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Der harte Kampf gegen das Vergessen

Von Martina Pock

Politik
© Martina Pock

In Graz wurden Tafeln, die an Österreichs NS-Vergangenheit erinnern, abmontiert, andere steirische Gemeinden wehrten sich gegen ein Aufstellen.


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Graz. Ein klares Nein des Stadtsenats hat Ende Juli die Abmontage von elf NS-Gedenktafeln in Graz besiegelt. Eine von der grünen Stadträtin Lisa Rücker eingebrachte Dringliche Anfrage dagegen fand keine Mehrheit. Das 2010 enthüllte Projekt des deutschen Künstlers Jochen Gerz "63 Jahre danach" wurde vom Straßenbauamt, das FPÖ-Stadtrat Mario Eustaccio untersteht, abgebaut.

"Die Entscheidung gegen eine nochmalige Verlängerung ignoriert, dass Graz eine besondere Verantwortung im Umgang mit dem Gedenken an den Nationalsozialismus hat. Und es ist auch auffallend, dass sich wesentliche Vertreter des Landes als Auftraggeber für das kulturpolitische Gedenkprojekt in der Diskussion der letzten Wochen sehr zurückgehalten haben", so Rücker. Die grüne Stadträtin schrieb Briefe an Kulturlandesrat Christian Buchmann (ÖVP) und Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) mit der Bitte, das Projekt bis 2015 zu erhalten. Laut Rücker blieben beide Briefe unbeantwortet. Buchmann selbst unterstellt wiederum Rücker, in dieser Angelegenheit "nur halbherzig gekämpft zu haben", wie er sagt. "Wenn Frau Rücker nicht imstande ist, ihre Kollegen in der Stadtregierung zu überzeugen, dann mache ich ihre Arbeit gerne mit", sagt Buchmann zur "Wiener Zeitung". Er hatte zwischen 2003 und 2005 selbst als Kulturstadtrat fungiert. "Nur Brieferl schreiben ist zu wenig."

Doch Rückers Briefe sind nicht die einzigen, die unbeantwortet blieben. Der Grazer Zeithistoriker Helmut Konrad, der seit Beginn an diesem Projekt beteiligt war, hatte sich postalisch an den Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) gewandt: "Ich habe vorgeschlagen, für 2015 einen Wettbewerb für ein neues Projekt auszuschreiben als Ersatz für die Gedenktafeln von Gerz und als Antwort der Stadt auf 1945." Auch Konrad erhielt bisher keine Antwort auf sein Schreiben.

Kriegerdenkmal ja,Gedenktafeln nein

Doch nicht nur in Graz, auch anderswo in der Steiermark waren und sind die Tafeln von Gerz Thema von Auseinandersetzungen. In zwölf Gemeinden sollten sie aufgestellt werden, doch vier lehnten ab. In Haus im Ennstal konnte einfach "kein ordentlicher und ehrwürdiger Platz gefunden werden", wie es von der Gemeinde heißt, auch Bad Mitterndorf entschied sich aus ähnlichen Gründen dagegen. Außerdem, so Bürgermeister Karl Kaniak von der Liste "JA Grimmingdialog", hätte man das Projekt ohne Rücksprache mit Bad Mitterndorf gestartet.

In Neumarkt in der Steiermark lehnte der Gemeinderat mit dem Argument ab, dass Nachbarorte besser geeignet wären, da "Mahnmale dort aufgestellt werden sollen, wo Bezugspunkte vorhanden sind", wie es im Protokoll der damaligen Sitzung heißt. Im obersteirischen Rohrmoos scheiterte das Projekt ebenfalls am Gemeinderat. Die Region um den Dachstein sei zwar sehr stark Nazi-lastig gewesen, erklärt Amtsleiter Hubert Schwab. Doch diese Art der Aufarbeitung der Problematik ohne Detailinformation sei nicht zielführend.

Die Gemeinde Eisbach-Rein hatte die Tafeln aufgestellt, bald aber mussten sie einem Bus-Umkehrplatz weichen. Man werde sie wieder montieren, wenn sich ein geeigneter Platz finden lässt, sagt Ortschef Wolfgang Lagger (FPÖ).

Es geht auch anders. In den Gemeinden Leoben, Feldbach, Selzthal, St. Ilgen und Wagna werden die Tafeln von Gerz stehen bleiben. "Die kommen ganz, ganz sicher nicht weg. Dies ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte", sagt der Bürgermeister von Wagna, Peter Stradner (SPÖ).

