Betriebe entdecken Migranten als lukrative Zielgruppe. | Geworben wird in Migrantenmedien - unbemerkt von den meisten Österreichern. | Wien. Österreichische Unternehmen entdecken Migranten als kaufkräftige Zielgruppe, die sie in ihrer Muttersprache umwerben. Die Zielgruppe ist groß: Allein in Wien haben 35 Prozent der Einwohner Migrationshintergrund, insgesamt leben hierzulande 1,4 Millionen Migranten, davon fast 1,1 Millionen Migranten der ersten Generation - deren Eltern wurden also im Ausland geboren.
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"Sinn macht eine gezielte Werbung nur für jene Migrantengruppen, die groß genug sind", sagt Nenad Stevanovic, Geschäftsführer der Wiener Agentur Etnomarketing. Die beiden größten Gruppen in Österreich stellen Ex-Jugoslawen und Türken. Die Zuwanderer schicken ihr Geld längst nicht mehr in die Heimat, sagt Stevanovic: "Die Migranten geben das Geld, das sie hier verdienen, in Österreich aus. Österreich ist für die meisten zum Lebensmittelpunkt geworden."
Der gebürtige Montenegriner beschreibt Migranten als besonders markenbewusste Zielgruppe, die sich gerne mit Statussymbolen umgibt. Außerdem kaufen Migranten besonders gern Produkte, die ihnen Freunde oder Bekannte empfehlen.
Viele Migranten, besonders Türken, bleiben stark mit der Heimat verbunden. Dies hat der österreichische Mobilfunkbetreiber Drei erkannt und im Vorjahr einen eigenes Paket eingeführt, bei dem Kunden günstiger in die Türkei telefonieren und türkische Fernseh- und Radiosender am Handy empfangen können. "Wir haben gesehen, dass wir überproportional viele Türken in unserem Kundenstock hatten und wollten diese gezielt ansprechen", sagt Drei-Marketingdirektor Tom Malleschitz.
Firmen sind vorsichtig
Gemeinsam mit der deutschen Agentur Ethno IQ und einer österreichischen Mediaplanungsagentur hat Drei spezielle Inserate entworfen, die in türkischen Migrantenmedien erscheinen. Außerdem geht Drei an Orte, wo sich viele Türken aufhalten - etwa in bestimmten Parks, in türkischen Supermärkten und Moscheen - und führt ihnen die Handys mit den türkischen Sendern vor. Der Einsatz hat sich für Drei gelohnt: Innerhalb von drei Monaten sei die Anzahl der türkischen Kunden um 20 Prozent gestiegen.
Auch der Mobilfunkanbieter Telering hat heuer den Tarif "Turka Basta" eingeführt, mit dem Handynutzer günstiger in die Türkei telefonieren können. Für eine Stellungnahme war Telering aber nicht erreichbar.
Die Erste Bank hat im Vorjahr eine eigene Werbelinie sowie Flyer für Türken sowie Serben und Kroaten entwickelt. "Besonders bei Bankgeschäften ist eine Beratung in der Muttersprache notwendig. Viele Migranten trauen sich sonst nicht, Begriffe nachzufragen, die sie nicht verstehen", sagt Thomas Kirschner, Zielgruppenverantwortlicher für Migranten im Erste Bank-Marketing.
Außerdem sponsert das Geldinstitut Theatervorstellungen und Konzerte, die sich an Migranten richten. Das Feedback der Migranten sei sehr positiv.
Die Ersten, die in Österreich speziell für Migranten geworben haben, waren laut Stevanovic politische Parteien und die Stadt Wien. Danach folgten vor rund ein bis zwei Jahren einige Banken und Mobilfunk anbieter.
Die heimischen Unternehmen sind mit ihrem Einstieg ins Ethnomarketing vergleichsweise spät dran: In den USA wird bereits seit den 1970er Jahren Werbung auf kulturelle Eigenheiten zugeschnitten. Auch in Deutschland werden Migranten schon seit einigen Jahren in ihrer Muttersprache umworben. Hierzulande wurden Migranten als Zielgruppe bisher wenig beachtet. "Firmen haben anscheinend Angst, mit der Werbung österreichische Kunden zu verlieren", meint Stevanovic.
Nicht nur übersetzen
Von den Ethnomarketing-Kampagnen merken die meisten Österreicher jedoch gar nichts: Geworben wird nämlich fast nur in Migrantenmedien, und zwar vor allem in Printmedien, weil Anzeigen weniger Aufwand und Kosten als Fernseh- oder Radiowerbung verursachen. "Durch Werbung in speziellen Medien fühlen sich Migranten eher angesprochen", so Stevanovic. Rund 20 türkische Printmedien und zehn für Ex-Jugoslawen gibt es hierzulande. Werbung in der Muttersprache richtet sich besonders an jene Zuwanderer, die erst seit kurzem im Land sind. Doch auch die zweite Generation der Migranten, die in Österreich geboren ist, liest Migrantenmedien.
"Die Türken sind leichter zu erreichen, weil sie eine einheitlichere Gruppe sind", sagt Malleschitz - ein Grund, warum sich Drei derzeit auf Werbung für diese Volksgruppe konzentriert. Ex-Jugoslawen anzusprechen sei hingegen aufwendiger, weil sie verschiedene Sprachen sprechen.
Keine Integration?
Bei der Werbung in der Muttersprache können Firmen leicht in ein Fettnäpfchen treten: "Wenn Firmen in einer Migrantenzeitung in einer falschen Sprache werben, verspielen sie Sympathien", so Stevanovic. Bosnisch, Serbisch und Kroatisch sind sich nämlich ähnlich, unterscheiden sich aber in Feinheiten.
Ein Fehler ist es auch, österreichische Anzeigen eins zu eins übersetzen. Erfolgreicher ist, den Werbespruch und das Sujet an die Volksgruppe anzupassen. "Nur mit Produkt und Preis werben reicht nicht aus", sagt Malleschitz. Denn Werbung für Migranten muss Gefühle ansprechen und Heimatverbundenheit zeigen. Bei Türken "kommt eine türkische Flagge immer gut an", so Malleschitz.
Kritiker meinen, dass Firmen mit anderssprachiger Werbung die Integration nicht fördern. Diesem Vorwurf setzt Stevanovic entgegen, dass Ethnomarketing ein Zeichen von Respekt und Wertschätzung anderer Volksgruppen sei. Migranten fühlten sich willkommen und verstanden, und die werbenden Firmen gewännen Sympathien. Auch Drei bestätigt das: Die türkischen Kunden würden sich geehrt und stolz fühlen, weil jemand um die türkische Community wirbt.