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Der Indopazifik als geopolitisches Schachbrett

Von Walter Feichtinger

Gastkommentare
Walter Feichtinger ist Präsident des Center für Strategische Analysen (www.csa-austria.eu), zuletzt war er Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie.
© Canaj Visuals

Die Welt blickt gebannt auf den Ukraine-Krieg, doch die großen geopolitischen Weichenstellungen erfolgen woanders.


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Während sich Russland mit dem Angriffskrieg in der Ukraine seines geostrategischen Handlungsspielraums zusehends beraubt, wetteifern China und die USA um Einfluss im indopazifischen Raum. Indien möchte das Feld aber nicht so einfach den beiden geopolitischen Kontrahenten überlassen.

Die aktuelle Ausgangslage ist bekannt. Washington ist bestrebt, seine Position als dominierender Hegemon, die es über Jahrzehnte systematisch aufgebaut hat, zu erhalten. Die Ansprüche der USA kollidieren jedoch zunehmend mit Pekings ordnungspolitischen Vorstellungen für die Region. Insbesondere Chinas Ansprüche auf das Südchinesische Meer und Taiwan stoßen auf heftigen Widerstand nicht nur der USA.

Es steht viel auf dem Spiel, schließlich geht es um den globalen Führungsanspruch. Die Konkurrenz um Einfluss, Macht und Märkte nimmt bedrohliche Formen an. Dabei kommt dem Indopazifik eine herausragende Rolle zu. Diese Region beherbergt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und wird bald den größten Wirtschaftsraum bilden. Das hat auch eine starke sicherheitspolitische Tangente - nicht von ungefähr rüsten die beiden Weltmächte am stärksten auf.

Nachdem etwa 80 Prozent des Welthandels auf dem Seeweg erfolgen, kommt Meeresstraßen und Engstellen, sogenannten Flaschenhälsen, erhöhte Bedeutung zu. Tiefseehäfen, Marine- und Luftwaffenstützpunkte bilden die unverzichtbare Infrastruktur, um riesige Gebiete überwachen oder im Bedarfsfall auch militärische Kraft einsetzen zu können. Der Wettlauf um strategische Knotenpunkte oder Marinepositionen ist schon seit Jahren im Gange und wird immer rasanter.

Die USA möchten den Status quo erhalten

Schon der damalige US-Präsident Barack Obama hat in seiner Amtszeit einen strategischen Schwenk nach Asien angeordnet, um der aufkommenden Weltmacht China Paroli bieten zu können. In der US-Sicherheitsstrategie vom Oktober 2022 hebt US-Präsident Joe Biden Chinas besondere Rolle als globaler Konkurrent hervor. Sein Sicherheitsberater Jake Sullivan meint, das Ringen um die Vorherrschaft werde in den nächsten zehn Jahren entschieden. Der Indopazifik bilde dabei das geopolitische Epizentrum des 21. Jahrhunderts.

Die USA setzen weiter auf ihr strategisches Konzept, indem sie sich als "Nabe" und ihre regionalen Verbündeten Australien, die Philippinen, Thailand, Südkorea und Japan als "Speichen" eines Sicherheitssystems sehen ("hub and spokes"). Allerdings sollen die asiatischen Partner hinkünftig mehr Aufgaben und Verantwortung übernehmen. Letztlich bezwecken die Kooperationen eine Eindämmung Chinas, dessen selbstbewusstes bis aggressives Auftreten in der Region zunehmend auf Ablehnung stößt.

Die USA begründen ihr Engagement mit der Forderung nach einem freien und offenen Indopazifik. Dabei geht es primär um die Freiheit der Seefahrt, aber auch um die Freiheit Taiwans. Schon seit 2004 argwöhnen die USA und Indien, dass China, von seiner Küste ausgehend, auf dem Weg ins Mittelmeer ganz gezielt Häfen erschließt, die sich wie eine Perlenkette aneinanderreihen.

China nutzt die maritime Seidenstraße

Peking verfügt mit der neuen Seidenstraße über ein Konzept, mit dem ein weltweites Netz von Versorgungslinien und Knotenpunkten ausgelegt wird. Die maritime Seidenstraße bewährt sich im Ringen um den Indopazifik, indem systematisch Zugänge zu Häfen geschaffen oder neue gebaut werden, wie etwa der Hafen von Hambantota in Sri Lanka. Geopolitischen Risiken soll vorsorglich durch Alternativen zu kritischen Versorgungslinien begegnet werden. So mündet zum Beispiel der Chinesisch-Pakistanische Wirtschaftskorridor (CPEC) im Tiefseehafen von Gwadar. Von dort kann einerseits einer allfälligen Blockade der Straße von Malakka gegengesteuert, andererseits der regionale Konkurrent Indien ausflankiert werden.

