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Der Islam als Waffe des Westens

Von Stefan Beig

Politik

Als Islamisten Verbündete waren. | Im Kalten Krieg machte der Westen eine kurzsichtige Islam-Politik. | Wien. Als besonders rechtes Mitglied der Regierung Adenauer ist Theodor Oberländer bekannt. Ab 1953 war er Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. 1960 musste er wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit zurücktreten. Mit Oberländers Engagement für muslimische Flüchtlinge aus der Sowjetunion hat man sich bisher weniger befasst. Zu Unrecht: Die Muslime waren für ihn von höchstem Interesse. Oberländer verfolgte zwei Ziele: Erstens sollten sich die muslimischen Flüchtlinge in Deutschland auf keinen Fall assimilieren. Zweitens sollten sie als Hauptsitz eine Moschee in München bekommen.


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Angesichts heutiger Islam-Debatten mag das manch einer für einen Scherz halten, doch damals standen hinter den Zielen handfeste Interessen. Oberländer hoffte auf den Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Flüchtlinge sollten später in ihre Heimatstaaten zurückkehren, sie vielleicht auch regieren und dort "die Durchführung der deutschen Ziele günstig beeinflussen", wie er in einem Brief an Gerhard von Mende, Leiter des "Büros für heimatvertriebene Ausländer", festhielt. Nützlich wären die Muslime, wenn sie Außenseiter blieben.

Der Empfänger des Schreibens war Pionier der Instrumentalisierung von Muslimen gegen die Sowjetunion. Entscheidende Erfahrungen hatte der Turkologe Gerhard von Mende während des Zweiten Weltkriegs gesammelt, als er sich unter den Nazis im "Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete" hoch gearbeitet hatte. Auch dort wurde die Mobilisierung der Muslime gegen die Sowjetunion vorangetrieben.

Der Eroberungskrieg Hitler-Deutschlands brachte etliche Muslime aus Zentralasien und dem Nordkaukasus in Kriegsgefangenschaft. Sie gehörten den nicht-russischen Minderheiten der Sowjetunion an und hassten Stalin. Die Nazis erkannten ihre Chance. Vor allem von Mende war maßgeblicher Stratege ihrer Verwendung zur Schwächung der Sowjets. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man auf seine Kompetenz und Kontakte nicht verzichten. Sein Büro wurde von Bonner Ministerien finanziert und war sein privater Geheimdienst.

Die geschichtsträchtige Moschee in München

Penibel nachrecherchiert wurde dieser Abschnitt deutscher Nachkriegsgeschichte vom kanadisch-amerikanischen Pulitzer-Preisträger Ian Johnson in seinem Buch "Die vierte Moschee", das eben im Klett-Cotta-Verlag auf Deutsch erschienen ist, sowie von Stefan Meining, einem Redakteur des Bayerischen Rundfunks. Sein Werk "Eine Moschee in Deutschland" ist fast zeitgleich bei C.H. Beck herausgekommen.

Die Zeitgeschichte, die beide Sachbuchautoren detailliert nacherzählen, ist auch für die Gegenwart interessant. Das betrifft vor allem den damals anvisierten Bau einer Moschee, die zum Symbol einer neuen muslimischen Gemeinschaft werden sollte. Das Projekt war erfolgreich: Die errichtete Moschee, bei der das Islamische Zentrum in München seinen Sitz hat, existiert noch heute. Nur die Pläne der Deutschen scheiterten. In der Moscheebau-Kommission kamen am Ende andere Kräfte zum Zug, allen voran Said Ramadan, ein aufstrebener Funktionär der Muslimbrüder und Schwiegersohn von deren Gründer Hassan al-Banna. Auch er erhielt Unterstützung vom Westen, freilich von den USA.

Während des Kalten Kriegs entdeckten auch die USA ihr Interesse für den Islam. Die Muslime sollten Verbündete in der psychologischen Kriegsführung - der Manipulation der öffentlichen Meinung - werden. US-Präsident Dwight Eisenhower, der diese Strategie besonders favorisierte, hat 1953 islamische Vertreter aus aller Welt im Oval Office empfangen. Sie waren Teilnehmer des "Kolloquiums über islamische Kultur und ihre Beziehung zum Zeitgeschehen", das dem Aufbau besserer Beziehungen zu den islamischen Staaten diente. Unter den Teilnehmern war bereits Said Ramadan.

Der junge Muslimbruder hielt sich später vorrangig in Europa auf. In Deutschland beendete er sein Studium der Rechtswissenschaften. Dass es ihm in München gelang, die Leitung des Moscheebauprojekts an sich zu reißen, dürfte er sicher auch seiner guten Bildung, den Kontakten in die islamische Welt und der sich wandelnde Zusammensetzung der Muslime in München verdanken. Ab Mitte der 50er Jahre reisten arabische Studenten, vor allem aus Ägypten, nach Deutschland. Sie verdrängten in der Baukommission die von Deutschland geförderten Flüchtlinge.

Für die USA war Ramadan wegen seiner anti-kommunistischen Haltung von Interesse, sein Israel-Hass dürfte noch nicht so sehr gestört haben. Doch Johnson wie Meining sind der Ansicht, dass Ramadans eigentliches Ziel der Aufbau neuer Netzwerke der Muslimbrüder in Europa war. Für Meinung ist Ramadan "der erste Vertreter des politischen Islam in Europa".

Errichtet wurde das Islamische Zentrum erst 1973 - dank Geldern von Libyens Staatschef Muammar-al Gaddafi. Die Leitung übernahm Ghaleb Himmat. Gegen die von Himmat geführte al-Taqwa-Bank wurde nach dem 11. September 2001 wegen des Verdachts auf Terrorfinanzierung ermittelt. Das Ermittlungsverfahren ist heute eingestellt. Mahdi Akef, der bis vor kurzem weltweiter Führer der Muslimbrüder war, leitete das Zentrum in den 80er Jahren.

Johnson stützt seine Recherche auf Interviews und CIA-Dokumente. Meinings Buch enthält auch Fotos und zieht Stasi-Unterlagen heran. Beide Autoren haben ihre eigenen Interessen am Thema. Johnson meint, der so geförderte Islamismus habe "den Boden für den Terrorismus" bereitet. Meining behauptet, die Rolle der Muslimbrüder heute sei darauf zurückzuführen, dass die Behörden lange weggeschaut haben. Diese Thesen können die Autoren ungenügend belegen. Gut recherchiert haben sie die Entstehungsphase des Islamischen Zentrums. Lesenswert sind ihre Werke in zeithistorischer Hinsicht, gerade im Hinblick auf kurzsichtige westliche Politik.