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Der herzlose Computer: Die Politik ist bei ihrer Selbstkastration gescheitert

Von Walter Hämmerle

Analysen

Selbsterkenntnis gilt ja als der erste Schritt zur Besserung. So gesehen ist das eingestandene Misstrauen der Politiker gegen ihresgleichen durchaus begrüßenswert. Wie sonst wäre die Entpolitisierung zentraler Politikbereiche und Übertragung wichtiger wie notwendiger Entscheidungen an "herzlose Computer" zu erklären, die Österreichs Entscheidungsträger von Fall zu Fall erfasst?


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Jüngstes Beispiel für diesen Trend war der zunächst gemeinsame rot-schwarze Versuch, demografische Veränderungen im Pensionssystem mit einer Anpassungsautomatik zu versehen. Es blieb beim Versuch, da sich die SPÖ von dem Projekt nach einigem Hin und Her unter ihrer neuen Führung verabschiedete. Damit bleibt das Thema Pensionen auch weiterhin den diversen Stimmenmaximierungs-Strategien ausgesetzt. Das Risiko, dass notwendige Reformen entweder zu spät oder am Ende gar nicht gemacht werden, bleibt damit weiter akut.

Die Wiener Rathaus-SPÖ sah sich vor einigen Jahren vor ein ähnliches Problem gestellt. Getrieben von der Opposition zögerte die alleinregierende SPÖ Gebührenanpassungen so lange hinaus, bis plötzlich ein großer - und damit umso schmerzhafterer - Sprung herauskam.

Die Wut der Wähler bekam die erfolgsverwöhnte Partei deutlich zu spüren - und das behagte ihr, die damals noch heftig gegen die Belastungen der schwarz-blauen Regierung wetterte, gar nicht. Also ersann man einen inflationsabhängigen Automatismus für die Gebührenerhöhungen, um das Thema aus dem Wettstreit der Parteien herauszuhalten - wohl auch im Wissen um die eigene Schwäche im Angesicht schlechter Umfragewerte.

Klug gedacht, denn natürlich können sich auch die Gebühren der öffentlichen Hand auf Dauer nicht der schleichenden Geldentwertung, vulgo Inflation, entziehen. Und natürlich ist eine solche "Gebührenanpassung" (© die jeweilige Regierungspartei) ein gefundenes Fressen für jede Opposition, die ihre sieben Sinne beisammen hat.

Wie zuvor die ÖVP in Sachen Pensionsautomatik muss nun die Wiener SPÖ bei ihrer Gebührenautomatik leidvoll erleben, dass - mit dem Wissen um die politische Verfasstheit der Österreicher - an und für sich vernünftige Ideen zum Scheitern verurteilt sind.

Natürlich kann man auch demokratiepolitisch argumentieren: Dass etwa so zentrale Fragen wie die Kosten für die Daseinsvorsorge oder das Pensionssystem in der Arena der öffentlichen Politik ausgehandelt werden sollten.

Darüber ließe sich tatsächlich trefflich streiten - vor allem im Hinblick auf die Leistungsbilanz des österreichischen politischen Systems, das Unpopuläre, aber Notwendige zur richtigen Zeit zu beschließen. Diese Bilanz ist wahrlich nicht brillant.