Deutsche Muslime haben "ein ernst zu nehmendes Potenzial zur islamistischen Radikalisierung". | Jeder vierte Schüler gewaltbereit. | Berlin. In ein Wespennest gestochen hat eine neue Studie über "Muslime in Deutschland", die sich unter anderem mit politisch-religiös motivierter Gewalt in dieser Bevölkerungsgruppe befasst. Jeder vierte muslimische Schüler sei - so eines der Ergebnisse - "persönlich zur gewaltsamen Auseinandersetzung gegen Andersgläubige bereit". Ein Befund, den der Auftraggeber der Studie, der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble, mit den Worten kommentiert, "dass sich in Deutschland ein ernst zu nehmendes islamistisches Radikalisierungspotenzial gebildet hat".
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Die von den Hamburger Kriminologen Katrin Brettfeld und Peter Wetzels erstellte 500-Seiten-Untersuchung wertet mehrere Befragungen im Rahmen einer "multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen" aus. Neben einer repräsentativen Telefonumfrage unter Muslimen wurden auch Schüler und Studenten befragt sowie das Umfeld islamischer Vereine und Organisationen erhoben.
Zwar hielten nur 5,5 Prozent der Befragten den Einsatz von Gewalt zur Verbreitung und Durchsetzung des Islam für legitim. Aber gut 44 Prozent stimmten in der Telefonumfrage der Aussage zu, dass im Kampf für ihren Glauben getötete Muslime ins Paradies kommen. Schäuble zieht aus der Studie den Schluss, dass mangelhafte sprachlich-soziale Integration und Bildungsferne sich "in erheblichem Maße integrationshemmend" auswirkten.
Parallelgesellschaften und Fundamentalismus
Dies gelte auch für "die einseitige Ausrichtung auf nicht-deutsche Medien" und den "Rückzug in ethnisch-religiös geschlossene Milieus". Die Rede ist von Ghettoisierung, Bildung von Parallelgesellschaften und islamistischem Fundamentalismus als gefährlichem Biotop. Was die Werte betrifft, so unterscheiden sich die Muslime allerdings kaum von der übrigen deutschen Bevölkerung.
Dass eine solch umfassende Studie auf höchst unterschiedliche Weise - je nach ideologischer Position - interpretiert wird, versteht sich von selbst. Aber es liegt auch in der Ambivalenz des Themas Islam. Das zeigt das Beispiel eines Befragten, der selbst kein direkter Befürworter politischer Gewalt ist, aber gewisse nützliche Züge radikal islamistischer Organisationen sieht: So werde der Islam seit dem 11. September 2001 nicht mehr ignoriert, sondern auf die Agenda im Westen gesetzt. Seiner Meinung nach haben radikale Organisationen, auch wenn sie international durch Gewalt eher dem Ansehen der Muslime schaden und Restriktionen provozieren, den positiven Aspekt, dass sie äußerlich ersichtlich islamische Werte mit Nachdruck vertreten und somit - sieht man von der Gewalt gegen unschuldige Dritte ab - auch "Wertvermittlung betreiben".
Einzelfälle verstellen den Blick aufs Ganze
Die emotionale Begleitmusik zur Diskussion um die Studie lieferte ein spektakulärer Überfall zweier junger Ausländer auf einen bayrischen Rentner knapp vor Weihnachten. Der 17-jährige Grieche und der 20-jährige Türke bespuckten, schlugen und traten den 76-Jährigen derart brutal, dass er Schädelfrakturen und Gehirnblutungen erlitt. Und das nur, weil er sie um 2 Uhr Früh in der Münchner U-Bahn gebeten hatte, nicht zu rauchen. Einer der Täter soll zu seinem Bekannten gesagt haben: "Jetzt wirst du gerade Zeuge, wie ich einen Deutschen umbringe!"
Die beiden mehrfach Vorbestraften haben nicht viel zu befürchten, sie genießen unbeschränktes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Eine Ausweisung, wie viele fordern, ist kaum möglich. Vor allem wirft der Vorfall ein grelles Streiflicht auf ein in der deutschen Gesellschaft bisher ungelöstes Problem: Mehr als die Hälfte aller Straftaten junger Menschen werden laut der Wiesbadener Kriminologischen Forschungsstelle von einer kleinen Gruppe von vor allem ausländischen Serientätern begangen. Während der Ausländeranteil an der deutschen Gesamtbevölkerung bei rund neun Prozent liegt, beträgt er unter Straftätern und polizeilich ermittelten Tatverdächtigen etwa 23 Prozent.
Gewaltbereitschaft und Ausländer-Kriminalität verstellen indes den Blick auf die eigentliche Zielrichtung der Studie: Die Integration von Menschen aus fremden Kulturkreisen. Die zum Teil selbst verschuldete, zum Teil durch die Ablehnung in der Aufnahmegesellschaft bedingte Ausgrenzung führt zur Identitätssuche, die besonders bei gering Gebildeten in einen diffusen, nicht selten gewaltbereiten islamistischen Fundamentalismus mündet.
Dass Radikalisierungsprozesse möglichst früh erkannt und aufgehalten werden, ist auch ein Anliegen des deutschen Innenministers. Die von Schäuble ins Leben gerufene Deutsche Islam Konferenz leistet hierzu einen ersten Beitrag.