Der Dorfpfarrer Jaime Larrinaga wagte es die Methoden der baskischen Untergrundorganisation ETA zu kritisieren und sich der Opfer ihrer Terroranschläge anzunehmen. Er wurde daraufhin jahrelang bedroht und zum "Verräter" gestempelt. Aber nicht der Druck der ETA, sondern der tiefe Graben durch seine Gemeinde zwingen Larrinaga nun zum Rückzug.
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30 Jahre kümmerte sich Dorfpfarrer Larrinaga um seine baskische Ortschaft Maruri. Er war beliebt, galt als einfühlsam und angenehm. Immer war er zur Stelle, wenn jemand Hilfe brauchte. Vor vier Jahren aber wendete sich das Blatt. Der katholische Geistliche wagte es, die Ziele und Methoden der ETA öffentlich zu kritisieren. Von der Kanzel aus plädierte er für eine freies und pluralistisches Baskenland und zog sich damit den Zorn baskischer Nationalisten zu.
Als Larrinaga 1999 das Forum El Salvador gründete, brachte er das Fass zum Überlaufen. Er versammelte gleich gesinnte Geistliche und stellte sich, wie er sagte, "auf die Seite derer, die leiden": die Opfer und die Hinterbliebenen des ETA-Terrors. Bis dahin hatte es kaum ein baskischer Pfarrer gewagt, sich öffentlich um die Hinterbliebenen von Terroropfern zu kümmern. Getötete oder verhaftete ETA-Terroristen wurden in ihren Dörfern zu Helden erklärt, und manche Pfarrer weigerten sich sogar, die Totenmesse für Terroropfer in ihren Heimatorten zu lesen - um "nicht das diffizile Miteinander der Gemeinde zu stören".
Kein Verständnis bei den Nationalisten
Das öffentliche Eintreten für ETA-Opfer und die Unterstützung der Hinterbliebenen brachten Larrinaga viel Ärger ein. Während er Toleranz und Brüderlichkeit predigte, zogen vor seiner Kirche Nationalisten mit Spruchbändern auf und beschimpften ihn als "Verräter an der baskischen Sache". Bürgerbewegungen wie das Forum von Ermua und "Basta ya" (Es reicht), die sich ebenfalls für ETA-Opfer einsetzen, sammelten sich vor der Dorfkirche von Maruri zu Gegendemonstrationen. Der Bürgermeister Jose Alzaga, der aus der Baskisch-Nationalistischen Partei PNV kommt, klagte Larrinaga öffentlich an, Unfrieden zu stiften. Maruri und sein Pfarrer wurden für die baskischen Nationalisten wie für die ETA-Gegner zum Mittelpunkt des innerbaskischen Konflikts, in dem die Hälfte der Bevölkerung für die Unabhängigkeit plädiert und die andere Hälfte an der Zugehörigkeit zu Spanien festhält.
Immer schlimmer wurden die Drohungen und Beschimpfungen gegen Larrinaga. Als die ETA seinen baldigen Tod ankündigte, nahm er sich als erster katholischer Pfarrer Spaniens einen Leibwächter. Doch seinen Kampf für die Terroropfer gab er nicht auf. Auf die Unterstützung der Diözese konnte er nicht hoffen: Zu zerstritten sind der nationalistisch und der hispanisch gesinnte Klerus. Der Bischof von Bilbao, Ricardo Blazquez, bot ihm lediglich die Versetzung in ein anderes Dorf an. Das lehnte Larrinaga ab. Er wollte nicht dem Druck der Nationalisten und der ETA-Terroristen weichen. Nun gibt aber selbst der mutige Pfarrer auf.
Spaltung der Gemeinde nicht mehr überbrückbar
Am Sonntag feierte er zum letzten Mal die Messe in Maruri und erläuterte seinen noch treuen Gemeindemitglieder die Gründe seines Rücktritts. "Dieser aggressive Nationalismus ist ein Wahnsinn. Die Gemeindemitglieder gingen sonntags in andere Dörfer zur Messe und hatten eine unglaublichen Hass auf mich. Dabei habe ich doch nichts anderes getan, als Hilfsbedürftige zu unterstützen", sagte der Pfarrer der Tageszeitung "El Mundo".
Grund seines Rücktritts sei nicht die Furcht, der ETA zum Opfer zu fallen, sondern die Konfrontation mit seinen Gemeindemitgliedern, betont der Pfarrer. Eltern hätten verhindert, dass ihre Kinder aus seiner Hand die Erstkommunion erhalten und immer mehr Gläubige blieben der Messe fern. Als er einer alten Frau die Krankensalbung bringen wollte, verweigerte ihm ihr Sohn den Zutritt ins Haus. Das war selbst für den standhaften Pfarrer Jaime Larrinaga zu viel. Er wird nach den Sommerferien im September in einer neuen Gemeinde anfangen. Den neuen Ort seines Wirkens teilte das Ordinariat in Bilbao nicht mit. Und auch Larrinaga schweigt. Er möchte nicht noch mehr Aufsehen.