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Der Halbmond hängt schief

Von Clemens Neuhold

Politik
Beten im Islamischen Zentrum: Die größte Moschee in Wien ist seit ihrer Errichtung in den 1970er Jahren von den Saudis finanziert. Das störte niemanden. Nun ist es verboten.

Analyse: Wie das Islamgesetz zum Symbol für die neue Beziehung zwischen Österreich und seinen Muslimen wurde.


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Wien. 2012 zelebrierte Österreich das 100-Jahr-Jubiläum seines Islamgesetzes. Zu Recht, denn kein anderes europäisches Land bindet den Islam auf diese Weise ein und gewährt ihm rechtliche wie gesellschaftliche Anerkennung. Die Krönung der Feierlichkeiten im Wiener Rathaus - die Neufassung des Islamgesetzes - musste damals ausbleiben. So gerne hätte die Islamische Glaubensgemeinschaft neue Rechte für die 560.000 Muslime in Österreich verkündet, etwa Seelsorge und Halal-Speisen im Spital, Bundesheer Krankenhaus; Feiertage und Friedhöfe bis hin zur Imam-Ausbildung an der Uni Wien. Doch die Verhandlungen zogen sich.

Partyschreck Islamgesetz

Erst diese Woche beschloss das Parlament das neue Gesetz mit besagten Punkten. Zum Feiern ist heute aber niemandem mehr zumute. Stattdessen wurde das Islamgesetz - nach Monaten des Protestes - zum Symbol für die neue Beziehung zwischen Österreich und seinen Muslimen. Und deren Verhältnis ist atmosphärisch gestört.

Was ist geschehen?

Im Juni 2014 trug der damalige türkische Premier und jetzige Präsident Recep Tayyip Erdogan den Wahlkampf zu "seinen" Wiener Türken. Die Tickets für den Auftritt lagen unter anderem bei der Türkisch Islamischen Union (Atib) auf, diese ist mit 65 Moschee-Vereinen der größte Verein in der Glaubensgemeinschaft. Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz verurteilte die "Einmischung aus der Türkei" scharf, weil diese "schädlich für die Integration der Türken" sei.

Im selben Monat rief die Terrororganisation "IS" ihr Kalifat im Nordirak und in Nordsyrien aus.

Die beiden Entwicklungen haben auf den ersten Blick nichts mit dem Islamgesetz zu tun. Doch beides floss auf mehr oder weniger subtile Weise in das Gesetz und die Debatten darüber ein. So entstand die teils vergiftete Atmosphäre, die noch bei den Feiern 2012 niemand für möglich hielt.

Zum Erdogan-Besuch und "seinen" Vereinen in Österreich: Die 65 Atib-Vereine werden von der Türkei finanziert. Die Imame, die dort predigen, unterstehen direkt dem türkischen Minister für religiöse Angelegenheiten und werden von diesem bezahlt. Dies führt uns zu jener Passage im Islamgesetz, an der sich der Protest vieler Muslime gegen das Islamgesetz am heftigsten entzündet: dem Verbot der Auslandsfinanzierung muslimischer Vereine.

Hauptbetroffen ist Atib. Ab 2016 muss die Union schauen, wie sie ihre Mieten und Imame ohne Geld aus Ankara finanziert. Atib klagt beim Verfassungsgerichtshof und hat durchaus Chancen. Führende Juristen sehen im Verbot eine Ungleichbehandlung im Vergleich mit anderen Religionen. ÖVP und SPÖ beschlossen das Verbot dennoch. Hätte Erdogan seinen langen Arm nach Österreich 2014 nicht derart demonstrativ ausgestreckt und damit die Regierung brüskiert, sie hätte sich die Rechtsscharmützel wohl erspart und mit den Muslimen das Gesetz gefeiert. Denn zuvor war es selbst der viel islamkritischeren ÖVP-FPÖ-Regierung (2000 bis 2006) herzlich egal, wie sich Atib finanziert.

Positive Grundeinstellung?

