Mit gemischten Gefühlen blicken die Iraker auf den Ukraine-Krieg. Wirtschaftlich könnte das Land aber profitieren.
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Im Irak sind ab jetzt Plakate von Präsident Wladimir Putin oder Unterstützungsbekundungen für seinen Krieg gegen die Ukraine verboten. Zuvor hat in der Hauptstadt Bagdad ein Banner mit der Aufschrift "We support Russia" gehangen. Dabei stellte sich der Irak bisher nicht klar gegen Putin und enthielt sich bei der UN-Resolution, die Russlands Angriff auf die Ukraine mit großer Mehrheit verurteilte. Das wurde als Zustimmung für den Kreml-Herrscher gewertet.
Doch wenn jetzt westliche Regierungsmitglieder und Präsidenten auf Einkaufstour mit den Scheichs oder Emiren am Golf über die Bildschirme flimmern und einen Gas- oder Öldeal nach dem anderen abschließen, so will auch der Irak nicht mit leeren Händen dastehen und von den steigenden Energiepreisen profitieren. Immerhin ist das Land nach Saudi Arabien der zweitgrößte Ölproduzent im Nahen und Mittleren Osten. Wenn Russland als Energielieferant ausfällt, könnte der Irak einspringen. Denn seine Kapazitäten sind mitnichten ausgeschöpft.
Der Öl-Export kann Preise für Lebsnmittel stützen
Während in den vergangenen zwei Jahren das Zweistromland seine Fördermengen aufgrund eingeschränkter OPEC-Quoten drosseln musste und die Produktion unter vier Millionen Barrel täglich rutschte, werden die Mengen jetzt wieder angehoben. Der Ölpreis ist geradezu explodiert und braucht nicht mehr künstlich beeinflusst zu werden. Im März produzierte der Irak bereits wieder fast 4,5 Millionen Fass am Tag, mit weiter steigender Tendenz. Infolge des Ukraine-Kriegs hat Bagdad im letzten Monat so viel Geld eingenommen wie zuletzt vor der Ölpreiskrise 1973.
Ziel ist es, bis 2025 fast eine Verdoppelung der Fördermenge zu erreichen. Mit den zusätzlichen Einnahmen können dadurch höhere Lebensmittelpreise wettgemacht werden, die durch den Wegfall von Weizen und vor allem Sonnenblumenöl aus der Ukraine entstehen. Das heißt, der Irak - wie auch die anderen Erdöl- und Erdgasproduzierenden Staaten - würden zu Kriegsgewinnern. Doch bis jetzt sind noch keine zusätzlichen Lieferverträge abgeschlossen worden. Weder Österreich, Deutschland, Frankreich noch Großbritannien haben ihre Wirtschaftsminister nach Bagdad geschickt, um irakisches Öl oder auch Gas, das zwar noch in geringem Umfang produziert wird, aber ebenfalls mit wachsender Tendenz, einzukaufen.
Ein Grund dafür ist, dass diverse russische Unternehmen eine zentrale Rolle im irakischen Energiesektor spielen. Lukoil operiert im zweitgrößten Ölfeld im Süden des Irak, West Qurna2, mit einer Produktionskapazität von 400.000 Fass täglich. Und Rosneft hat eine wichtige Kontrollfunktion bei der Kurdischen Pipeline Gesellschaft (KPC), die Öl sowohl aus den kurdischen Autonomiegebieten, als auch aus Kirkuk in den türkischen Hafen Ceyhan leitet. Etwa 500.000 Fass irakisches Öl werden täglich von dort in alle Welt verschifft.
Alarmiert durch die Sanktionen der EU und anderer westlicher Staaten, hat der Gouverneur der irakischen Zentralbank, Mustafa Ghalib Mukhaif, einen Brief an die irakische Regierung geschickt, in dem er auf die Konsequenzen für die russischen Firmen im Irak aufmerksam macht. "Um das Finanzsystem des Irak zu schützen, schlagen wir vor", heißt es in dem Brief, den das Web-Portal "Iraq Oil Report" veröffentlichte, "Verträge oder Übereinkommen auf Regierungsebene zu verschieben und Finanztransaktionen im Rahmen des russischen Finanzsystems hinauszuzögern". Dies macht deutlich, in welcher Zwickmühle der Irak mit Russland und der Ukraine steckt.
Das wirtschaftliche Dilemma ist jedoch nicht das einzige, was die Haltung der Iraker zum Krieg in der Ukraine charakterisiert. Zwar haben die meisten Menschen zwischen Bagdad und Basra bis hinauf nach Mosul ein tiefes Mitgefühl für die Ukrainerinnen und Ukrainer, deren Schicksal sehr dem ihren gleicht: drei Kriege, Invasion, Besatzung, Terror. Die Zerstörung des Irak nahm über 30 Jahre lang kein Ende. Wenn deshalb die Bilder des Krieges in der Ukraine auch über irakische TV-Bildschirme flimmern, nicken die meisten nur stumm, in sich gesunken.
"Wer einmal auf dich schießt, den vergisst du nicht"
Doch Mitleid mit den Menschen in der Ukraine will nicht so recht aufkommen. Mitgefühl ja, Mitleid nein. Denn die Iraker haben nicht vergessen, dass die Ukraine an der Seite der Vereinigten Staaten Teil der Kriegsallianz 2003 war, die ihrem Land schweres Leid zugefügt hat. Ohne UN-Mandat sind die Truppen unter dem Kommando der Amerikaner und Briten einmarschiert, haben den Irak überfallen. Der Kriegsgrund basierte auf einer Lüge und war konstruiert. Die Massenvernichtungswaffen, die Saddam Hussein angeblich besitzen sollte, wurden nie gefunden.
Damals schickte Kiew ein recht großes Kontingent an Soldaten in den Irak - 1.650 Mann, die in der Provinz Wasit im Südosten von Bagdad stationiert waren. Nicht wenige im Zweistromland ziehen jetzt Parallelen zum russischen Überfall auf die Ukraine und den Lügen Putins.
"Wer einmal auf dich schießt, den vergisst du nicht", sagen die Iraker. Selbst dann nicht, als die Ukraine nach dem Abzug der Truppen den Irakern ihre Tore öffnete, viele Studenten aufnahm, großzügig Visa erteilte und so viele irakische Touristen anzog, die vor dem Krieg nur im Iran Urlaub machen konnten. Die Ukraine wurde zum Freiheitssymbol für die Iraker. Besonders Männer schwärmten von den schönen blonden Frauen, die es dort gebe.
Und trotzdem: Ein ungutes Gefühl gegenüber der Ukraine ist geblieben.