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"Der Islam ist nicht das Thema"

Von Veronika Eschbacher

Politik

Islam-Experte Esposito über Islam und Demokratie, Autoritarismus und Werteschulungen.


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"Wiener Zeitung": Der Arabische Frühling endete fast in allen Ländern, die er erfasst hatte, in Bürgerkrieg, Terrorismus und neuer Unterdrückung. Für manche bestätigt dies, dass Demokratie und Islam nicht kompatibel seien.John Esposito: Das ist ein Argument, das seit ewig angeführt wird - aber es stimmt nicht. Wenn wir uns die Geschichte der vergangenen 50, 100 Jahre im Mittleren Osten ansehen, dann gab es dort erst europäische Kolonialmächte, auf die autoritäre Regimes folgen. Die politischen Führer, die im Zuge des Arabischen Frühlings gestürzt wurden, waren alle zwischen 20 und 35 Jahre lang an der Macht. Ihre Legitimität entstammte nicht von einer Wahl, sondern kam von ihren Sicherheitskräften und dem Militär. Gleichzeitig unterstütze der Westen diese autoritären Regimes.

Manche von ihnen wurden dann während des Arabischen Frühlings gestürzt, in Ägypten sahen wir in weiterer Folge einen Coup. Der Westen unterstützt auch heute autoritäre Regimes. So etwa bezeichnet der Präsident der USA (Barack Obama, Anm.) den Coup in Ägypten noch immer nicht als Coup, und Washington unterstützt jemanden wie Abdel Fattah al-Sisi, von dem alle Menschenrechtsorganisationen und praktisch alle namhaften Experten sagen, dass seine Regierung die brutalste in der Geschichte des modernen Ägyptens ist - mit dokumentierten Massakern an tausenden Zivilisten. Die Frage ist also nicht, ob der Islam und Demokratie kompatibel sind, sondern die Frage lautet, wie Autoritarismus überwunden werden kann, wenn dieser in der Region so fest verwurzelt ist und von äußeren Mächten unterstützt wird. Die USA oder die EU haben ja nicht nur akzeptiert, mit diesen Regierungen zu arbeiten, sondern haben darüber hinaus ihre Beziehungen mit ihnen vertieft. Der Islam ist hier nicht das Thema.

Sie haben die Verantwortung des Westens bereits angesprochen. Dieser ist ja auch ein enger Verbündeter von Saudi-Arabien. Inwiefern verhindert aber gerade die saudische "Mission", den Wahhabismus zu fördern, Bemühungen für mehr Demokratie in der Region?

Hier ist eine Unterscheidung nötig. Der wahhabitische Islam und der salafistische sind an sich nicht besonders gefährlich. Sie sind sehr konservative Arten des Islam. Das Problem ist aber, wenn wir sehr konservative oder ultra-konservative Menschen haben - so wie es auch rechte christliche Gruppierungen gibt oder im Westjordanland jüdische Fundamentalisten - und diese Menschen diese konservative Auslegung für militante Ziele verwenden. Das tat etwa Osama bin Laden, um seine Taten zu legitimieren. Ich glaube, der Fehler Saudi-Arabiens und mancher Golfstaaten ist einerseits, nicht anzuerkennen, dass sie Schwierigkeiten in ihren Ländern haben, und andererseits, dass es in ihren Ländern sehr wohlhabende Bürger gibt, die diese Art von Militanz unterstützen. Zudem gibt es darauf keine substanzielle Reaktion.

Die Attraktivität von sehr konservativen religiösen Positionen, die Legitimität des Hauses Saud, kam von konservativen religiösen Führern. Und deswegen ist man von diesen Führern abhängig. Und der Export dieser Weltanschauung ist problematisch - einerseits für die Entwicklung des Islams im Bereich Reformen und andererseits, weil Menschen, die diesen sehr konservativen Ansichten folgen, es legitim finden, militärisch gegen jene vorzugehen, die das nicht tun.

Die Flüchtlingskrise bringt aktuell sehr viele Muslime nach Europa. In Österreich hat Außenminister Sebastian Kurz, der auch für das Thema Integration zuständig ist, angekündigt, Flüchtlinge sollen einen sogenannten Integrationsplan durchlaufen, der auch eine "Werteschulung" vorsieht. In diesen Kursen soll es um Menschenwürde, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Rechtsstaat und Demokratie gehen. Was sagt uns das über das Bild des Islam im Westen?

Ich finde, das ist eine arrogante Position. Es ist eine Sache, es von vornherein als gegeben zu erachten, dass alle Muslime gleich und alle Interpretation des Islam die gleichen sind und diese zwangsläufig westlichen Werten entgegenstehen. Mir scheint das sehr engstirnig. Gibt es nicht auch in der Europäischen Union eine Werte-Krise?

Andererseits glaube ich, dass es gut ist, wenn man sich Gedanken über Integration macht. Aber es geht um das Wie. In einer Gallup-Umfrage, die in 35 Ländern von Nordafrika bis Südostasien durchgeführt wurde, gab die Mehrheit der Muslime an, dass Frauen gleiche Rechte und gleich viel Bildung genießen sollen. Ich frage mich, wie viele Regierungsbeamte in den USA sich dessen bewusst sind.

Österreich muss hier auch aufpassen, dass es nicht Beispielen folgt wie etwa dem von Großbritannien, wo der Staat vorgibt, was der richtige und gute Islam ist. Dann nämlich bekommen wir ein Problem, wenn wir sagen, die Lösung liegt einzig und allein im Säkularismus. Menschen haben das Recht, verschiedenartig zu sein, sei es in ihren politischen Ansichten oder in ihren religiösen. Wo der Staat das Recht hat, sich damit zu beschäftigen, ist im Bereich Extremismus. Die allermeisten Muslime sind aber keine Extremisten. Der Staat benimmt sich aber manchmal so, als wüsste er schon im Vorhinein, dass Religion ein Problem ist. Islamophobe unterstellen ständig, dass Menschen, die heute gläubig sind, vielleicht schon morgen Extremisten sind.

John L. Esposito
Der Islamexperte und US-Regierungsberater unterrichtet an der Georgetown University in Washington. Mit Tamara Sonn und John O Voll veröffentlichte er kürzlich das Buch "Islam and Democracy after the Arab Spring".