)
Laut dem Kriminalpsychologen Thomas Müller nimmt Gewalt am Arbeitsplatz zu. | Anonymität und Stress als Ursache. | Wien. Was hat ein Kriminalpsychologe zur Arbeitswelt zu sagen? Nicht viel Positives. Die Erkenntnisse, die der über die Grenzen bekannte Kriminalpsychologe Thomas Müller kürzlich mit Managern der Austrian Business Travel Association teilte, sind erschreckend.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das destruktive Verhalten im Job nimmt zu. Das bezieht sich sowohl auf physische Gewalt als auch auf strafrechtliche Handlungen von Mitarbeitern, Vorgesetzten und Firmenleitungen in außergewöhnlichen Belastungssituationen. Studien zufolge sei jeder zweite Betrieb im deutschen Sprachraum davon betroffen. Die daraus entstehenden Schäden reichen laut dem Kriminalpsychologen pro Fall bis zu dreistelligen Millionenbeträgen.
Als Ursachen für diese Entwicklung ortet Müller eine immer anonymer werdende Arbeitswelt, den steigenden Druck am Arbeitsplatz und ein weiteres gesellschaftliches Phänomen: "Wenn jemand früher größere Probleme mit seinem Umfeld hatte - mit der Familie, dem Partner oder im Unternehmen -, hat er sich in eine Depression geflüchtet oder sich umgebracht. Heute richtet sich die Aggression in Stresssituationen oft gegen andere."
Für Müller spielt bei Gewalt am Arbeitsplatz ein stark sinkendes Selbstwertgefühl oft eine entscheidende Rolle - insbesondere, wenn dem Job eine dominante Rolle im Leben zugemessen wird. Bei Eskalationen kommen in der Regel drei Faktoren zusammen: eine länger andauernde Stresssituation, der Wegfall der Identifikation mit dem Unternehmen und große private Belastungen.
Dem Chef soll es noch schlechter gehen
Die Gewalt äußere sich oft in Erpressung und Nötigung von Mitarbeitern und Mobbing gegen Kollegen. Auch die Mitnahme von Unterlagen, welche firmenintern als vertraulich angesehen werden, und anonyme Droh-Schreiben etwa an den Personalchef fallen unter den Begriff "Workplace Violence". Der Hintergedanke solcher destruktiven Verhaltensweisen: "Mir geht´s nicht gut, aber wenn es meinem Chef noch schlechter geht, dann geht es mir wieder besser", so Müller.
In vielen Fällen würde ein wenig mehr Anteilnahme von Seiten der Kollegen oder Vorgesetzten Gewalt am Arbeitsplatz verhindern, ist sich Müller sicher.
Jedenfalls gelte es, auf Warnhinweise in frühen Stadien der Gewaltentwicklung zu achten. Denn oft gebe es deutliche psychische Anzeichen oder sogar klare schriftliche "Beweisstücke", die aber nicht ernst genommen, deren Existenz verschwiegen, geheim gehalten oder nicht zentral erfasst werden.
Während im ersten Stadium von Workplace Violence vor allem Mobbing-Handlungen gesetzt werden und anonyme Droh-Briefe und E-Mails geschickt werden, werden laut Müller im letzten Stadium die Ankündigungen umgesetzt.