Zum Hauptinhalt springen

Der Islam ist nicht schuld

Von Ina Weber

Politik

Überraschendes Studienergebnis: Der Islam sei aus den Wiener Kindergärten hinausgedrängt worden - muslimische Kinder werden laut Studienautoren bei der öffentlichen Vergabe an Plätzen benachteiligt. Mehr Geld und Personal wäre nötig.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Eines gleich vorweg gesagt: Der Islam an sich trägt nicht die Verantwortung für etwaige Missstände an Wiens Kindergärten. Das ist die Kernaussage der lange erwarteten Studie, die von der Stadt Wien und vom Integrationsministerium in Auftrag gegeben und gestern, Donnerstag, präsentiert wurde. Durch die Islam-Kindergärten in Wien gibt es laut Studienautoren auch keine Parallelgesellschaften. Im Gegenteil, so Henning Schluß vom Projektteam der Uni Wien, die Separation habe weniger mit freiwilliger Abspaltung als mit Ausgrenzung zu tun.

An der Studie, die in zwei Teilen durchgeführt wurde, haben sowohl die Universität Wien und die Fachhochschule Campus Wien als auch Universitätsprofessor Ednan Aslan, der bereits 2015 mit seiner Pilotstudie im Auftrag des damaligen Integrationsministers Sebastian Kurz für Aufsehen gesorgt hatte, mitgearbeitet. Aslans Studie habe damals dazu beigetragen, so der Tenor, dass zum einen die Stadt Wien zu schärferen Kontrollen gerufen hat, zum anderen die Islamfeindlichkeit zum Wahlkampf-Thema wurde.

698 Kindergärten und Kindergruppen wurden überprüft - und zwar qualitativ, mit Fragebögen, Gruppendiskussionen und Lokalaugenscheinen. Was dort beobachtet wurde, habe gezeigt, dass die Probleme nicht ausschließlich in der islamischen Religion wurzeln. Der Mangel an qualifiziertem Personal etwa sei kein exklusives Merkmal von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam, sondern gelte für alle. Auch Indoktrination sei kein Alleinstellungsmerkmal des Islam, betonen die Studienautoren. Zunächst habe man sich die Frage gestellt, was denn überhaupt "islamisch" ist, so Maria Fürstaller von der FH Campus Wien. Sind das Kindergärten, wo Halal-Essen angeboten wird, eine Pädagogin mit Kopftuch arbeitet oder das Kind muslimische Eltern hat?

Die Ergebnisse der Studie sind dann doch überraschend: "Seit 2015 gibt es einen dramatischen Rückgang von Religion in den Einrichtungen", sagt Schluß. Die politische Diskussion habe zu einer Stigmatisierung dieser Kindergärten geführt. "Faktisch ist es aber so, dass der Islam nicht verschwunden ist. Er wandert bloß aus dem Kindergarten hinaus, in einen Bereich, der pädagogisch nicht mehr zu verantworten ist." Dies sei jedoch nicht positiv, sondern bedenklich.

Man habe weiters festgestellt, dass muslimische Kinder oft ausgegrenzt werden. "Unsere Kindergärten sind ja erstaunlich homogen", so Schluß. Zusatzbeiträge in den Kindergärten, die Tatsache, dass beide Eltern arbeiten müssen, um einen Kindergartenplatz zu bekommen, und die Art und Weise der Platzvergabe in öffentlichen Kindergärten wurden in den Gruppendiskussionen als Grund angegeben, warum muslimische Eltern oft gar keine andere Wahl hätten als ihre Kinder in "eigene" Einrichtungen zu geben.

Was ist daher zu tun? "Die Pädagogen stehen vor großen Herausforderungen", so Nina Hover-Reisner von der FH Campus Wien. Sie bräuchten ein hohes Fachwissen, Sensibilität und Reflexionsfähigkeit. Es bräuchte mehr Zeit, Geld und Personal. "Wir haben gesehen, dass die Pädagogen oft unsicher und unbeholfen sind. Mit einem verpflichtenden zweiten Kindergartenjahr wird es nicht getan sein", so Hover-Reisner. Die Fragen, wie Erzieher mit der Vermittlung religiöser Aspekte und Wertorientierungen im Kindergartenalltag umgehen, welche Schwierigkeiten und Bereicherungen sie dabei erleben und welche persönlichen Vorstellungen ihr Handeln leiten, sei bis jetzt noch kaum empirisch untersucht worden, heißt es in der Studie. Auch ein wertschätzender Umgang mit der Erstsprache ist laut Hover-Reisner ausschlaggebend. Und das wiederum sei eine "gemeinsame Aufgabe unserer Gesellschaft".

Die Institutionen hätten unterschiedlich auf die verschärften Kontrollen durch die Stadt reagiert, sagte Aslan. Während ein Teil religiöse Erziehung und Koranunterricht ohne bestimmten Rahmenplan weiterhin anbiete, habe ein anderer Teil die religiöse Erziehung in Sonderprogramme außerhalb der Öffnungszeiten bzw. an Wochenenden verschoben. "Was die Stellung der religiösen Erziehung in den Einrichtungen betrifft, hat die Stadt kein wirksames Konzept", kritisierte Aslan. "Allein Religion aus diesen Einrichtungen zu vertreiben, ist nicht die Lösung."

Sprachdefizite und Personalmangel

Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) zieht anlässlich der Studie seine eigenen Schlüsse. Er verweist auf das neue Kindergartengesetz, das mehr Kontrollen vorsieht. Er räumt jedoch ein, dass die Sprachförderung weiter intensiviert werden muss: Mehrsprachigkeit sei dabei als Chance zu begreifen - denn wer sich in der Erstsprache gut ausdrücken kann, könne auch eine weitere Sprache gut lernen.

Die für sprachliche Frühförderung zuständigen Pädagogen sind zuletzt auf 250 aufgestockt worden. Es seien aber wohl mehr nötig. Weiters soll es einen Weiterbildungsschwerpunkt für interkulturelle Kompetenz geben. Und im Herbst hat die Stadt einen Leitfaden über die "Ethik im Kindergarten. Vom Umgang mit Religionen, Weltanschauung und Werten" herausgegeben. Laut Stadt wurde vom Verfassungsdienst übrigens bis dato noch nie ein Kindergarten genannt, dessen Träger als bedenklich eingestuft wurde.

Für den Klubchef der Wiener Grünen, David Ellensohn, räumt die Studie mit vielen Vorurteilen auf, religiöse Indoktrination sei nicht mehr im Vormarsch, stattdessen werde Religion zurückgenommen bzw. herausgedrängt. Es gebe aber dennoch genug zu tun.

Die Wiener ÖVP sieht die Studie als Handlungsauftrag an das Rathaus. Sie verlangt einmal mehr eine massive Aufstockung der Kontrollore und nicht angekündigte Überprüfungen nach Mystery-Shopping-Art.

Die Neos sehen Rot-Grün nun ebenfalls am Zug. Der Ansatz bei Kontrollen müsse mehr auf die tatsächliche Arbeit mit den Kindern gelegt werden, das Personal außerdem gründlicher qualifiziert werden, hieß es. Zu Wort gemeldet hat sich auch der neue Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP). Er plane, die pädagogischen Standards zu verbessern. Und die Studienergebnisse sieht er als Argument für die Einführung von zwei verpflichtenden Kindergartenjahren.