Und auch in Rohrmoos, das gegen die Tafeln stimmte, wird die Geschichte nicht ausgeblendet. Es gibt sogar ein kleines NS-Mahnmal, doch das ist stark verwittert und kaum noch lesbar. Und ein Kriegerdenkmal, von denen es in der Steiermark 586 gibt, steht ebenfalls in Rohrmoos. Aufgestellt von der Bevölkerung und dem Österreichischen Kameradschaftsbund, werden die Mahnmale für die Gefallenen mit Mitteln aus dem steirischen Volkskulturressort gepflegt. 2012 gab es dafür 10.000 Euro.

Versöhnung mit ehemaligen Nazis

Dass der Umgang mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Österreich kontrovers war und ist, bestätigt auch die Zeithistorikerin Heidemarie Uhl. "Während man in den ersten Jahren nach Kriegsende im Sinne eines antifaschistischen Grundkonsens in erster Linie Denkmäler für den Widerstand gegen das NS-Regime errichtet hat, waren ab 1949 beinahe ausschließlich die Gefallenen der Wehrmacht denkmalwürdig."

Stellvertretend für den Umgang der lokalen Politik mit der NS-Geschichte ist wohl auch die Errichtung des "Grazer Freiheitskämpfer Denkmals" 1949 beim Paulustor. Die ursprünglich geplante figurale Gestaltung wurde verworfen, obwohl diesem Projekt ein 1946 ausgeschriebener Wettbewerb vorausgegangen war. Die Wettbewerbsjury unter dem Vorsitz des damaligen Grazer Bürgermeisters Eduard Speck (SPÖ) kam ein Jahr später aber zu dem Entschluss, "von der Anbringung eines Bildwerks Abstand zu nehmen und nur eine Gedenktafel an der Mauer anzubringen". Bei der Enthüllung der Tafel ließen sich Bürgermeister und Landeshauptmann vertreten. Die kommunistische Zeitung "Wahrheit" berichtete: "Man hatte den Eindruck, dass es mehr eine lästige Pflicht war als eine Anerkennung und Würdigung der heroischen Taten der Freiheitskämpfer."

"Innenpolitisch ausschlaggebend war die Konkurrenz der beiden großen Parteien ÖVP und SPÖ um die Wählerstimmen der ehemaligen Nazis", sagt Historikerin Uhl. Auf den Kriegerdenkmälern sind die Jahreszahlen "1939-1945" zu lesen, das Jahr 1938 kommt nicht vor. "Bereits diese Jahreszahlen signalisieren die Ausblendung des Nationalsozialismus und damit der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen aus dem lokalen Gedächtnis", sagt die Historikerin.

Die Waldheim-Affäre als große Zäsur

Die Waldheim-Debatte 1986 hat einen Perspektivenwechsel bewirkt, auf staatlicher und auch auf lokaler Ebene wurden die Opfer des Nationalsozialismus endlich gewürdigt, in Graz etwa durch den Neubau der 1938 zerstörten Synagoge. Auch innerhalb des Kameradschaftsbunds hat vielerorts ein Generationenwechsel stattgefunden. Allerdings hat sich der ÖKB bis heute nicht klar vom "Heldengedanken" an die deutsche Wehrmacht distanziert. So lehnt der Verein das geplante Mahnmal für Deserteure am Wiener Ballhausplatz entschieden ab.

Auch Jochen Gerz scheiterte beim Thema Deserteure. Im Jahr 1996 hatte er den Wettbewerb für ein Kunstwerk für den Grazer Feliferhof, eine ehemalige NS-Erschießungsstelle und jetzigen Militärschießplatz gewonnen. Dabei sollten vier Fahnen mit den Aufschriften "Auf Mut steht der Tod", "Verrat am Land wird dekoriert", "Barbarei ist die Soldatenbraut" und "Soldaten so heißen wir auch" künftig von den Wehrdienstleistenden aufgezogen und eingeholt werden. Auch hier organisierte der Verein der Kriegsveteranen Widerstand gegen das Vorhaben.

Was mit den Tafeln in Graz nun passieren wird, ist noch unklar. FPÖ-Stadtrat Eustaccio hat angeboten, die Tafeln in den Skulpturenpark am Stadtrand zu stellen. Doch der Vorschlag erinnert an das leidige Schicksal des Grazer "Uhrturmschattens". Denn das vom österreichischen Künstler Markus Wilfling für das Kulturhauptstadtjahr 2003 errichtete Projekt am Schlossberg, das an die NS-Schattenseite von Graz erinnern sollte, wurde auch verlegt. Es steht heute auf einem Kreisverkehr an einer Zufahrt zu einem Shoppingcenter nahe der Autobahn im Süden von Graz.