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Der Kampf gegen das Unsichtbare

Von Stephanie Schüller

Politik
Psychische Gewalt wird von den Betroffenen oft gar nicht als solche wahrgenommen.
© corbis

Gegen körperliche Angriffe kann man vorgehen, gegen psychische nur schwer.


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Wien. Kontaktverbot, Beleidigungen, Beschimpfungen, Demütigung, Bedrohungen, Erniedrigung und verschiedenste Formen der Machtdemonstration. 55 Bewohnerinnen von Wiener Frauenhäusern geben in einer aktuellen Studie - durchgeführt von der Karmasin Motivforschung - an, psychische Gewalt in den oben genannten Formen erlebt zu haben. "Psychische Gewalt ist zielgerichtetes, über einen längeren Zeitraum andauerndes seelisches Quälen", erklärt Andrea Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser. Psychische Gewalt wird aber oft nicht gleich als solche erkannt, die Grenze zu "normalem" Verhalten verschwimmt. "Jeder Mensch ist einmal beleidigt, schimpft oder wirft die Nerven weg", so Brem. Psychische Gewalt hingegen habe das Ziel, die Persönlichkeit des Gegenübers zu zerstören. Die persönlichen Bedürfnisse der Betroffenen werden vollkommen ignoriert, das besondere Merkmal ist dabei die Kontinuität. Der Terror kann über Monate oder sogar Jahre andauern.

Ungestrafte Taten

Oft nehmen die Frauen das, was um sie herum passiert, nicht mehr in der Form wahr: "Viele Frauen, die hören, dass sie verrückt sind, zweifeln irgendwann wirklich an ihrer Wahrnehmung. Das ist ein typisches Symptom der psychischen Gewalt und deshalb ist es wichtig, dass sie mit einer neutralen Beraterin darüber sprechen", empfiehlt Brem. Auch als Freund oder Arbeitskollege der Betroffenen solle man nicht zu viel Druck auf diese Frauen ausüben. Für viele von ihnen sei der sofortige Schritt in ein Frauenhaus zu groß. Solange keine körperlichen Verletzungen vorliegen, ist es auch schwierig, einen Täter gerichtlich zu verfolgen. "Eine Möglichkeit ist, die Ereignisse schriftlich zusammenzutragen und das dann mit einer Anwältin zu besprechen", so Brem.

35 Jahre Frauenhaus

"Wer gegen eine andere Person eine längere Zeit hindurch fortgesetzte Gewalt ausübt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen", heißt es im Paragraf 107b des Strafgesetzbuches. Psychische Gewalt wird hier nicht angesprochen, quasi nicht als Gewalt im herkömmlichen Sinn definiert. Die von psychischer Gewalt betroffenen Frauen können keine Befunde von körperlichen Verletzungen oder dergleichen vorweisen. Geht es nach Brem, bedarf es deshalb noch einer "strafrechtlichen Veränderung". Derzeit ist die psychische Gewalt der Themenschwerpunkt der Wiener Frauenhäuser: "Wenn das thematisiert wird, kommen die Frauen auch auf uns zu. Auch für diese Form von Gewalt sind wir da und haben Strategien", so Frauenstadträtin Sandra Frauenberger.

Vor 35 Jahren, als in Wien das erste Frauenhaus eröffnet wurde, gab es in der Gesellschaft noch nicht die nötige Akzeptanz für das Thema. "1978 ist das erste Frauenhaus zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem das Thema der Gewalt an Frauen noch ein Tabuthema war", erzählt Frauenberger. "Es hat sich sehr viel in der gesellschaftlichen Akzeptanz und Sensibilität geändert", meint die Vorsitzende des Vereins Wiener Frauenhäuser, Martina Ludwig-Faymann. Einen großen Sprung in die richtige Richtung habe es 2002 gegeben, als das vierte Frauenhaus errichtet wurde. Noch immer sei jedoch laut Frauenberger jede fünfte Frau von Gewalt betroffen.

Insgesamt gibt es vier Frauenhäuser in Wien, die Betreuungsplätze für 175 Frauen und Kinder bieten. Im vergangenen Jahr hielten sich 690 Frauen und 663 Kinder in den Einrichtungen auf. Mehr als 2700 Beratungen wurden telefonisch durchgeführt. Außerdem gibt es 54 Plätze in Übergangswohnungen für jene, die keinen totalen Schutz mehr brauchen, aber noch Begleitung und Unterstützung auf dem Weg in ein normales Leben benötigen. 104 Frauen mit 115 Kindern finden in betreuten Mietwohnungen eine Übergangsunterkunft. "Ein Frauenhaus ist kein Gefängnis", betont Ludwig-Faymann. Die Frauen sollen unabhängig und selbständig in einen geregelten Alltag zurückfinden. Für Kinder gibt es eigene Räumlichkeiten und Mitarbeiter, die für sie da sind. "Es gibt auch eine spezielle Bubengruppe, die mit der Männerberatung Wien zusammenarbeitet", erzählt Ludwig-Faymann. Da in den Häusern nur Frauen tätig sind, sollen die Buben dadurch auch positive, männliche Vorbilder kennenlernen.

Die Frauenhäuser werden von der Stadt Wien finanziert, Spenden wandern daher laut Brem in die Soforthilfe. Dass für derartige Einrichtungen genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, ist nicht in allen Bundesländern der Fall: "Das sollte nach diesen vielen Jahren aber einfach möglich sein. Das ist eine schwierige Arbeit und da sollte man sich wenigstens darauf verlassen können, dass der Arbeitsplatz nächstes Jahr noch gegeben ist", kritisiert Brem.

Digitaler Feminismus

Ein Projekt, das Frauen die Hilfesuche erleichtert, ist Fem Help. Mithilfe der mobilen App können Frauen Hilfseinrichtungen rasch kontaktieren. Die App bietet einen direkten Zugriff auf den Polizeinotruf sowie auf die Frauenhelpline. Außerdem können die Nutzerinnen erlebte Gewalterfahrungen dokumentieren.