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"Der Josef Cap geht nicht mit der Peitsche herum"

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Anlässlich des Parteitags diskutieren die Nationalratsabgeordnete Lapp und der SP-Revoluzzer Kowall über Wehrpflicht, innerparteiliche Demokratie und Kurswechsel.


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Wien. Heute, Samstag, begeht die SPÖ in St. Pölten ihren 42. ordentlichen Parteitag. Die "Wiener Zeitung" lud Nationalratsabgeordnete Christine Lapp und Parteirebell Nikolaus Kowall zum Gespräch über den Zustand der Sozialdemokratie in Österreich.

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"Wiener Zeitung": Im Zusammenhang mit der SPÖ ist oft von Krise die Rede. In was für einer Situation steckt die Partei wirklich?

Christine Lapp: Ich spreche nicht gerne von Krisen, da fühlt man sich immer so ohnmächtig. Es gibt Herausforderungen. Die SPÖ muss sich immer wieder neu positionieren - aber gerade das ist der Vorteil einer Partei, die die Gesellschaft verändern will.

Nikolaus Kowall: Wir haben permanent Neupositionierungen, die aus rein taktischen Gründen passieren. Wir sind auf einmal für die Vermögenssteuer - das war vor drei Jahren noch völlig unmöglich. Wir sind plötzlich für die Erbschaftssteuer - da hat sich der jetzige Kanzler vor vier, fünf Jahren für die Abschaffung eingesetzt. Wir haben in der Wehrpflicht unsere Position über den Haufen geworfen.

Lapp: Entschuldigung, aber Vermögenssteuer ist keine taktische Überlegung, sondern etwas, das uns seit Beginn der Sozialdemokratie beschäftigt, weil es um Umverteilung geht.

Kowall: Da habe ich ein längeres Gedächtnis: Ich habe immer für die Vermögenssteuer gekämpft, aber bis vor drei Jahren auf Granit gebissen.

Lapp: Freust Du Dich nicht, wenn es da Veränderungen gibt?

Kowall: Ich freue mich, dass sich was bewegt, aber die Motive sind durchsichtig.

Lapp: Also für mich ist das Ergebnis wichtig. Vor fünf Jahren hätte man auch die Finanztransaktionssteuer noch nicht für möglich gehalten - aber das ist doch gerade die Aufgabe der Sozialdemokratie: an Themen dranbleiben und auch Positionen zu verändern.

Kowall: Aber wenn man die Positionen mit dem Wind verändert, spüren das die Leute. Ich finde, die Parteispitze richtet ihre Themen zu sehr an der Tagespolitik aus. Das beste Beispiel ist die Wehrpflicht. Ich glaube, ich werde für die Abschaffung stimmen, weil es das bessere Modell ist. Aber die Art und Weise, wie das zustande gekommen ist, ist bezeichnend: Vor der Wien-Wahl im Oktober 2010 haben wir für eine einzige Titelseite der "Kronenzeitung" eine jahrzehntelange Position über Nacht aufgegeben. Da wurde nicht diskutiert. Das war eine mediale Finte.

Lapp: Das war keine mediale Finte, sondern ein Interview mit dem Bürgermeister mit 17 anderen Themen - und das wurde dann halt zur Headline. Natürlich ist das ad hoc gekommen, aber wir hatten jetzt zwei Jahre Zeit, uns mit dem Thema in der Partei auseinanderzusetzen. Man kann ja nicht nur der SPÖ einen Positionswechsel vorwerfen. Das haben sämtliche Parteien gemacht.

Kowall: Klar, die Schwarzen stehen noch blöder da: Wir sind auf ihre Linie umgeschwenkt und sie haben aus ausschließlich taktischen Gründen ihre Position über den Haufen geworfen. Aber überlegen wir mal, was das alleine für Norbert Darabos und seine Glaubwürdigkeit bedeutet hat. Er bekommt über die "Krone" die neue Linie der Partei ausgerichtet, kommt wie die Jungfrau zum Kinde und muss innerhalb weniger Wochen seine Position ändern. Die Glaubwürdigkeit von Darabos ist unterminiert.

