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Der Immobilienmarkt in der Krise

Von Melanie Planer

Gastkommentare

Wie sich die Corona-Pandemie auf die Bewertungen auswirkt.


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Bis März 2020 war die Erwartungshaltung in Österreichs Immobilienbranche, dass die kontinuierlich steigenden Preise zu einer Überhitzung des Marktes und damit zu sinkenden Preisen führen würden. Doch durch Corona änderte sich das Bild schlagartig: Auch zum heutigen Zeitpunkt können die Langzeitfolgen nicht abgeschätzt werden. Generell ist der Blick in die Immobilienzukunft als vorsichtig optimistisch zu beurteilen, wenngleich dies nicht auf alle Assetklassen in gleichem Maße zutreffen wird.

Geänderter Flächenbedarf bei Büroimmobilien

Hier war insbesondere anfangs der Ausblick noch negativ zu bezeichnen, da bedingt durch das Homeoffice über massive Flächenreduktionen spekuliert wurde. So wurden etwa Großraumbüros als "Auslaufmodell" erachtet, da durch die Einhaltung von Abstandsregeln kein entsprechender Schutz vor der Verbreitung einer Viruserkrankung erlangt werden kann. Mittlerweile gibt es Studien zum Thema Homeoffice und Büromarkt, die besagen, dass die Corona-Pandemie zu einem geänderten Büroflächenbedarf führen wird. Ob dieser sich jedoch in einem Flächenrückgang oder in der Implementierung veränderter Arbeitsstrukturen (Desk-Sharing, Co-Working) manifestieren wird, ist noch nicht absehbar. Im Dienstleistungssektor ist damit zu rechnen, dass der Büroflächenbedarf mehr oder weniger bestehen bleiben wird.

Aktuelle Büromarktberichte für Wien zeigen, dass Neuvermietungen beziehungsweise angedachte Umzüge teils gebremst wurden, alles in allem aber dennoch ein gutes, wenn auch geringeres Vermietungsergebnis vorliegt. Die Erfolge gehen hauptsächlich auf Großvermietungen zurück. Bis Ende 2020 wurde mit einer Vermietungsleistung von rund 170.000 Quadratmetern gerechnet, gegenüber 220.000 Quadratmetern im Jahr davor, da 2020 fertigzustellende Neubauprojekte beziehungsweise sogenannte Refurbishments (Revitalisierungen) einen hohen Vorvermietungsgrad aufweisen.

Die Leerstandsrate bleibt auf niedrigem Niveau (rund 4,7 Prozent). Die Spitzenrendite für Büroobjekte in Wien liegt nunmehr bei rund 3 bis 3,25 Prozent. Am Transaktionsmarkt ist das Interesse an - vor allem langfristig vermieteten - Büroobjekten in Toplagen weitgehend gleich geblieben. Der Wiener Büromarkt stellt sich in Toplagen in einem guten Zustand dar, künftige Entwicklungen sind gegenwärtig noch nicht abzusehen.

Gebremste Nachfrage bei Einzelhandelsliegenschaften

Am Retailmarkt gestaltet sich die Situation schwieriger. Die Pandemie wird im Einzelhandelsbereich nicht ausschlaggebend für die gebremste Flächennachfrage gesehen, sondern als zusätzlicher Faktor für den bereits davor durch den Online-Handel stark rückläufigen Markt. Die Mietbelastung für viele Mieter ist durch die im Zusammenhang mit Covid entstandenen Umsatzeinbußen derzeit enorm. Insbesondere in innerstädtischen Lagen ist durch den stark eingeschränkten beziehungsweise nicht möglichen Städtetourismus keine baldige Entspannung der Situation in Sicht.

Modebranche und Schuhhandel dünnen derzeit - durch die Pandemie verfrüht ausgelöst - ihr Filialnetz aus, während Dienstleistungssektor (etwa im Gesundheitsbereich), Gastronomie und Lebensmittelhandel als Mieter nachrücken. Spitzenrenditen für Einkaufs- und Fachmarktzentren liegen unverändert bei 4 Prozent (Einkaufszentren) und 4,75 Prozent (Fachmarktzentren). Diese Einschätzung lässt sich aufgrund nahezu fehlender Transaktionstätigkeit jedoch nicht hinreichend untermauern. Als attraktive Investitionsobjekte stellen sich aktuell Fachmarktzentren mit starkem Einzugsgebiet, Nahversorgungscharakter und Mietern, die vor allem Produkte des täglichen Bedarfs anbieten (etwa Lebensmittelhandel, Apotheken), dar.

