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Der heikle Fall Jeschua ben Josef

Von Christoph Rella

Wissen

Wurde Christus zu Recht verurteilt? | Experten streiten seit Jahrzehnten. | Jurist: "Evangelien tendenziös." | Wien. Vor rund 1980 Jahren wurde in Jerusalem ein Mann namens Jeschua ben Josef von einem Religionsgericht und einem weltlichen Gericht zum Tode verurteilt und gekreuzigt. Zwei Milliarden Christen auf der ganzen Welt gedenken heute in Gottesdiensten und Kreuzwegandachten des Todes ihres Religionsstifters - Jesus Christus. Im Mittelpunkt jeder Karfreitagsliturgie: Die Lesung der Leidensgeschichte, also die Erzählung des Prozesses Jesu und seiner Hinrichtung am Kreuz.


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Dabei handelt es sich bei dem Prozess Jesu um eine der umstrittensten und am häufigsten beschriebenen Episoden des Neuen Testamentes. Heftig diskutiert wurde der Kreuzestod Christi bisweilen von Theologen und Historikern - deren Schar schließlich nach 1945 um die Zunft der Juristen erweitert wurde, nachdem die Frage nach der "Schuld" an Jesu Tod im Dunkel des Holocausts virulent geworden war. Hatten die Juden Jesus Christus, dessen Blut laut den Evangeliumstexten über sie und ihre Kinder kommen sollte, tatsächlich getötet? Wer trägt "Schuld" für die Hinrichtung des Zimmermanns aus Nazareth? Und: Wie fair war dieser Prozess wirklich?

"Ob Jesus zu Recht oder zu Unrecht verurteilt wurde, ist aufgrund der wenigen Quellen, die wir haben, nicht objektiv zu beantworten", sagt dazu Walter Rechberger, der Jurist und Vorstand des Instituts für Zivilverfahrensrecht an der Universität Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Schließlich handle es sich bei den Evangelien um keine Augenzeugenberichte, und auch die wenigen erhaltenen Darstellungen der Römer lieferten nur spärliche Informationen.

Urteil war rechtens

Dass sich Rechberger dennoch gut vorstellen kann, dass das Urteil gegen den "Messias" und "König der Juden" rechtmäßig zustande gekommen ist, liegt in der damals gültigen Gesetzeslage begründet. Demnach war Jeschua ben Josef vom Hohen Rat, der höchsten jüdischen Instanz, der Gotteslästerung angeklagt worden, nachdem er immer wieder öffentlich bezeugt hatte, der Sohn Gottes zu sein. Eine Aussage, die der Deliquent laut den Evangelien dem Hohepriester Kaiphas gegenüber - wenn auch indirekt - sogar noch bestätigte, als er antwortete: "Du sagst es." Die Juden freilich werteten diese Aussagen als Geständnis.

"Man muss wissen, dass Judäa zu dieser Zeit ein Gottesstaat war und Gotteslästerung als Kapitalverbrechen angesehen wurde, der mit dem Tod bestraft wurde", skizziert der Uni-Professor. "Gab sich also jemand als Gott oder göttlich aus, musste er mit dem Schlimmsten rechnen." So gesehen sei auch nachvollziehbar, warum der Hohe Rat letztendlich auf die Anhörung von Zeugen - ein Verhör wie bei den Römern war nach jüdischem Recht damals nicht üblich - verzichtete und Jesus an den römischen Statthalter, Pontius Pilatus, auslieferte. Grund: Den jüdischen Behörden, die ja der römischen Besatzungsmacht unterstanden, war es nicht gestattet, jemanden hinzurichten.

Evangelien "tendenziös"

Pilatus, der in den herkömmlichen Quellen als grausam und korrupt beschrieben wird, kommt in den Evangelien wiederum überraschend gut weg; eine Darstellung, die auch Rechberger als "tendenziös" kritisiert. Bemerkenswert sei aber, so Rechberger, dass Jesus vor dem römischen Gericht nicht mehr wegen eines religiösen Motivs, also der Gotteslästerung, sondern eines politischen Vergehens, nämlich der König der Juden zu sein, angeklagt wird. "Nach römischem Recht galt bereits der Anspruch, König zu sein, als todeswürdiges Verbrechen", erläutert der Jurist. "Jesus hätte daher ohne weiteres auch ohne vorangegangenes jüdisches Verfahren zum Tode verurteilt werden können." Die Frage, ob für den Prozess Jesu die Juden oder die Römer verantwortlich waren, bezeichnet Rechberger folglich als "Pseudoproblem".

Unabhängig von der Rechtslage sei aber die Tatsache, dass Pilatus letztendlich in die Kreuzigung einwilligte und seine Hände "in Unschuld" wusch, auch auf dessen Streben nach Machterhalt zurückzuführen, ergänzt Rechberger. Denn tatsächlich machten dem Römer nicht etwa die Gotteslästerung oder das Königtum des Nazareners Angst, sondern die Ansage der jüdischen Ankläger, ihn bei Kaiser Tiberius zu verpetzen. "Wenn du ihn freilässt, bist du kein Freund des Kaisers", lässt Johannes die jüdischen Ankläger zu Statthalter sagen. Pilatus hatte demnach keine Wahl: Er musste Jesus verurteilen. Hätte er es nicht getan, hätten Aufruhr und eine Anzeige in Rom gedroht.

Jährlich neu aufgerollt

Und wie würde ein Verfahren wie jenes gegen Jesus heute ausgehen? Rechberger: "In der zivilisierten Welt ist eine Verurteilung zum Tod wegen jener Vergehen, die Jesus zu Last gelegt wurden, nicht mehr vorstellbar." Was einst als religiöses Verbrechen geahndet wurde, würde im 21. Jahrhundert nur noch als lächerlich und harmlos empfunden werden. Das Schlimmste, was daher einem Menschen, der behaupte, Gott zu sein, passieren könne, sei die Einweisung in die Psychiatrie, meint der Experte.

Die Ausnahme seien freilich Länder und Staaten, wo das Recht auf Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung beschnitten werde, räumt Rechberger auf Nachfrage ein. So sei denkbar, dass ein Urteil wie jenes in Jerusalem vor rund 2000 Jahren, in manchen islamisch dominierten Gebieten etwa auch heute noch vollstreckt werden könnte.

Wie würde ein chinesisches KP-Gericht auf Anschuldigungen fundamentalistischer Muslime in Chinas Ostprovinz Xinjiang gegen einen Landsmann reagieren, dem vorgeworfen würde, den Namen Allahs geschmäht zu haben? "Möglich ist alles, aber die Chinesen würden sich nicht leicht tun", glaubt Rechberger. "Eine solche Hinrichtung würde heute binnen Stunden in der ganzen Welt bekannt." Allein im Fall von Jeschua ben Josef hat es ein wenig länger gedauert. Dafür wird sein Prozess seitdem von seinen Anhängern jährlich neu aufgerollt - am Karfreitag.