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Der Hangover nach dem Honeymoon

Von Wolfgang Liu Kuhn

Politik
Cameron und Xi im Pub in Princes Risborough im vorigen Herbst: An Londons Ziel - chinesische Investoren anzulocken und britische Finanzdienstleistungen an China zu verkaufen hat - sich seit dem Brexit-Votum nichts geändert. An den Chancen auf Erfolg schon.
© reu/Wigglesworth

Mit dem Brexit werden die Karten zwischen Großbritannien und China neu gemischt - nicht unbedingt zum Nachteil der Volksrepublik.


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London/Peking. Nicht einmal ein Jahr ist es her, als der damals amtierende britische Premierminister David Cameron seinen Staatsgast Xi Jinping in ein Pub einlud. Der chinesische Präsident prostete seinem Gastgeber generös mit einem Pint Greene King IPA zu und rief das "goldene Zeitalter" der Beziehungen zwischen den beiden Ländern aus: "Niemals kann ein Berg zu hoch oder ein Ozean zu tief sein", bemühte Xi ein altes Sprichwort aus China für die frisch geknüpften Bande.

Acht Monate später bleibt vom Bier nur noch der Kater, denn selbst wenn Ozeane und Berge überwunden werden können - der Brexit dürfte sich als Beziehungskiller für die recht junge Liebe erweisen. Denn obwohl sich die Briten insbesondere bei besagtem Staatsbesuch bis zur Unterwürfigkeit verbeugten, ließ sich Xi von den Huldigungen nur mäßig beeindrucken. Stattdessen forderte er Großbritannien zumindest indirekt auf, in der EU zu verbleiben. Ein für seine Politik höchst ungewöhnlicher Schritt - denn er steht im Widerspruch zum chinesischen Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder.

Bekanntermaßen haben die Briten nicht auf Xis Machtwort gehört, und dieser ist nun über den Ausgang des Referendums not amused. Denn zumindest mittelfristig zählt auch China zu den Verlierern des Brexit: Wie alle anderen größeren Volkswirtschaften ist das Reich der Mitte von der durch das Referendum ausgelösten Unsicherheit auf dem Finanzsektor betroffen. Unmittelbar nach dem Votum fiel der Yuan auf ein Fünf-Jahres-Tief. Eine geschwächte europäische Wirtschaft wird auch die chinesischen Exporte in die Region und entsprechende Investments beeinflussen.

"Angesichts einiger kurzfristiger Fluktuationen sollten die Märkte ruhig bleiben", bemühte sich Premier Li Keqiang beim WEF Wirtschaftsforum in Tianjin, die Investoren zu beruhigen. Tatsächlich hat der Ausgang des Entscheids auch seine Regierung auf dem falschen Fuß erwischt, denn mit Großbritannien verliert China seinen zuverlässigsten Fürsprecher innerhalb der EU. Kein anderes Land setzte sich innerhalb der Union so stark für die Gewährung des umstrittenen Marktwirtschaftsstatus für China ein; bis zur Selbstaufgabe klammerten die Briten auch das heikle Thema der Menschenrechte in den letzten Jahren komplett aus.

Das war freilich nicht immer so: Noch 2007 äußerte sich Cameron bei einer Reise durch China ziemlich unverblümt zu den politischen Repressionen im Land, 2012 wurde er vorübergehend zur persona non grata, als er den Dalai Lama in London empfing. Das änderte sich, als Xi 2013 Staatspräsident wurde und sich Schatzkanzler George Osborne mit den Worten "Ich sehe keinen fundamentalen Widerspruch zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und legitimen Problemen der Menschen im Umgang mit Menschenrechten" zum Architekten des "goldenen Beziehungszeitalters" aufschwang. Mittelfristig gesehen wird China seinen bequemsten Partner innerhalb der EU durchaus vermissen - auch, weil bereits getätigte Milliardeninvestitionen neu überprüft werden müssen und der Finanzstandort London als Hauptpfeiler für die Internationalisierungsbemühungen des Yuan durchaus in Frage gestellt werden könnte.

Am längeren Ast

Langfristig gesehen dürfte der Brexit den strategischen Zielen der Volksrepublik nicht ungelegen kommen. Denn alle bisherigen Planungen gingen von der Annahme aus, dass die EU trotz des Ausscheidens Großbritanniens weiterhin politisch und wirtschaftlich stark bleibt. Angesichts des Aufstiegs von Populisten und Rechtsparteien zweifeln auch in China immer mehr Entscheidungsträger an dieser Prämisse. Das Szenario eines geschwächten und zersplitterten Kontinents wird für die Machthaber in Peking jedenfalls realistischer - und es ist für sie nicht unbedingt ein Nachteil: Ein starkes Europa hatte bislang noch ausreichend Pokerchips, um China als wirtschaftlichen und politischen Wettbewerber einigermaßen die Stirn zu bieten. Verhandlungen mit Einzelstaaten sind zwar komplizierter, doch es besteht kein Zweifel, dass die Volksrepublik in bilateralen Gesprächen die Oberhand behalten wird.

Auch bei der Währung dürfte China im Endeffekt am längeren Ast sitzen: Der Brexit hat das Standing des Pfund als internationale Währung untergraben - und das nur wenige Monate, bevor der Renminbi im Oktober vom IWF in den internationalen Währungskorb aufgenommen wird. Auch die Investoren dürften sich nach den tektonischen Plattenverschiebungen in Europa auf die Volksrepublik rückbesinnen - trotz der nach wie vor nicht ausgestandenen Turbulenzen an den Börsen und der immer lauter tickenden Schuldenkrise.

Vor allem aber ist der Brexit ein Triumph für die chinesische Propaganda, die schließlich schon immer vor den schädlichen Auswirkungen der Demokratie gewarnt hat. Wenn mit Griechenland die älteste Demokratie der Welt am Abgrund taumelt und sich Großbritannien in eine veritable Krise wählt - was erst, wenn sich die Amerikaner im Herbst für Donald Trump entscheiden?