Der Handel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren verzeichnete im ersten Halbjahr 2020 ein Umsatzplus von 7,3 Prozent (inflationsbereinigt), was auf Preissteigerungen in diesem Segment zurückzuführen ist. Ob für dieses Ergebnis tatsächlich "nur" Preissteigerungen verantwortlich sind oder die Pandemie und eine damit einhergehende "neu entdeckte Leidenschaft für das Kochen", wie sie postuliert wird, ist zu hinterfragen.

In den nächsten Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob Mieter, die zur Überbrückung kurzfristiger finanzieller Engpässe mit ihren Vermietern eine Stundung von Mietzinszahlungen vereinbart haben, der aufgeschobenen Zahlungsverpflichtung tatsächlich nachkommen können.

Steigende Wohnungspreise, leichte Kaufeinbrüche

Im Wohnbereich gab es insbesondere bis Mitte des Jahres leichte Einbrüche in der Nachfragesituation beim Wohnungskauf zu vermelden. Dies lässt sich mit Unsicherheiten in Bezug auf Kurzarbeit beziehungsweise Arbeitslosigkeit erklären. Es wird erwartet, dass das kontinuierliche Wachstum der Stadt Wien zu einem Anstieg bei der Nachfrage nach Wohnraum führen wird, was in einen weiteren Preisanstieg münden würde. Die Preise am Wohnungseigentumsmarkt sind weiterhin am Steigen, die Mietzinssituation wird als stabil vermeldet.

Das klassische Wiener Mietzinshaus steht weiterhin für Sicherheit und Stabilität der Geldanlage, und die Nachfrage wächst. Die Zahl der Transaktionen war in den Lockdowns rückläufig, generell stiegen jedoch die Preise für Mietzinshäuser. Zudem erhöhen die weiterhin niedrige Kapitalverzinsung im Bankensektor und die Sorge einer möglichen Negativverzinsung bei österreichischen wie internationalen Investoren die Attraktivität von Mietzinshäusern als Anlageobjekte.

Die Bewertung von Immobilien ist gerade in dieser herausfordernden Zeit komplexer geworden, Transaktionen und damit die Transparenz auf dem Immobilienmarkt sind zurückgegangen. Die Royal Institution of Chartered Surveyors empfiehlt zum Beispiel, die durch die Corona-Pandemie bedingte Bewertungsunsicherheit gegenüber Kunden beziehungsweise Bestandshaltern zu kommunizieren. So kann und soll im Bewertungsgutachten auf wesentliche Bewertungsunsicherheiten im Sinne der "Valuation Practice Guidance 10 - Applications" hingewiesen werden. Zudem soll das Ergebnis der Bewertung als unsicherer als normalerweise üblich wahrgenommen werden, wodurch ein höheres Maß an Vorsicht geboten ist. Eine regelmäßige Überprüfung (neuerliche Bewertung) der Bewertungsergebnisse aufgrund des unklaren Einflusses der Pandemie auf die Immobilienmärkte wird empfohlen. Derartige oder ähnliche Anmerkungen finden sich derzeit in nahezu allen Bewertungsgutachten.

Rückschlüsse auf den Immobilienmarkt

Blickt man nun auf den Immobilienmarkt und die in den aktuellen Marktberichten genannten Auswirkungen, so gibt es in jeder Assetklasse unterschiedliche Auswirkungen. Daher wird eine generelle Anpassung bestimmter Parameter in der Bewertung aufgrund der Pandemie nicht möglich sein. Folgende Rückschlüsse am Bewertungsmarkt können derzeit gezogen werden:

Der Büromarkt scheint in Wien (abhängig von der Lage der Immobilie) weitgehend stabil zu sein. Jedoch ist zu erwarten, dass hinsichtlich der räumlichen Struktur - vom Großraumbüro hin zu kleinteiligeren Bürolösungen - zumindest zeitweilig ein Umdenken stattfinden wird. Auch der Büroflächenbedarf wird überdacht werden. Vermieter werden unter Umständen dazu tendieren, bei Incentives großzügiger zu sein. Die Höhe des gewählten Ansatzes der nachhaltigen Miete in der Bewertung wird ebenfalls überdacht werden müssen. Inwieweit unter Umständen vereinbarte Mietzinsstundungen nicht zur schlussendlichen Bezahlung des Rückstandes führen, bleibt abzuwarten.

