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Der indische Traum ist ausgeträumt

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Trotz solidem Bankensystem im Strudel der Krise. | Neu Delhi. Grossen Optimismus hatte der Chef der indischen Zentralbank, Duvvuri Subbarao, noch vor einigen Tagen verbreitet. Indien werde vermutlich den schlimmsten Folgen der globalen Kreditkrise entkommen, sagte er, denn die internen Wachstumsmotoren der Wirtschaft seien stark und die indischen Banken hätten kaum Verbindungen zum US-Hypothekenmarkt und den bankrott gegangenen Finanzhäusern.


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Doch inzwischen glaubt keiner mehr, dass das Land mit über 1,1 Milliarden Einwohner, das in den letzten Jahren Investoren und Anleger mit einem Rekordwachstum um die neun Prozent verwöhnt hat, noch ungeschoren davonkommen wird. Eine Bankenkrise, wie in den USA und in Europa, hat Indien nicht. Das Land ist nur wenig mit dem internationalen Finanzmarkt verflochten, seine überwiegend staatlichen Banken sind stark reguliert, die Rupie ist zudem nur teilweise konvertierbar. Zudem gelten indische Anleger und Unternehmer als konservativ. Auch Häuser werden nicht auf Pump gekauft, sondern ordentlich angespart. Sogar Kreditkarten sind noch keineswegs selbstverständlich.

Doch trotz des soliden Bankensystems stehen die Zeichen für das Gandhi-Land nicht gut. Die Rupie hat seit Jahresbeginn knapp 20 Prozent an Wert zum US-Dollar verloren. Die Geldmarktzinsen sind auf Rekordhoch, doch das scheint die Inflation auch nur bedingt zu zügeln, die immer noch bei mehr als 11 Prozent liegt. Ausländische Investoren haben in den letzten Monaten massiv Kapital abgezogen: Rund 10 Milliarden US-Dollar (etwa 7,5 Milliarden Euro) verließen das Land. Der Börsenindex Sensex in Bombay ist seit Beginn des Jahres um fast 50 Prozent gefallen.

Eine Billion Rupien (rund 15 Milliarden Euro) hat Indien in den letzten Tagen in das Finanzsystem gepumpt, um den Kreditfluss wieder in Schwung zu bringen, der wegen steigender Tagesgeldsätze und wegen Kapitalabflüssen fast ausgetrocknet war. Dazu senkte die Notenbank gleich mehrmals den Mindestreservesatz für die Geldhäuser.

Wachstum geht zurück

Doch trotz der staatlichen Finanzspritze leihen sich Banken untereinander weiter kaum Geld, wie Finanzminister Palaniappan Chidambaram zugeben musste. Experten erwarten daher weitere staatliche Interventionen auf dem Kapitalmarkt. Die offizielle Wachstumsprognosen für das Finanzjahr 2009 wurden bereits von neun auf 7,6 Prozent heruntergeschraubt.

Für indische Unternehmen wird es wegen der Kreditkrise immer schwieriger, Geld für Investitionen zu beschaffen. Der weltweite Abschwung setzt zudem auch der IT-Branche, der großen Wachstums- und Erfolgsgeschichte Indiens, zu. Vorbei sind die Zeiten, als junge Softwarefachleute um die 20 sich vor Jobangeboten kaum retten konnten, und für bessere Gehälter und einen schickeren Firmenwagen ihr Unternehmen alle paar Monate wechselten. Die Mitarbeiterfluktuation sinkt seit Anfang des Jahres.

Bei Infosys Technologies, eine der größten Technologiefirmen Indiens, betrug sie im letzten Quartal nur noch acht Prozent. Ein Jahr zuvor hatten im gleichen Zeitraum noch 13 Prozent der Angestellten das Unternehmen gewechselt. Auch der Callcenter-Markt baut Jobs ab. Neueinstellungen im Bank- und Finanzsektor sind praktisch zum Erliegen gekommen. "Wir fürchten, dass dieser Trend auf andere Bereiche übergreift", sagt B S Murthy, Chef der Beraterfirma Human Capital in Bangalore.

Indische Airlines planen wegen sinkender Nachfrage bereits Massenentlassungen. Die Textilindustrie erwartet einen Exportrückgang zwischen fünf und zehn Prozent. Die Talsohle scheint auch für die indische Wirtschaft noch nicht erreicht.