Von Syrien bis zu den Budgetverhandlungen - in der Außen- wie der Innenpolitik zeigt sich zurzeit deutlich Barack Obamas Unvermögen in Sachen Leadership.
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Die angesagte, aber verschobene US-Intervention in Syrien bezeichnet einmal mehr die Führungsschwäche Obamas. Nicht, dass eine Militäraktion wünschenswert wäre, dennoch hängt sehr viel von der Glaubwürdigkeit der USA als globale Ordnungsmacht ab, auch wenn dies angesichts berechtigter Kritik an Washington besonders nach dem Irakkrieg viele nicht wahrhaben wollen. Die leidvolle Erfahrung des Balkankriegs der 90er Jahre und in Rwanda lehren jedoch, dass letztlich nicht der UNO-Sicherheitsrat, sondern die Furcht vor der US-Militärmacht Diktatoren im Zaum hält.
Begrenzte Optionen
Allerdings sollten die USA nur dann drohen, wenn die Regierung auch bereit und fähig ist, die Drohungen wahrzumachen. Grundsätzlich hätte es nach dem Giftgasangriff der Assad-Truppen zwei Optionen gegeben: der Präsident befiehlt eine plötzliche und sehr begrenzte Bestrafungsaktion, die dem Assad-Regime signalisiert, der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln bleibe nicht ohne Konsequenzen - Reagan bombardierte einst Gaddafis Palast und Hauptquartier nach einem Terroranschlag gegen US-Soldaten in Deutschland. Auch Israel hatte dieses Mittel mindestens einmal bereits gegen Syrien verwendet. Die USA hätten dazu ihre See-gestützten Marschflugkörper verwenden können, um Ziele zu treffen, die Assad lieb und teuer sind wie Kommandoposten, Raketenstellungen oder seine Luftwaffe. Er hätte sich jedes Mal entscheiden müssen, entweder Giftgas einzusetzen und einen Teil seiner Ausrüstung zu verlieren oder doch mit konventionellen Waffen zu kämpfen. Der Ball wäre beim syrischen Regime gelegen und die USA hätten keine weitere Verpflichtung gehabt, sich tiefer zu verstricken.
Aus globaler Ordnungsper-spektive hätten die Mächte vor Ort, allen voran der Iran, die Botschaft verstanden, dass der Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht folgenlos bleibt.
Die Alternative zur begrenzten und mit wenigen Erwartungen verbundenen Bestrafungsaktion wäre gewesen, hinter den Kulissen die notwendige nationale und internationale Unterstützung für eine umfangreichere Militäraktion aufzubauen und diese erst anzukündigen, wenn man sich sicher ist, nicht vom eigenen Kongress und den treuesten internationalen Verbündeten im Stich gelassen zu werden. Natürlich darf man sich als Präsident nicht in eine Situation manövrieren, in der die eigene Handlungsfähigkeit und damit die Glaubwürdigkeit und die Sicherheitsgarantien der Supermacht von einer nicht kalkulierbaren und tagespolitisch überlagerten Abstimmung im Kongress bestimmt werden.
Ungute Abhängigkeit
Noch weniger sollte sich der US-Präsident in seiner Vorgehensweise von einem Strohhalm abhängig machen, der ausgerechnet von Vladimir Putin gereicht wird, einem Mann der in Syrien eine eigene Agenda verfolgt und alles daran setzt, den Einfluss der USA in der Welt zu schwächen.
Wieder einmal stellte Präsident Obama jedoch sein von vielen Beobachtern kritisiertes Unvermögen unter Beweis, durch Leadership zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen. In einem Politikbereich nach dem anderen musste der Präsident zusehen, wie seine angekündigten Initiativen im Sand verliefen. Es begann bald nach seiner Amtsübernahme mit seinem Gesetzeswerk zum Klimawandel und den Treibhausgasen und setzte sich über zahlreiche verlorene Budget-Duelle mit dem Kongress bis hin zu angekündigten Versuchen, weitere Konjunktur- und Infrastrukturmaßnahmen zu beschließen, die Waffengesetze zu verschärfen, die Einwanderungsgesetze zu reformieren und die Steuereinnahmen gerechter verteilen, nahtlos fort. Dort wo es legislative Erfolge vorzuweisen gab, wie etwa bei der Gesundheitsreform oder dem Bankenaufsichtsgesetz, kamen dem Präsidenten Verbündete im Kongress zu Hilfe. So können sich die ehemalige demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und ihr Pendant im Senat, Harry Reid, zuschreiben, Obamas bereits dem Untergang geweihte Gesundheitsreform durch einen Trick der Geschäftsordnung gerade noch gerettet zu haben.
