Zum Hauptinhalt springen

Der "Heilige Krieg" ist anderswo

Von Matthias G. Bernold

Politik

Weitgehend einig sind sich Terror-Experten, dass von Seite heimischer Islamisten keine akute Gefahr für Österreich ausgeht. Allerdings warnt der aktuelle Verfassungsschutzbericht vor einer zunehmenden Radikalisierung islamischer Gruppen, die langfristig zu Anschlägen innerhalb und außerhalb von Österreich motiviert werden könnten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Kein konkretes Bedrohungspotenzial" für Österreich ortet Terrorexperte Robert Sturm im APA-Gespräch. Die Alpenrepublik befindet sich laut Sturm, der für das Risikomanagement-Unternehmens MIG (Merchant International Group) tätig ist und früher bei der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) war, derzeit "nicht primär im Visier" der Attentäter: Es gebe eine Handvoll radikaler Islamisten in Österreich, die man unter Kontrolle habe.

Verschwindende Minderheit

Sturms Meinung deckt sich mit der des Generaldirektors für Öffentliche Sicherheit Erik Buxbaum, der in der ZIB 2 am Dienstag erklärt hatte, dass es in Österreich eine "ganz verschwindende Minderheit moslemischer Mitbürger gibt, die für radikale Ideen potenziell anfällig" seien und für Gewaltakte rekrutiert werden könnten. Buxbaum: "Es geht keine konkrete Gefährdung von diesen Menschen aus." Es gebe in ganz Österreich vielleicht fünf Moscheen, in denen radikale Ideen verbreitet würden. Die moslemische Glaubensgemeinschaft habe sich ja absolut gegen Terrorismus gewandt und den Londoner Anschlag verurteilt.

Kritischer als die beiden Experten sieht der jüngste Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung die terroristische Gefährdungslage durch radikalislamische Gruppen. Für Europa wird von einer "hohen terroristischen Bedrohung" ausgegangen. Zwar bestehe in Österreich momentan keine Gefahr, doch mittelfristig könnten "radikale Islamisten, die sich für den Jihadismus interessieren, potenziell zu Anschlägen innerhalb und außerhalb von Österreich motiviert werden". Eine - laut Bericht - langfristige Bedrohung ergebe sich weiters durch "extremistische islamische Gruppierungen, die zwar den Terrorismus ablehnen, jedoch dazu tendieren islamische Subkulturen zu fördern": Darin erblicken die Verfassungsschützer einen "Nährboden für jihadische Tendenzen" - allerdings liege Österreich mit dieser Entwicklung hinter den meisten anderen Staaten Europas zurück.

Europa als Zielscheibe

Bereits in ihrem letzten Bericht (für das Jahr 2003) hatten die Verfassungsschützer des Innenministeriums (ehemalige Staatspolizei) das Gefährdungspotenzial durch radikale islamistische Gruppen abzuschätzen versucht. Attestiert wurde dabei die Zunahme von Fundamentalismen und extremistischen Ideologien. Mit den Anschlägen in Istanbul am 15. und 20. November 2003 und spätestens mit dem Terroranschlägen in Madrid am 11. März 2004 sahen die Verfassungsschützer den Beweis dafür erbracht, dass Europa nicht mehr nur logistisches Zentrum für islamische Terroristen ist, sondern "selbst Ziel des transnationalen Terrorismus".

Das Gefahrenpotenzial für Österreich stuften die Experten damals wie heute als eher niedrig ein. Der Bericht damals: "Wenngleich es auch im Bundesgebiet innerhalb des islamischen Extremismus jihadistische Tendenzen gibt und auch Hinweise auf jihadistische Bestrebungen vorlagen, wurden bisher keine organisierten und strukturierten Aktivitäten festgestellt."

Mehr Kontrolle?

Derzeit wird an eine verstärkte Überwachung islamischer Gruppen nicht gedacht, erklärt Innenministeriums-Sprecher Rudolf Gollia im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Die Gefährdungslage für Österreich hat sich nicht verändert." Die Szene werde seit Jahren genau beobachtet. Aber: "Es hat sich bisher noch niemand strafbar gemacht - wir können nicht Menschen allein wegen ihres Gedankengutes verfolgen." Bis auf weiteres aufrecht bleibt die Überwachung von Flügen nach Großbritannien und die Sicherung britischer Einrichtungen in Österreich. Am Freitag soll darüber entschieden werden, ob an den Maßnahmen festgehalten wird.

Risiko EU-Vorsitz

Ob sich das Gefährdungspotenzial im kommenden Jahr erhöht, wenn Österreich den EU-Vorsitz übernimmt, vermochte Terror-Experte Sturm nicht zu sagen. "Für eine Einschätzung ist es dazu noch zu früh." Es sei aber klar, dass es einen verstärkten Polizeieinsatz geben muss, wenn es ein EU-Gipfeltreffen oder eine Zusammenkunft mit dem US-Präsidenten George W. Bush geben sollte.

Im Innenministerium laufen derzeit die Vorbereitungen auf den EU-Vorsitz. 13 Mio. Euro sind allein für die Sicherung der 70 Konferenzen, zu denen 20.000 Staatsgäste erwartet werden, budgetiert.