Lapp: In der Politik gibt es viele Situationen, wo man ad hoc entscheiden muss. Darabos hätte auch nein sagen können.

Kowall: Wir wissen doch, wie die Machtverhältnisse in der Partei sind. Du kannst doch nicht nein sagen, wenn der Bürgermeister und der Kanzler etwas vorgeben.

Lapp: Wenn er seine Haltung ändert, dann muss man ihn unterstützen.

Aber hätte es bei einem so wichtigen Thema nicht einer groß angelegten Diskussion bedurft?

Lapp: Diskussionen gab es in den vergangenen zwei Jahren und wird es bis zur Volksbefragung noch geben.

Sehen Sie aber zumindest einen kommunikativen Fehler vonseiten der Parteispitze?

Kowall: Das ist kein kommunikativer Fehler, sondern ein innerparteiliches Demokratiedesaster.

Lapp: Nein, ich finde, das beginnt mit dem Koalitionspartner, mit dem man sich nicht einigen konnte.

Kowall: Aber die ÖVP ist nicht verantwortlich für unsere Positionen. Du suggerierst, wir hätten einen zweijährigen Diskussionsprozess gehabt, in dem wir uns darauf einstellen konnten. Faktum ist: Die Linie wurde von Anfang an vorgegeben und wir hatten zwei Jahre Zeit, uns damit abzufinden. Wir haben in der SPÖ keine Kultur, einen Diskussionsprozess in Gang zu bringen - außer alle zwei Jahre einen Parteitag.

Lapp: Ich begreife die Partei so, dass man in den Gremien, in denen man sitzt, überall auch seine Meinung vorbringen und die Vertreter bitten kann, das auf die nächste Ebene zu bringen. Intern gibt es einen Diskussionsprozess.

Kowall: Wurde es in Simmering diskutiert?

Lapp: Es wurde diskutiert, als dieser Schwenk 2010 vollzogen wurde, und jetzt wieder.

Kowall: Und hatten diese Diskussionen einen Einfluss auf die Partei? Nein.

Lapp: Ich sehe mich als Vertreterin und mir ist dieser innerparteiliche Diskussionsprozess wichtig.

Aber wenn in Simmering der Wehrpflichtschwenk einhellig abgelehnt worden wäre, hätte das eine Auswirkung gehabt auf die Parteilinie?

Lapp: Das hätte auf meine Linie eine Auswirkung gehabt.

Sich der Basis verpflichtet fühlen und keinem Klubzwang unterliegen zu wollen - funktioniert das?

Lapp: Das ist mir sehr wichtig. Im Endeffekt bleibt es meine Entscheidung, wie ich zu den jeweiligen Themen stimme. Wenn der Klub eine andere Linie vorgibt, kann man sich bei uns laut Statut aus Gewissensgründen anders entscheiden.

Die Einzige, die das wirklich durchzieht und auch gegen den eigenen Klub stimmt, ist Sonja Ablinger.

Lapp: Der Klub ist ein demokratisches Gremium - und wenn die Mehrheit der Meinung ist, wir gehen in diese Richtung, dann muss man das zur Kenntnis nehmen. Eine Bewegung kann man nur sein, wenn man nicht lauter Einzelinteressen vertritt.

Kowall: Ich bin auch für den Klubzwang, aber ...

Lapp: Das ist kein Klubzwang, sondern eine demokratische Entscheidungsfindung. Der Josef Cap geht nicht mit der Peitsche herum.

Kowall: Was mich wundert, ist, warum Kanzler und Klubobmann im Klub immer die Abstimmungen gewinnen. Das macht mich stutzig. Demokratie im Klub würde dann funktionieren, wenn Positionen stark abgeändert werden könnten oder der Klub ab und zu auch anders entscheiden würde als die Parteispitze. Dann könnte man auch den Klubzwang einfordern.