Beim Bürgerkrieg in Libyen war es die Führungsstärke der Franzosen und Briten, die die USA widerwillig zu einer Intervention veranlassten. Nicht ohne Ironie wurde in diesem Zusammenhang auch von Washington selbst der Begriff des "leading from behind" geprägt.
Geschick gegen Geist
Präsident Obama hat zweifellos viele Talente und ist wahrscheinlich einer der klügsten und gebildetsten Männer, die je im Weißen Haus dienten. Er ist ein inspirierender Redner, ein disziplinierter Wahlkämpfer und ist als erster schwarzer Präsident mit Herausforderungen konfrontiert, die seinesgleichen suchen. Dennoch bewahrheitet sich einmal mehr die These, dass die smartesten Amtsinhaber im Weißen Haus nicht unbedingt die durchsetzungsfähigsten sind. Amtsvorgänger wie Teddy Roosevelt, Franklin Delano Roosevelt, Harry Truman, L.B. Johnson, Richard Nixon, Ronald Reagan und George W. Bush waren zwar nicht als große Intellektuelle bekannt und in gewisser Hinsicht eher einfach gestrickt, vermochten aber in entscheidenden Momenten die Dinge massiv nach ihren Vorstellungen und Zielen zu beeinflussen.
Damit sei nicht gesagt, dass diese Politik auch immer eine gute und sinnvolle war. Wenn es jedoch darum ging, bestimmte politische Ziele mit Hartnäckigkeit, Geschick und taktischem Vermögen bis zum Ende zu verfolgen, waren diese Amtsvorgänger relativ erfolgreich. Dagegen erwiesen sich Präsidenten, denen allgemein großer Intellekt, hohe Bildung, besondere Sensibilität oder in ihren vorangegangen Karrieren große Fähigkeiten konzediert wurden - etwa Woodrow Wilson, Herbert Hoover, Dwight D. Eisenhower, John F. Kennedy und Jimmy Carter - oft wenig durchsetzungsfähig. Kaum jemand erinnert sich, dass es bis zum Fiasko in Vietnam Präsident Johnson war, der jene Bürgerrechts- und Sozialgesetze durch den Kongress brachte, an denen Kennedy zuvor gescheitert war. Präsident Carter, als feinsinniger Humanist und bescheidener Grübler bekannt, der oft bis Mitternacht seinen Schreibtisch nicht verließ, wurde überhaupt zur tragischen Figur. Die Sowjets interpretierten seine Friedfertigkeit als Schwäche und die Ayatollahs im Iran nahmen US-Botschaftsangehörige als Geiseln und führten über Monate dem Präsidenten sein eigenes Unvermögen vor Augen.
Gegenbeispiel Reagan
Dagegen konnte sich der in Europa als einfältiger Schauspieler verpönte Ronald Reagan scheinbar spielend dort durchsetzen, wo Carter gescheitert war. Reagan brachte den mehrheitlich demokratisch-kontrollierten Kongress dazu, des Präsidenten radikale Steuerpläne zu billigen, überzeugte die Sowjets von seinem geplanten Krieg der Sterne und brachte allen Friedensbewegungen zum Trotz die europäischen Verbündeten auf Linie, an der Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen festzuhalten. Er ließ weder Freund noch Feind darüber im Zweifel, dass die USA erst nach einer Abrüstung und Deeskalation auf seiten Moskaus zu irgendwelchen Zugeständnissen bereit sein würden. Andernfalls würden die Sowjets den dringend benötigten wirtschaftlichen Atemraum nie bekommen. Dennoch war bekannt, dass Reagan nicht lange arbeitete, vieles delegierte und mit der Welt in ihrer Komplexität wenig anzufangen wusste. Wer zu viele einzelne Bäume sieht, nimmt den Wald nicht wahr, ist man versucht zu sagen. Der Glaube an einfache Wahrheiten mag dabei helfen, den moralischen Kompass nicht zu verlieren und das "big picture" im Auge zu behalten.
