)
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Biden scharrt Unterstützer aus vielen Schichten um sich - neben Kernwählern sind die Linken dabei, ethnische Minderheiten und Republikaner; kurzum: All jene, die gegen Trump sind.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Joe Biden galt über lange Strecken als etwas zu fad. Im 21. Jahrhundert sollte doch die Demokratische Partei einen aufregenderen Kandidaten oder eine aufregendere Kandidatin hervorbringen als einen weißen, heterosexuellen Mann, der seit fast einem halben Jahrhundert als Politiker tätig ist. Der sein Jus-Studium unter anderem als Rettungsschwimmer finanziert hat und auch sonst die guten alten amerikanischen Werte aus dem Bilderbuch repräsentiert. Er ist ein guter Sportler (Biden war in der Schule sowohl im Football-Team als auch im Baseball-Team), er mag schnelle Autos, er ist Abstinenzler, und er kommt - wie John F. Kennedy - aus einer irisch-katholischen Familie. Kennedy gilt übrigens auch als eines der Idole von Joe Biden - die Ermordung Kennedys geschah zwei Tage nach dem 21. Geburtstag Bidens.
Eine prägende Zeit: Früh war sich Biden seiner politischen Ambitionen bewusst. Als er seine spätere Frau Neilia während des Studiums kennenlernte, eröffnete er ihr, dass er Senator wird, bevor er 30 Jahre alt ist, und später werde er US-Präsident.
Tatsächlich: Weniger als zehn Jahre nach der Ermordung Kennedys, im November 1972, war es soweit: Biden wurde in Delaware mit 29 Jahren in den Senat gewählt. Im darauffolgenden Monat folgte der erste familiäre Schicksalschlag: Bidens Frau Neilia und die einjährige Tochter Naomi starben bei einem Autounfall, die beiden Söhne, der dreijährige Beau und der zweijährige Hunter, überlebten schwer verletzt. Joe Biden überlegte damals, seinen Senatssitz nicht anzutreten, wurde aber dann dazu überredet, nicht aufzugeben.
Eine Nation nahm 1972/73 Anteil
Bei der Ablegung seines Amtseides im Jänner waren beide Kinder dabei, eines hatte das Bein noch in der Schiene und wurde im Rollstuhl herbeigeholt - begleitet von überregionalen Fernsehstationen: Es war wohl das erste Mal, das eine ganze Nation medial an Bidens Schicksal Anteil nahm.
1988 kandidierte Biden das erste Mal für das Amt des Präsidenten, doch das demokratische Ticket wanderte zu Michael Dukakis - der gegen den Republikaner George H.W. Bush verlor.
2008 bewarb sich Biden wieder für das demokratische Ticket. Gegen die Strahlkraft eines Barack Obamas war er aber im Vorwahlkampf chancenlos. Dafür machte ihn Obama zu seinem Vizepräsidenten, acht Jahre lang. Obama nannte Biden seinen "großen Bruder", ihre beiden Ehefrauen (Biden hat 1977 seine zweite Frau Jill geheiratet) schwärmten - genauso wie zahlreiche Beobachter - von der offensichtlichen Männerfreundschaft zwischen Obama und Biden.
Dass Joe Biden bei der Wahl 2016, am Ende der Legislaturperiode von Obama, nicht kandidierte, war zu großen Teilen dem zweiten massiven Schicksalsschlag geschuldet: 2015 war Bidens Sohn Beau mit 46 Jahren an einem Hirntumor verstorben. Seitdem trägt Biden Beaus Rosenkranz immer bei sich. Beau soll ihm am Totenbett gesagt haben, dass er nicht aufgeben dürfe. Das sei mit ein Grund für den neuerlichen Motivationsschub geworden, den der inzwischen 77-Jährige nun an den Tag legt. Denn dieses Jahr will Biden bekanntlich wirklich US-Präsident werden. Und seine Chancen stehen derzeit gar nicht einmal so schlecht.
Das Ticket der Demokraten hat er, offiziell wurde er gerade am Parteitag nominiert. In den Umfragen liegt Biden vor Donald Trump. Denn wer eine Wahl gewinnt oder nicht, hängt diesmal noch viel mehr als sonst nicht so sehr von dem Charisma des Kandidaten, sondern von der Alternative ab. Und die USA dürften bereit sein für einen Kandidaten ohne Überraschungen. Keine Frau, keine Quereinsteiger, keine Hardliner. Einen in jeder Hinsicht Moderaten. Jemand, der es wirklich allen und jedem ermöglicht, sich auf ihn zu einigen und seit fast 50 Jahren kaum Angriffsflächen bietet.
Moderate Konservative streuen Biden Rosen. Bidens ehemaliger demokratischer Rivale Bernie Sanders hat die Linken beschworen, Biden zu wählen. Bidens nominierte Vizin Kamala Harris ist ein Signal für die ethnischen Minderheiten und Frauen. A propose Frauen: Kurz kam im Wahlkampf der Vorwurf der sexuellen Belästigung durch Biden an einer ehemaligen Mitarbeiterin auf. Doch es tauchten immer mehr Widersprüche im Leben der Frau auf; ihr einstiger Anwalt hat inzwischen sein Mandat zurückgelegt.