Lapp: Es sind nicht nur Kinkerlitzchen, die verändert werden können. Beim letzten Fremdenrechtspaket wurden sehr viele Änderungen hineinreklamiert, dass ich dann am Ende gesagt habe: Das kann ich mittragen.

Herr Kowall, Sie vermissen Diskussionsprozesse in der SPÖ. Bräuchte die Bundespartei vielleicht einen Reformprozess, wie ihn die oberösterreichische Landesgruppe seit der letzten Landtagswahl durchführt?

Kowall: Die Bundes-SPÖ muss sich im Klaren sein, dass es nicht möglich ist, zu mobilisieren, wenn man von oben alles vorgibt. Die Leute werden sich dann beteiligen, wenn die Diskussionen ergebnisoffen sind. Bei einer Diskussion, wo alles entschieden ist, redet keiner mit. Wenn es in der SPÖ eine gewisse Ergebnisoffenheit gäbe, wären wir viel kampagnenfähiger. Als Kinder der Wiener SPÖ wissen wir, dass das nicht die große Stärke der Partei ist.

Lapp: In der Frauenorganisation konnten sich erstmals bei der Formulierung der Anträge für die Bundesfrauenkonferenz via Internet alle beteiligen. Solche Wege der Partizipation werden immer wichtiger. Aber es ist die Frage, wie das auf Bundesebene implementiert werden kann.

Auch die ÖVP tut sich schwer, verschiedenste Interessen - Bauern, Beamte, Wirtschaft - unter einen Hut zu bringen. Ist die Zeit der Massenparteien vielleicht vorbei, weil die Gesellschaft zu vielfältig geworden ist?

Kowall: Wir leben in einer Zeit, wo alles fragmentiert und globalisiert ist. Die Frage ist, wie man trotzdem eine nicht zu stark fragmentierte Massenbewegung aufbauen kann.

Wie?

Lapp: Über einzelne Themen. Die Leute wollen sich nicht mehr so lange verpflichten, aber wenn ihnen ein Thema unter den Nägeln brennt, muss man Angebote finden.

Kowall: Es braucht Inklusion. Wir haben in der SPÖ noch immer teilweise die Vorstellung - ich ertappe mich manchmal selbst dabei - von einer homogenen Arbeiterschicht. Das ist alles nicht mehr so. Als SPÖ müssen wir uns überlegen, wie wir inklusiver werden können. Sozial werden wir homogener, obwohl wir in die gegenteilige Richtung gehen müssten.

Oft wird kritisiert, die SPÖ sei in der Koalition zu kompromissbereit. Was Wachstum und Arbeitslosigkeit angeht, muss man aber sagen, dass das Ergebnis der rot-schwarzen Zusammenarbeit passt. Inwiefern schadet die große Koalition der SPÖ trotzdem?

Lapp: Als es darum ging, Österreich durch die Krise zu führen, war beiden Parteien klar, dass man sich nicht im politischen Hick-Hack verlieren darf. Bei den anderen Themen kämpft man halt darum, dass man für die Bevölkerung unterscheidbar bleibt. Klar ist es schwierig, den Mitgliedern die Kompromisse zu erklären. Aber für mich ist das Ergebnis wichtig und eine Arbeitslosigkeit von fünf Prozent ist ein gutes Ergebnis.