Zum zweiten Grund für die gestörte Beziehung: dem islamistischen Terror mit dem IS als Bannerträger. Seit die Schlächter hunderte Kämpfe auch aus Österreich in den Heiligen Krieg locken, ist die Sensibilität gegenüber dem radikalen Islam enorm gestiegen - bei Nicht-Muslimen wie auch bei Muslimen. Wenn es im neuen Islamgesetz heißt, Muslime müssten eine "positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat" haben, denken sich viele Muslime: "Na no na net" und sehen sich unter Generalverdacht; wenn ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka das Gesetz als "entsprechende Antwort auf den Islamismus" bezeichnet, kann man ihnen das nicht verübeln. Dabei soll der Passus nur daran erinnern, dass religiöse Vorschriften, die bei Muslimen tief in den Alltag reichen, nie über staatlichem Recht stehen dürfen. Ohne IS-Wahnsinn hätte man die Passage wohl überlesen und gemeinsam gefeiert - wie 2012.

Der IS ist nicht der Islam

Fakt ist: Es ist gerade nicht der junge Kemal, der mit seinem Gastarbeiter-Vater in die Atib-Moschee geht, der dem typischen IS-Kämpfer entspricht. Vielmehr würde er dort auffallen und (hoffentlich) die alten Herren auf den Plan rufen, wenn er plötzlich mit Rauschebart antanzt, radikale Sprüche aus der IS-Netzpropaganda klopft und seine Freundin in die Burka steckt. In Österreich stellen entwurzelte "Kriegs"-Tschetschenen mehr als die Hälfte der IS-Kämpfer. Und die kennen den "wahren" Islam von radikalen YouTube-Predigten.

Atib wurde zunächst vom türkischen Staat gegründet, um die Diaspora enger an sich zu binden und sie von anderen - loseren und konservativeren Islam-Vereinen - fernzuhalten. Mit Erdogan wurde zwar auch Atib konservativer und "türkischer", was nicht alle dort freut; aber wenn eine Zeitung das Verbot der Atib-Finanzierung aus der Türkei als Ende der "Terrorfinanzierung" bezeichnet, zeigt das, wie vergiftet die Atmosphäre ist und wie wenig Fakten in der Debatte zählten. Politisch legitim ist der Anspruch von ÖVP und SPÖ aber allemal, dass Erdogan und die Saudis nicht ihren politischen Islam in Österreich mit Geld verbreiten.

Einschub: Obwohl Saudi-Arabien der ideologische Nährboden für islamistischen Extremismus ist, war Saudi-Geld für die größte Moschee in Wien seit den 70er Jahren willkommen; dem mittlerweile höchst umstrittenen Saudi-Zentrum für Religionsdialog rollte man gar den roten Teppich aus.

Nun werden die Geldflüsse trockengelegt: Und damit haben viele Muslime gar kein Problem. Denn die Community mit ihren 560.000 Muslimen ist heterogener, als man denkt. Die 80.000 Aleviten begrüßen das Islamgesetz einhellig. Auch die muslimische Mehrheit der 200.000 Bosnier ist es gewohnt, sich ihr Vereinsleben selbst zu finanzieren.

Mit ihrer Propaganda gegen das Finanz-Verbot trugen auch manche Kritiker des Gesetzes zur schlechten Atmosphäre bei.

1971 gab es 23.000 Muslime in Österreich, heute sind es 560.000. Deswegen kann die Islam-Politik von heute nicht mit jener von 1912 oder 1971 verglichen werden. Und aus Sicht der Integration ist ein "Islam österreichischer Prägung" nicht verkehrt. Dessen Emanzipation vom Ausland hätte man besser durch andere, rechtlich wasserdichte Maßnahmen erreicht. Das historisch einzigartige Islamgesetz ist dadurch aber noch lange nicht "tot", wie die Muslimische Jugend meint, sondern weiterhin einzigartig.

Gemeinsame Feinde

Die Beziehung zwischen Staat und Islam geht aber in eine neue Etappe. Und das kann auch positiv sein, wenn sich die Vereine weiterhin laut, kritisch und selbstbewusst in die Debatte einbringen und die Regierung deutlich sagt, was sie erwartet. Das ist besser, als sich nur bei Jubiläumsgalas auf die Schulter zu klopfen.

Die Beziehungskrise muss rasch überwunden werden, weil Österreich und seine Muslime gemeinsame Feinde haben: islamistische Extremisten auf der einen Seite und all jene, die einfache Muslime im Alltag attackieren, auf der anderen. Wenn solche Übergriffe nämlich zum Normalfall werden, hat Österreich verloren - Islamgesetz hin oder her.