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Der Kampf um Anbar

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik
1500 Menschen werden im Lager an der Bzebis-Brücke mit Trinkwasser versorgt - und täglich werden es mehr.

In der irakischen Provinz Anbar wird weiter erbittert gekämpft. Erneut ist die Bzebis-Brücke über den Euphrat Anlaufstelle vieler Binnenflüchtlinge. Allein in den vergangenen Tagen machten sich 30.000 Menschen auf den Weg.


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Bagdad. Wenn man von Bagdad Richtung Westen nach Ramadi fahren möchte, muss man zunächst mal in den Süden. Denn nur wenige Kilometer westlich der irakischen Hauptstadt beginnt das Kalifat, der sogenannte Islamische Staat. Zwar liegt Ramadi nur gut 100 Kilometer von Bagdad entfernt, aber die Straße dorthin ist für Menschen, die nicht in die Fänge der Dschihadisten geraten wollen, unpassierbar. Der sichere Weg führt über Mahmudija, vorbei an Bagdads Industriegebiet im Süden der Hauptstadt.

Nazahr Ghazi ist früh aufgestanden. "Wenn man nicht rechtzeitig aus Bagdad wegkommt, steht man endlos im Stau", sagt der Iraker, der seit fünf Jahren für eine deutsche NGO mit Sitz in Bagdad arbeitet und sich um seine Landsleute in der Provinz Anbar kümmert. Ghazi ist auf dem Weg zur Bzebis-Brücke, der Überquerung des Euphrat, wo im letzten Jahr tausende Flüchtlingen aus Ramadi kläglich strandeten, als Daesh im Mai die Provinzhauptstadt ganz unter seine Kontrolle brachte. "Daesh" nennen die Iraker die Terrormiliz IS.

Danach versuchte die irakische Armee acht Monate lang mit Hilfe amerikanischer Luftangriffe die Stadt zurückzuerobern, unter schweren Verlusten und noch unüberschaubaren Zerstörungen. Erst jetzt, zwei Monate nach der Befreiung Ramadis, kehren die ersten Bewohner zurück. Wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) angibt, sind seit Anfang März 71.000 von ehemals 280.000 Einwohnern nach Ramadi zurückgegangen.

Ohne Passierschein geht gar nichts

Doch die Lage an der Bzebis-Brücke entspannt sich deshalb nicht, im Gegenteil. Schon rollt die nächste Flüchtlingswelle aus Anbar auf Bagdad und den Süden Iraks zu. Von den insgesamt 3,4 Millionen Binnenflüchtlingen im Land kommen die meisten aus Anbar (43 Prozent). Allein im März verließen dort weitere 50.000 Menschen ihr Zuhause. IOM spricht von 30.000, die allein in den letzten Tagen die Region um Heet, westlich von Ramadi, verlassen haben. Dort toben derzeit die heftigsten Kämpfe zwischen Daesh und den Regierungstruppen in Anbar. Schritt für Schritt kommen die Soldaten der irakischen Armee voran, wenn auch in bescheidenem Maße.

Nazahr Ghazi stammt aus Heet. Das Familienstammhaus des 27-jährigen Maschinenbauingenieurs hat der IS vor einem Jahr zu seinem Hauptquartier gemacht. Vor wenigen Tagen hat Nazahr erfahren, dass das Haus befreit worden sein soll, doch die Meldungen überschlagen sich. Es sei wie ein Ping-Pong-Spiel, was dort derzeit geschieht, weiß der Mann aus Anbar. Zwar seien große Teile von Heet inzwischen befreit, aber es gäbe immer noch Stützpunkte des IS. Das Gebiet ist sehr zerklüftet und entsprechend unübersichtlich. Die Lage sei noch nicht stabil. An zwei Stellen sind die Kämpfer des IS im Irak derzeit mit Großoffensiven der irakischen Armee, diverser Milizen und der internationalen Anti-Terror-Koalition konfrontiert: in der Provinz Anbar um Ramadi und in Salah ad-Din um Samarra und Tikrit.