Weiters hat Peking im heurigen April ein Sicherheitsabkommen mit Honoria, der Hauptstadt der Salomonen-Inseln, unterzeichnet. Australien und die USA befürchten, dass China dort Militärbasen errichten und damit den Seeverkehr zwischen dem Nord- und Südpazifik kontrollieren könnte. Die Sorgen erhielten Auftrieb, als im September ausländischen Marineschiffen ein Anlegeverbot erteilt und ein US-Schiff weggewiesen wurden.

Dazu kommt, dass Peking schon seit Jahren Inseln und Atolle im Südchinesischen Meer gezielt zu Militärstützpunkten ausbaut. Damit erhöht es die Reichweite seiner Marine und Luftwaffe erheblich. Das ist von strategischer Bedeutung, denn China strebt die Kontrolle über die sogenannte Erste Inselkette - von der Südspitze Japans bis Brunei - an. Dazu muss es aber die USA aus dem Südchinesischen Meer zurückdrängen. Mit Stützpunkten weit vor der eigenen Küste könnte China seine militärische Schlagkraft deutlich erhöhen.

Höchste Aufmerksamkeit genießt Taiwan, das Peking möglichst rasch mit dem Festland vereinen möchte. Der Insel kommt nicht nur eine enorme politische, sondern auch eine außergewöhnliche militärstrategische Bedeutung zu. Mit ihrer Annexion würde China neben wirtschaftlichen Vorteilen auch die Kontrolle über die Straße von Taiwan erlangen. Diese Vorstellung hat Japans Regierung bereits alarmiert, sie würde das als Verletzung ihrer vitalen Interessen einstufen.

Indien pocht auf seine Mitsprache

Indien möchte seinem strategischen Rivalen China das Feld nicht kampflos überlassen. Dazu ist es erforderlich, den Indischen Ozean möglichst umfassend kontrollieren zu können. Deshalb scheint Delhi auf einer zu Mauritius gehörenden Insel einen Militärstützpunkt zu errichten, auf dem auch die größten Militärflugzeuge starten und landen können. Ähnliches geschieht auf den strategisch günstig gelegenen indischen Inselgruppen Andamanen und Nikobaren im fernen Golf von Bengalen. Von diesen Inselgruppen aus lässt sich die Zufahrt in die Straße von Malakka bestens überwachen. Indien unterhält dort bereits vier Luftwaffenstützpunkte und einen Hafen für die Kriegsmarine. Rege Bautätigkeiten zeigen, dass hier ein bedeutender Außenposten Indiens entstehen soll.

Dabei geht es primär darum, chinesischen Ambitionen zur ungehinderten Nutzung des Indischen Ozeans einen Riegel vorzuschieben. Indien ist durch vermehrte Fahrten chinesischer U-Boote und Kriegsschiffe in seiner unmittelbaren Einflusssphäre alarmiert. Auch Chinas Finanzierung von Tiefseehäfen in Sri Lanka, Pakistan und Myanmar trägt zur Verunsicherung der indischen Führung bei. Schon im Jahr 2014 hat Indien die "East Act Policy" beschlossen. Mit dieser Strategie strebt es eine intensive wirtschaftliche und militärische Kooperation mit Ländern der Region an, um Chinas steigendem Einfluss zu begegnen.

Eine Region im Dilemma - die Spannungen werden zunehmen

Staaten wie Vietnam, die Philippinen, Südkorea, Singapur und Indonesien geraten durch die zunehmende Konkurrenz zwischen China und den USA in ein strategisches Dilemma. Denn zum einen wollen sie die Beziehungen zum wichtigsten Wirtschaftspartner China nicht gefährden, zum anderen suchen sie aber den Schutz der USA gegenüber Pekings dominantem Vorgehen. Ihr Handlungsspielraum schrumpft zunehmend, da die beiden Großmächte Loyalität fordern und somit einen Deklarationszwang erzeugen.

Es gibt keinerlei Anzeichen, dass die Spannungen zwischen den USA und China abnehmen werden - ganz im Gegenteil. Daher wird auch der Wettlauf um die Gunst der Herrscher im Indopazifik und damit um strategisch entscheidende Stützpunkte fortgesetzt werden. Neben diversen Lockangeboten im Sinne einer Soft-power-Strategie könnte dabei durchaus auch vermehrt Druck auf einzelne Länder entstehen. Das allerdings würde sich sehr negativ auf die Sicherheitslage und die politische Stimmung in der Region auswirken.

Die größte Unsicherheit geht jedoch von einem potenziellen Angriff Chinas auf Taiwan aus. Damit würde die labile Sicherheitsordnung kippen und die gesamte Region, vermutlich aber die ganze Welt, in ein Chaos gestürzt werden. Vertrauensbildende Maßnahmen, unterschiedliche Kooperationsforen sowie die Einbeziehung externer Akteure wie der Europäischen Union könnten dabei helfen, Eskalationen mit ungeplanten Folgen vorzubeugen.