Obama dagegen ist nuancenreich, analytisch und sich der Komplexität der Dinge bewusst. Sein Zugang ist der eines akademisch hoch gebildeten Denkers, der alle Seiten einer Materie sehen und auch verstehen kann. Er ist jemand, der das Für und Wider abwägt und pragmatische Lösungen anstrebt. Nicht umsonst wird der Präsident von seinen Kritikern gerne als "Professor-in-Chief" und "No Drama Obama" bezeichnet. All zu viel politische Emotion, extreme Positionen oder absolute Wahrheiten sind ihm von Natur aus suspekt. Stattdessen geht es um das richtige Maß und die goldene Mitte zwischen politischen Möglichkeiten. Obama meinte es zweifelsohne ernst, als er als Kandidat vor einem übermächtigen Überwachungsstaat warnte. Doch als Präsident ist er für die Sicherheit von Millionen verantwortlich. Daher sind für ihn wohl die Schnüffeleien der NSA in der Risikoabwägung zwischen unbeschränkter Privatsphäre und der größeren Chance, einen Terrorangriff mit Massenvernichtungswaffen zu verhindern oder einen Anschlag rascher aufklären zu können, sekundär. In der rationalen Abwägung wählt er, schweren Herzens, wie man nur unschwer erkennen kann, dort das kleinere Übel, wo sich ein weniger analytischer Kopf aus Prinzip vielleicht ganz gegen diese Politik entschieden hätte. Ebenso ist Obamas Drohnenkrieg eine effiziente Form, Al Kaida und deren Verbündete zu bekämpfen - die Alternative dazu wäre eine umfangreichere US-Militärintervention, die wesentlich mehr Opfer bedeuten würde und unabsehbare Konsequenzen hätte.
Dennoch manövriert sich der analytische Entscheidungsträger auch mit dieser scheinbar pragmatischen Politik wieder zwischen alle Fronten - viele seiner Unterstützer lehnen Drohnenkriege und den Überwachungsstaat fundamental ab. Für Obamas Gegner wiederum gehen seine effizienten Lösungen nicht weit genug - so schafft er sich mit seiner Politik der Abwägung und des Kompromisses keine großen Freunde.
Dem Mann ohne Leidenschaft und Flair für politisches Drama ist auch das Tagesgeschäft in Form von ritualisierten Hahnenkämpfen mit den Gegnern ebenso ein Gräuel wie geheuchelte Entrüstung über deren gegensätzliche Interessen. Verhasst, wie man hört, sind Obama auch die Schmusetouren à la Bill Clinton, in denen dieser die Medien mit vertraulichen Einsichten über das politische Geschäft verzauberte und seine Fan-Gemeinde mit herzerfrischenden Geschichten für sich einnahm.
Da Obama Politik als rationales Verteilungsspiel sieht, bei dem jede Seite Interessen anmeldet, meint er durch das Einnehmen einer Kompromissposition zwischen der eigenen und jener des Gegners das lästige Ringen um die Einigung abkürzen zu können. In einer Welt politischer Extreme und entsprechender Kompromisslosigkeit, wo Andere für ihre Überzeugung aufs Ganze zu gehen bereit sind, auch wenn sie dabei sich selbst und der eigenen Sache Schaden zufügen, muss der Versuch Obamas, als effizienter und pragmatischer Entscheidungsträger aufzutreten, zwangsweise scheitern. Die Mitte in der Obama seine Gegner zu treffen hofft, entpuppt sich als Illusion.
De facto haben amerikanische Präsidenten nur in Ausnahmesituationen und Krisenzeiten eine wirklich große Macht. Im politischen Tagesgeschäft liegt ihre Einflussmöglichkeit weit hinter jener eines Bundeskanzlers oder Premierministers. Nicht nur, dass die Regierung des Präsidenten keine eigenen Gesetzte einbringen kann, sondern diesbezüglich vom Wohlwollen freundlich gesonnener Parteigänger abhängig ist - in weiten Bereichen hat der Präsident keine Kompetenz oder ist selbst nach erfolgreicher Gesetzgebung dem Urteilsspruch eines Obersten Gerichtshofs ausgeliefert. Abgeordnete sind in der Regel den Wählern oder finanzkräftigen Interessensgruppen verpflichtet und nicht ihrer Partei. Daher gleicht der Gesetzwerdungsprozess aus Sicht des Weißen Hauses einem großen Pokerspiel, bei dem Überzeugungskraft, Bluffen, taktisches Geschick und perfektes Timing entscheidend sind.
Verhandlungskunst
Vor allem muss der Präsident im richtigen Moment selbst in die Verhandlungen eingreifen und den wichtigsten Stakeholdern Deals anbieten. All dies geschieht natürlich hinter den Kulissen, da im Licht der Öffentlichkeit jeder seine Maximalposition einnehmen würde, um nicht als "Loser" dazustehen.
Gleichzeitig muss der Präsident entweder durch öffentliche Mobilisierung oder durch vertrauliche Drohungen großen Duck ausüben und wissen, wie weit er dabei gehen kann. Widerspenstige Abgeordnete sind mit einer Mischung aus Einschüchterungsversuchen und Versprechen weich zu machen, ideologische Hardliner gilt es zu isolieren.