Nach fast zwei Stunden Fahrt erreichen wir die Bzebis-Brücke. Sie ist die Grenze zwischen der Provinz Anbar und dem Gouvernement Bagdad. Nur wer einen Passagierschein für die Hauptstadt hat, darf sie überqueren. Andersherum braucht man ebenfalls eine Genehmigung, um nach Anbar zu kommen. Manche Flüchtlinge meinen, es sei schwieriger von Anbar nach Bagdad zu kommen, als vom Irak nach Europa. Nazhar verhandelt mit dem irakischen Armeeoffizier, der an der Brücke Dienst tut. Fotos der Brücke seien strikt verboten, faucht dieser. Sie sei ein militärisches Objekt. Erst als der Mitarbeiter von "RIRP" (Rebuild Iraq Recruitment Program) beweist, dass seine Organisation für die Flüchtlinge auf der anderen Seite Trinkwasser ausgibt und damit Seuchen und Krankheiten eliminiert", dürfen wir passieren.

Die UNO ist besorgt um die Situation in Anbar. "Tausende Menschen, die monatelang in Heet eingeschlossen waren, versuchen nun in Sicherheit zu kommen", sagt Lise Grande, Koordinatorin für die humanitäre Hilfe bei den Vereinten Nationen. "Wir haben aber noch keinen kompletten Zugang zu den Menschen und haben Angst um ihre Sicherheit." Viele der Familien suchten jetzt Schutz in den ohnehin schon überfüllten Camps und provisorischen Siedlungen in und um al-Falluja, Habbanija und an der Bzebiz Brücke.

Das weiße Lager an der Brücke sieht man schon von weitem. "Es war das erste Camp hier mit weißen Zelten", erklärt Nazhar Ghazi.

Die Versorgungslage wird schwieriger

Ein Jahr ist es her, als die erste Fluchtwelle aus Ramadi hierher schwappte. Ghazi und RIRP bauten das Camp auf, 1500 Menschen leben hier. "Wir sind so dankbar über das saubere Trinkwasser", sagt eine Frau, nimmt ihren Eimer und stellt sich in die Schlange vor dem riesigen Wasserbehälter. "Am Anfang brachten LKW das Wasser", erzählen die anderen Schlangesteher, "das war oft verschmutzt und kontaminiert". Die Leute bekamen Durchfall.

Innerhalb von sechs Monaten haben Nazhar und seine Kollegen von RIRP zehn Trinkwasseraufbereitungsanlagen installiert, eine davon im Lager an der Bzebis- Brücke. Sie bohrten Brunnen, errichteten Brunnenhäuschen, installierten die Anlagen. "Jede Anlage arbeitet zurzeit auf Volllast", informiert Ingenieur Ghazi, "zehn Stunden täglich". 20.500 Liter Trinkwasser würden pro Tag ausgegeben. Ursprünglich sollte jeder 20 Liter bekommen. "Das klappt aber nicht", gibt Ghazi zu bedenken, "es kommen mehr Flüchtlinge als wir kalkuliert haben". Zwar würden im Camp täglich Wassercoupons ausgegeben für zwei Rationen täglich, aber die Insassen werden immer zahlreicher. Außerdem wolle man auch die herumziehenden Flüchtlinge versorgen. "Wenn nur alles so gut wäre wie das Wasser", klagt ein junger Mann an der Bzebis-Brücke und kritisiert die restliche Versorgung im Camp. Die Essensrationen seien zu spärlich und würden ungleich verteilt, die Zelte zu klein für so viele Menschen. Ob er gedenke bald nach Ramadi zurückzugehen? "Damit ich dann abermals fliehen muss?" antwortet er skeptisch mit einer Frage. "Der Kampf gegen Daesh ist noch lange nicht vorbei."