In den kommenden Jahren werden bis zu 60 Prozent aller Allgemeinmediziner in Pension gehen.
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Wien. Es ist eines der grundsätzlichen Dilemmas der Demokratie, dass die Dauer der Legislaturperioden die Kurzfristigkeit fördert, während die komplexe Realität oft ganz andere Lösungen verlangt. Ein Beispiel dafür sind die größer werdenden Lücken in der allgemeinmedizinischen Versorgung.
Dieses Problem ist seit langem bekannt, die Politik weiß um die bevorstehende Pensionierungswelle und sich verändernde Interessen angehender Mediziner. Ein gut funktionierendes Hausarzt-System ist auch nicht nur gesundheitspolitisch von Bedeutung, es ist längst zu einem Grundbedürfnis der Menschen geworden. Und dennoch: "Von der Politik kommt nichts außer Floskeln", sagt der Allgemeinmediziner Edgar Wurtscher, Vorstand der Tiroler Ärztekammer.
Tatsächlich ist nicht nur die Politik Entscheidungsträger in dieser Sache, auch die Ärztekammer, der Hauptverband sowie die universitären Einrichtungen gehören dazu, die Politik hat aber eine gesamtheitliche Steuerung bisher vermissen lassen - wohl auch wegen des zuvor erwähnten Dilemmas der Demokratie.
So begannen und endeten Legislaturperioden, und begannen wieder von vorn. Irgendwann bekamen dann einige Politiker, primär Bürgermeister in kleinen Gemeinden, die ersten Windstöße der anrollenden Herausforderung zu spüren. Kassenstellen konnten nur mühsam neu besetzt werden. Die große Pensionswelle rückt näher, sie wird nun zu einem kurzfristigen Problem, und das bringt die Politik immer auf den Plan.
Ins Regierungsprogramm haben sich ÖVP und FPÖ hineingeschrieben, dass sie die Rahmenbedingungen für Hausärzte attraktiver gestalten und die Versorgung sicherstellen wollen. Noch hat die Regierung aber nicht konkretisiert, wie sie diese Ziele erreichen will.
"Ein unglaublichkomplexes Problem"
In einem - durchaus bemerkenswerten - Prozess haben nun Hausärzte selbst, und zwar in Kooperation mit der Ärztekammer und der universitären Allgemeinmedizin, einen Masterplan entwickelt, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. "Es pressiert schon", sagt Susanne Rabady, die den Masterplan initiiert und mit einem Team koordiniert hat. Sie selbst ist Hausärztin in einer kleinen Gemeinde im Waldviertel. "Es fehlt ein strukturierter Zugang zu diesem Problem, das unglaublich komplex ist", sagt Rabady von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM).
Der Masterplan lässt sich dabei durchaus auch als Einsparungsprogramm lesen - langfristig gesehen. Wenn die Rahmenbedingungen nicht attraktiv genug sind, die Politik aber gleichzeitig die medizinische Versorgung sicherstellen will (und muss), wird es teuer. Schon jetzt fließen in einigen Gemeinden öffentliche Gelder in die Adaptierung und Renovierung von Arztpraxen.
Mehr Allgemeinmedizinan den Universitäten
Der Masterplan setzt aber schon viel früher an: in der Ausbildung. Die Allgemeinmedizin ist universitär eher ein Nebendarsteller, die Innbrucker Med-Uni hat gar kein eigenes Institut für dieses Fach, in Wien sind es eineinhalb Lehrkräfte für 660 Studenten. Es hat sich zwar einiges verbessert im Curriculum, eben weil die Dringlichkeit erkannt wurde, aber noch nicht genug. Auch die Studierenden wünschten sich eine größere Bedeutung der Allgemeinmedizin, sagt Stephanie Poggenburg vom Institut für Allgemeinmedizin in Graz. "86 Prozent wollen mehr Allgemeinmedizin im Studium. Und nur 15 Prozent der Allgemeinmediziner fühlen sich danach gut vorbereitet."
Die Hausärzte fordern eine Aufwertung ihres Berufs, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Ein Punkt des sehr detaillierten Masterplans sieht etwa die Schaffung des Facharztes für Allgemeinmedizin vor. Österreich ist mittlerweile eines der wenigen Länder in Europa, in dem die Allgemeinmedizin keine eigene Fachrichtung ist. Was wohl auch ein Grund ist, weshalb es junge Ärzte hierzulande überproportional ins Ausland zieht. Laut Poggenberg entscheiden sich 40 Prozent der Absolventinnen und Absolventen dafür, Österreich zu verlassen.
Auch die Praxis während des Studiums ist ein Baustein, das zeigen auch Studien aus Deutschland. Bei der Erarbeitung des Masterplans wurde generell auf wissenschaftliche Evidenz zurückgegriffen, sofern verfügbar, zudem wurden auch Hausärzte direkt befragt und eingebunden. Mehr als 60 beteiligten sich an der Erarbeitung des Strategiepapiers, das bei jeder Maßnahme Umsetzungsstand und Umsetzungspartner auflistet und auch auf bereits vorhandene Best-Practice-Beispiele verweist.
Auch Honorare sollenangehoben werden
Denn es passiert seit einigen Jahren schon einiges, aber eben punktuell und oft nur regional. Ein Beispiel: Salzburg und Oberösterreich ermöglichen bereits eine bis zu dreijährige Übergabephase bei einer Praxis, um junge Mediziner langsam in die Selbständigkeit einzuführen. Aber diese Option gibt es eben nicht überall.
Dass sich eine Aufwertung und Attraktivierung auch in der Honorierung niederschlagen und der Abstand zur Entlohnung von Fachärzten geringer werden muss, ist naheliegend. Und teilweise passiert dies auch schon. Dass dies, jedenfalls kurzfristig, zu höheren Ausgaben führen würde, ist klar. "Aber was kostet uns eine kaputte Hausarztversorgung?", fragt Susanne Rabady.
Langfristig sieht die Schlussrechnung anders aus. Eine Kontinuität bei der medizinischen Betreuung führt nachweislich zu besseren Ergebnissen, ein Ausweichen in viel teurere Ambulanzen wird zudem verhindert oder zumindest reduziert. ÖGAM-Präsident Christioph Dachs sagt: "Die Rendite kommt in 10 bis 15 Jahren." Oder anders gesagt: in zwei bis drei Legislaturperioden.