Die Aufgabe des Präsidenten ist es, den Eindruck einer gewissen Unvermeidlichkeit zu erzeugen, um andere in Zugzwang zu bringen. Je geringer die Chancen, dass ein Gesetz durchkommt, desto geringer auch die Unterstützung - niemand möchte für ein unpopuläres oder zum Scheitern verurteiltes Gesetz stimmen und dafür gerade stehen, es sei denn, man möchte ideologische Prinzipienfestigkeit demonstrieren. Anderseits möchten viele Abgeordnete nicht allein zurückgelassen werden, wenn die Aussicht besteht, dass ein Gesetz doch noch angenommen wird. Zumindest möchte man die Chance wahren, das Gesetz zu beeinflussen oder für die eigene Zustimmung etwas im Gegenzug zu erhalten.
Die Fähigkeit, die eigene Politik in Form von Gesetzen und Entscheidungen im Kongress und in internationalen Gremien durchzusetzen, gehört zur großen Kunst der Präsidenten, an der sie auch gemessen werden. Sie ist nicht eine Folge der vermeintlich großen Machtfülle, sondern das Resultat von viel Geschick und Hartnäckigkeit. In Obamas Fall beginnen Initiativen in der Regel mit einer wunderschönen Rede. Doch nach den klugen Worten lehnt sich der Präsident oft sehr zurück, lässt andere im Kongress für seine Agenda kämpfen oder redet sich dann auf die ideologisch motivierte Fundamentalopposition der Gegner aus. Klimapolitik, Einwanderungspolitik, Afghanistanpolitik, Waffengesetzgebung, Sozialpolitik und vieles andere mehr verliefen nach dem gleichen Schema. Zunächst war es verständlich, dass Obama als nationaler Hoffnungsträger über dem üblichen parteipolitischen Hickhack stehen wollte, obwohl er als Senator die Verhältnisse hätte kennen müssen. Als jedoch spätestens wenige Monaten nach Amtsantritt die Republikaner begannen, alle Initiativen des Präsidenten zu blockieren und dies auch als Strategie offen zugaben, begannen sich Beobachter zu fragen, warum der Präsident nicht die Taktik änderte.
Dauerproblem Budget
Am eindrücklichsten zeigt sich die Führungsschwäche des Präsidenten bei der Budgetdauerkrise, die alle paar Monate zu einem Showdown zwischen Weißem Haus und Kongress führt, bei dem der Präsident regelmäßig den Kürzeren zieht. Da die alleinige Budgethoheit beim Kongress liegt, genauer gesagt beim von den Republikanern dominierten Repräsentantenhaus, bleibt dem Präsidenten nur das Druckmittel, von seiner Vetomacht Gebrauch zu machen. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass es überhaupt kein Budget gibt und die ganze Regierung ihre Pforten schließen muss. Dann könnte der Unmut der Wähler nicht nur auf den ungeliebten Kongress zurückfallen, sondern auch auf den Präsidenten selbst. Clinton hielt dies jedoch nicht ab, es einmal darauf ankommen zu lassen, und nach wenigen Tagen Shutdown musste der damalige Rädelsführer der Ultrakonservativen, Haussprecher Newt Gingrich, klein beigeben. Manchmal muss man eben Härte zeigen und den Bluff des Gegners aufdecken. Die Strategie, "der Sache wegen nachzugeben", wird als Schwäche ausgelegt und ermuntert die Gegner. Im Oktober droht diesbezüglich der große Showdown, wenn ein neues Finanzjahr beginnt. Da muss über einen neuen Haushalt abgestimmt werden, aber die alte Budgetkrise ist noch nicht gelöst und der Regierung droht das Geld auszugehen.
Die mangelnde Durchsetzungskraft des Präsidenten mag auch den etwas merkwürdigen Umstand erklären, dass Obamas persönliche Beliebtheitswerte bei der Bevölkerung relativ hoch sind. Die Menschen mögen und schätzen ihren moderaten Präsidenten. Jedoch die Zustimmung zu seiner Amtsführung hält sich hartnäckig unter 50 Prozent. Denn mehr noch als einen netten und klugen Präsidenten möchte man doch einen durchsetzungsfähigen, der echte Leadership zeigt.
Reinhard Heinisch, geboren 1963 in Klagenfurt, war viele Jahre lang Professor für Political Science an der University of Pittsburgh und ist seit 2009 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg.