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Der Kampf für ein offenes und freies Internet

Von Gregor Kucera

Politik

Das Thema Netzneutralität rüttelt an einer der Grundfesten des weltweiten Datennetzes und wird in den USA und Europa heftig diskutiert.


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WWWeb. Es geht um nichts weniger als die Zukunft des Internets. Und damit um die Zukunft der Kommunikation, von Kultur, freier Rede und offenem Informationszugang und Innovation. Alle diese Themen sind betroffen, wenn das Wort "Netzneutralität" fällt. Was auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, ist in Wahrheit einer der Grundpfeiler des Internets. Ein ungeschriebenes Gesetz, wenn es um ein freies und offenes Internet geht. Und doch: Jetzt ist die Zeit der weltweiten Diskussionen darüber angebrochen.

Tim Wu, 41, ist derzeit viel beschäftigt. Der Professor an der US-amerikanischen Columbia Universität war es, der in einer Arbeit den Begriff "Netzneutralität" prägte. Nun wird er oft interviewt, gefragt, was sich hinter dem Begriff denn nun wirklich verbirgt und welche Auswirkungen die Diskussionen in den USA und Europa auf ein freies und offenes Internet haben. Netzwerkneutralität, so die Langversion des Terminus technicus, bedeutet nicht mehr als, dass Kabel- und Telekom-Konzerne zwar die wesentlichen Teile der Internet-Infrastruktur kontrollieren, nicht aber darauf Einfluss nehmen, wie die Anwender das weltweite Datennetz nutzen. Alle Inhalte im Netz haben den gleichen Wert. Die gleiche Gewichtung und Bedeutung. Es kann also nicht sein, dass bestimmte Inhalte priorisiert werden, andere hingegen in den unendlichen Weiten des World Wide Web verschwinden. So die Theorie und auch die bislang gelebte Praxis.

Gefälle zwischen EU und USA

"Manchmal ist wichtiger, was die Gesellschaft über ein Gesetz denkt, als was das Gesetz selbst besagt", so Wu. "Dies ist aus meiner Sicht beim Thema Netzneutralität der Fall. Es hat sich zu einer Art Verhaltensnorm entwickelt. Was kann man im Internet machen und was nicht. Der Konsens ist klar, das Internet muss offen sein." Dass dieser Konsens allerdings nicht so klar ist, zeigen die aktuellen Diskussionen in den USA und in Europa. Während im Zuge der bevorstehenden Europa-Wahl das Thema Netzneutralität zum Wahlkampfthema um Freiheit, freien Wissenszugang und Kultur wird, ist die US-amerikanische Regulierungsbehörde FCC mit einem Vorschlag zur Abschaffung der Netzneutralität vorgeprescht. Provider sollen sehr wohl eine Priorisierung von Inhalten vornehmen können und somit entscheidend Einflussnehmen auf den Datenverkehr im Netz.

Aus Sicht der Konzerne sei es notwendig, sich von der Netzneutralität zu verabschieden, um so sicherzustellen, dass wichtige Inhalte auch wirklich bei den Anwendern ankommen. Als Beispiel werden etwa Videoübertragungen bei medizinischen Eingriffen genannt. Ein Ausfall könnte ein Leben beenden. Stutzig macht jedoch die Ansage, dass sich die Wichtigkeit der Inhalte natürlich nur monetär ausdrücken kann. Mit anderen Worten - nur wer zahlt, stellt sicher, dass Inhalte auch ankommen (aus Unternehmenssicht), oder nur wer zahlt, kann gewisse Inhalte auch nur störungsfrei und uneingeschränkt nutzen (aus Sicht der Konsumenten). In der Praxis würde dies bedeuten, dass ein Unternehmen seine Inhalte schneller, besser und ausfallssicherer transportieren lassen kann, wenn es dafür entsprechend zahlt. Die Anwender wiederum bekommen die "wertvollen" Inhalte auch nur dann, wenn sie zusätzlich zahlen.

Wer schnell sein will, zahlt

Da aber nun einmal nicht jeder lebensrettende Operationen mit Videokonferenzschaltungen durchführt, werden natürlich auch andere, weitaus gängigere Dienste kostenpflichtig werden. Wer Youtube-Videos in hoher Auflösung sehen will, muss zahlen. Wer uneingeschränkt viele Videos sehen will, muss zahlen. Wer in einer akzeptablen Geschwindigkeit Dienstleistungen nutzen will, muss ebenfalls zahlen. Und wenn das Unternehmen für die Verbreitung seiner Inhalte nicht zahlen will, vielleicht findet man sie dann auch gar nicht mehr. Die Kritiker sprechen bereits von einer Zwei- (oder Mehr-) Klassengesellschaft im Internet.

Doch noch ist es nicht so weit. Noch wird laut gedacht. Vorschläge werden unterbreitet, neue Bezahlmodelle einmal angedacht. In den USA tauchten bereits Konzern-Ideen zu neuen Kostenstrukturen auf: neun Dollar für einen einfachen Internetzugang, wer E-Mail-Dienste sicher nutzen will zahlt fünf Dollar mehr, Videos oder Spiele wieder fünf Dollar dazu und so lässt sich das Spiel unendlich weit weitertreiben. Wer alles nutzen will, ist schnell bei 50 Dollar im Monat angekommen.

Verständlich ist daher auch, dass sich die US-Branchenriesen, etwa Google, Facebook oder Microsoft auf die Seite der Netzneutralitätsbefürworter gestellt haben und bei der FCC ihre Bedenken angemeldet haben. Immerhin wären dann viele kostenlose Dienste im Internet nur mehr B-Ware, was wiederum zu Einbußen bei Werbeumsätzen führt.

Auch in Österreich häufen sich die kritischen Stimmen. So meinte Harald Kapper vom Serviceprovider kapper.net: "Es darf keinesfalls dazu kommen, dass durch spezielle Bezahlmodelle bestimmten Internetanbietern Vorrang beim Datentransfer eingeräumt wird. Diese Limitierung würde nicht nur neue Entwicklungen und Innovationskraft hemmen, sondern gerade auch Privatpersonen und finanzschwächeren Firmen zu großem Nachteil bei der Nutzung moderner Internetanwendungen gereichen."