Insbesondere bei Heranziehung des Discounted-Cashflow-Verfahrens für die Bewertung von Einzelhanselsliegenschaften und der Ermittlung von deren Verkehrswert konnte eine Veränderung des Diskontierungszinssatzes zur Abzinsung der Zahlungsströme im Detailbetrachtungszeitraum (meist betrifft dies einen Zeitraum von zehn Jahren) festgestellt werden. Der Kapitalisierungszinssatz, der zur Kapitalisierung der Erträge (nach dem Detailbetrachtungszeitraum) in Form einer ewigen Rente herangezogen wird, erfuhr hingegen keine oder nur geringe Anpassungen. Im direkten Vergleich - anhand der Bewertungen derselben Einkaufszentren vor und nach der Pandemie - war bei der weitaus überwiegenden Mehrheit der Objekte eine Anhebung des Diskontierungszinssatzes um 15 bis 40 Basispunkte zu beobachten. Meist wurden ebenfalls im ersten Jahr des Detailbetrachtungszeitraums Mietzinsausfälle von 10 bis 35 Prozent der unter normalen Umständen lukrierbaren Mieten berücksichtigt. Generell werden hier höhere prozentuelle Ausfallsraten bei Umsatzmieten als bei Fixmieten in der Bewertung angenommen. Zu erwarten sind aufgrund der vorherrschenden Unsicherheiten eher kontinuierliche Anpassungen in Form von Abwertungen - über die nächsten Stichtage - als sprunghafte Anpassungen zum aktuellen Stichtag.

Eine Analyse der Liegenschaftszinssätze für Mietwohnhäuser und Mietwohngeschäftshäuser in Berlin für die Jahre 2018 bis 2020 ergab einen tendenziellen Anstieg der Liegenschaftszinssätze. In der Publikation zu den Liegenschaftszinssätzen für 2020 wird jedoch darauf hingewiesen, dass nur eine geringere Zahl an Verkaufsfällen zur Ableitung der Liegenschaftszinssätze vorlag als in den Vorjahren und mögliche Einflüsse auf die Liegenschaftszinssätze aufgrund der Pandemie und der gesetzlichen Regelungen zum sogenannten Mietendeckel nicht mit Sicherheit erkannt werden konnten. Auf den österreichischen Markt lässt sich dies nicht direkt übertragen. Seit jeher ist das typische Wiener Zinshaus als Anlageform aufgrund seiner "Sicherheit" beliebt. Jedoch wird es einen Anpassungsbedarf beim Liegenschaftszinssatz geben, vor allem in Abhängigkeit davon, ob und in welcher Höhe (bezogen auf die gesamte Miet-/Nutzfläche des Gebäudes oder die Höhe des Mietzinsanteiles am lukrierbaren Gesamtmietertrag) ein Anteil von Gewerbeflächen im Gebäude vorhanden ist.

Zusammenarbeit zwischen Mieter und Vermieter

Der dritte Lockdown stellt für Betriebe nun erneut eine finanzielle Herausforderung dar. In Bezug auf die Werthaltigkeit einer Immobilie wird nun vieles von der mehr denn je wichtigen Zusammenarbeit zwischen Mieter und Vermieter abhängen. Ist der Vermieter unter Umständen bereit, eine Zeit lang auf Mietzahlungen (gänzlich oder zum Teil) zu verzichten, um so einen möglicherweise längeren Leerstand, der unter Umständen mit höheren Kosten für Incentives und Refurbishments bei der Neuvermietung einhergehen würde, zu verhindern?

Abwertungsbedarf wird es in Abhängigkeit von der Assetklasse, der Marktaussicht und etwaigen tatsächlich ausbleibenden Mietzinszahlungen vielerorts sicher geben. Ein generelles Bewertungsrezept gibt es allerdings - wie schon vor der Covid-19-Pandemie - nicht. Die Immobilienbewertung ist und bleibt eine Einzelfallbeurteilung, die jeder Gutachter aufgrund seiner Expertise, des Marktumfeldes und der Faktenlage fällen muss.