uribe (2002-2010) eine Militäroperation gegen die Farc-Rebellen durch. Nur einen Steinwurf jenseits der ecuadorianischen Grenze hatte die Guerilla ein illegales Lager aufgeschlagen. Die Bomben töten den Farc-Kommandanten Raul Reyes. Ecuadors Präsident Rafael Correa tobte vor Wut. Nicht weil die kolumbianischen Rebellen sein Land als Aufmarschgebiet nutzten, sondern weil Santos, ohne Quito zu informieren, auf die Rebellen losbombte. Correa erklärte Santos zur unerwünschten Person. Und Venezuelas Revolutionsführer Hugo Chavez, politisch mit Ecuador verbündet, drohte offen mit Krieg, sollte sich Santos auch über die venezolanische Grenze zur Rebellenjagd wagen.
Im gleichen Jahr gelang Santos aber auch der bislang größte Coup: die gewaltsame Befreiung der langjährigen Farc-Geisel Ingrid Betancourt aus der Gewalt der Rebellen. Mehr als sechs Jahre lang hielt die Guerilla die grüne Präsidentschaftskandidatin unter erbärmlichen Bedingungen im Dschungel gefangen. Santos leitete das Spezialkommando zur Befreiung, setzte zum Ärger der Schweiz auch einen vermeintlichen Hubschrauber des Internationalen Roten Kreuzes ein. Aber der Zweck heiligte die Mittel. Santos war mit diesem Schachzug zum populären Präsidentschaftskandidaten avanciert und gewann zwei Jahre später den Urnengang. Die beiden Erlebnisse waren für Santos prägend.
Wider die Kriegstreiber
Der Friedensnobelpreis holt Santos aus seiner Ecke, in der er nach der verlorenen Volksabstimmung wie ein angeschlagener Boxer taumelte. Dorthin hatte ihn sein einstiger politischer Ziehvater Uribe hineinmanövriert. Aus den beiden Mitstreitern wurden politische Feinde. Uribe, dessen Vater von den Rebellen getötet wurde, hat es Santos nie verziehen, dass er mit der Guerilla verhandelt. Das alles ist nicht vergessen, doch mit dem Friedensnobelpreis für ihn und das kolumbianische Volk im Rücken wird es für Uribe schwerer, den Prozess weiter zu torpedieren. "Die Botschaft ist, dass wir durchhalten müssen, um ein Ende dieses Krieges zu erreichen. Wir sind nah dran", sagte der Präsident am Freitagmorgen. Santos glaubt wieder an seine Chance.
Nun ist es Uribe, der viel zu verlieren hat. Er steht nun als Kriegstreiber in der Arena gegen Santos da, den Friedensnobelpreisträger.