Kowall: Ich habe sehr viel an der österreichischen Sozialdemokratie zu kritisieren. Aber verglichen mit anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa ist sie strukturell immer noch stark und inhaltlich immer noch einigermaßen mit Profil behaftet. Bei der SPD ist nur noch die Parteilinke sozialdemokratisch, der Rest ist irgendwo dazwischen. Man könnte sagen: Die SPÖ war so konservativ, dass sie den Neoliberalismus verschlafen hat. Der symbolische Punkt war, als Rudolf Nürnberger 2000 das Koalitionsabkommen mit der ÖVP nicht unterschrieb. Da hätte uns das Gleiche wie der SPD passieren können: Wir hätten in eine Regierung kommen können, wo wir unsere Grundfesten angegriffen hätten. Das hat Nürnberger verhindert - und der alte Betonschädel hat uns da gerettet. Dadurch hat die SPÖ gewisse Schritte nicht mitgemacht, die andere gemacht haben. Daher gibt es noch einige Eckpfeiler unseres Wohlfahrtsstaates, die wir der österreichischen Arbeiterbewegung verdanken.

Lapp: Und die wir verteidigen konnten. Bei den letzten Sparpaketen haben wir geschaut, dass bei beiden Seiten - Einnahmen und Ausgaben - angesetzt wird. Die Konservativen würden am liebsten nur hineinschneiden.

Kowall: Das ist uns gut gelungen, aber es wäre mehr möglich. Wenn man sich mehr konzentriert auf Überzeugungen und weniger auf das taktische Tagesgeschehen, wenn man den Vertretern des neoliberalen Zeitgeistes gegenüber offensiver auftreten würde, könnte man viel mehr herausholen.

Frau Lapp, stört nicht gerade das Viele, dass die Partei nicht mehr links genug ist?

Lapp: Ich hätte Angst, dass man die Mitte der Gesellschaft verliert, wenn man prononciert linke Positionen viel stärker herausarbeitet. Es ist eine schwierige Gratwanderung. Was sind linke Themen? Umverteilung, Gerechtigkeit und Solidarität. Das sind die Grundfesten der Sozialdemokratie. Das können wir bei jedem politischen Feld - Bildung, Steuern, Finanzen - als Parameter anlegen. Ich will nicht wie "Die Linke" in Deutschland werden. Ich will Angebote für alle Menschen der Gesellschaft haben.

Im U-Ausschuss hat die SPÖ in der Inseratenaffäre eine sehr unrühmliche Rolle gespielt. Wie sehr schadet das der Partei?

Kowall: Es schadet nicht so sehr, wie die Leitartikler glauben. "Größter Skandal in der Zweiten Republik" - eine krassere Fehleinschätzung gibt es kaum. Wir werden es in einem Jahr sehen. Bis dahin kann sich noch viel tun. Es gibt aber sicher Gruppen, wo das langfristig Schaden anrichtet. Die Journalisten, die nicht im Boulevard sitzen, nicht von der SPÖ gefüttert werden und ihre Gewissensfreiheit hochhalten, werden versuchen, uns bei jeder Gelegenheit eins auszuwischen. Die Kontrolle über ein paar Boulevardmedien hilft uns vielleicht ein paar Mal, ist aber mittelfristig ein Verlustgeschäft.

Wie haben Sie das Ihrer Basis in Simmering erklärt, dass der Kanzler nicht geladen werden konnte?

Lapp: Weil der Staatssekretär geladen wurde und alles erklärt hat. Der Bruch im U-Ausschuss war für mich die Weigerung der Ausschussvorsitzenden im August, einen Vier-Parteien-Antrag zu akzeptieren. Dadurch hat sich das Klima im Ausschuss geändert. Vorher haben alle Parteien darauf geachtet, dass man auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Aber wenn sich die Dr. Moser am Nasenring vom Dr. Pilz durch den Ausschuss ziehen lässt - wir lassen das nicht mit uns machen.

Zur PersonNikolaus Kowall (30) ist Vorsitzender der Plattform "Sektion 8" der SPÖ Wien-Alsergrund. Er ist Doktorand am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf.

Die Wienerin Christine Lapp (Jahrgang 1962) ist seit 2001 Nationalratsabgeordnete. Davor war die Politikwissenschafterin, die aus der SPÖ Simmering stammt, Landtagsabgeordnete.