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Im globalen Wettbewerb um Arbeitskräfte warnt die Bertelsmann-Stiftung Europa vor einer Talent-Klemme.
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Salzburg. Wenn es um die Genies der Zukunft, Talente, die der Arbeitsmarkt sucht, geht, gilt der Matthäus-Effekt: "Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat", heißt es beim Evangelisten Matthäus in der Bibel. Diese Erkenntnis gewinnt, wer beim Trilog 2013, einer von der Bertelsmann-Stiftung ausgerichteten Konferenz in Salzburg, zuhört. Dort wurde eine neue Studie vorgestellt, in der es darum geht, wie man in Zukunft an die besten Arbeitskräfte herankommt.
Silicon Valley sei das beste Beispiel für das Wachsen qualifizierter Arbeitskräfte: "Wo bereits Fachkräfte vorhanden sind, werden weitere Talente angezogen – in diesen Zentren werden wiederum neue Innovationen entwickelt und Industrien entstehen", lautet nämlich eine der Kernaussagen der Studie.
Europas "unfreiwillige Vorreiterrolle"
In Europa sind Fremdenfeindlichkeit und die Abschottung der Arbeitsmärkte schon lange ein politisches Thema – erst in den vergangenen Jahren hat sich dabei zumindest in Österreich und Deutschland das gesellschaftliche Klima ein wenig gewandelt.
Europa werde eine "unfreiwillige Vorreiterrolle" bei der globalen Talententwicklung einnehmen, da der Anteil der Über-Sechzigjährigen auf dem Kontinent unverhältnismäßig schnell wächst. Die Probleme werden sich bis 2050 verschärfen – und einige Länder sind ja bereits heute mit einem Fachkräftemangel konfrontiert.
Besonders dramatisch ist die Lage in Deutschland, wo das Arbeitskräfteangebot – schreibt man die heutige Entwicklung fort – von 2020 bis 2030 um 1,19 Prozent abnimmt, gefolgt von Italien (-0,92 Prozent) und Österreich (-0,72 Prozent). Die von dem Unternehmen Boston Consulting Group (BCG) stammenden Daten weisen bereits für den Zeitraum 2011–2020 einen Rückgang im Arbeitskräfteangebot für Russland (-0,50 Prozent), Deutschland (-0,46 Prozent), Polen (-0,34 Prozent), Japan (-0,36 Prozent) und Österreich (-0,01 Prozent) aus.
Frauen-Talentpool wird zu wenig genutzt
Der Brain-Drain in Russland wurde dann auch vom früheren Finanzminister und stellvertretenden Premier Anatoly Tschubais, der heute Chef des russischen Nano-Tech-Konzerns Rusnano ist, in seinem Redebeitrag beklagt.
Und der österreichische Arzt Wolfgang Aulitzky, der als Professor an der Cornell University in New York lehrt, warnte davor, dass durch die Zuwanderung von höchstqualifizierten Arbeitskräften zwar ein Brain-Gain in Europa oder den USA entstehe, der Brain-Drain aber in den Herkunftsländern zu großen Problemen führen könnte – "besonders, wenn etwa Ärzte oder Pflegepersonal fehlen".
Auf einen weiteren Aspekt verweist ein deutscher Industriekapitän, der an dem Forum teilgenommen hat. Der Frauen-Talentpool wird zu wenig genutzt: "Frauen sind bestens gebildet und hochqualifiziert", sagt er. "Sie haben heute einen Partner, aber sie heiraten nicht oder spät. Ich bin nicht in Sorge, was die Potenziale der Frauen betrifft. Sorgen muss man sich über die Männer machen und wie sie mit dieser sich verändernden Welt umgehen."
Nand Khemka, Vorsitzender der indischen Sun-Group, berichtet wiederum, dass in Indien nur einer von vier Ingenieuren tatsächlich im Job einsetzbar ist. Den anderen fehle es an Sprachkompetenz, Präsentations- und Kommunikationsfähigkeit. "Wenn wir Essen brauchen, dann sehen wir uns nach Land um, bestellen das Feld, kümmern uns um die Bewässerung." Ähnlich verhalte es sich mit Arbeitskräften. Da gebe es zwar keinen Mangel an Menschen. Aber: "Kapital und Güter können ohne Problem von einem Ort zum nächsten verschoben werden. Für Menschen gelten hingegen Grenzen."
Doch wie ist die Lage um die deutschsprachigen Länder Österreich und Deutschland bestellt? Sie sind immer weniger attraktiv, da das Englische weltweit zur Lingua franca wird. Wenn sie aber zusammenarbeiten, könnten sie Fachkräfte gewinnen und dabei auch auf die sprachliche Bildung als Teil eines "Qualifikationspakets" in ausgewählten Arbeitsmarktsektoren setzen.
Deutschsprachige Länder sollten Koalition bilden
Die Studienautoren der Bertelsmann-Stiftung schlagen daher eine Koalition der deutschsprachigen Länder vor. Um den Talentpool im eigenen Land besser zu nutzen, müsse es zur Reform der Bildungssysteme kommen, mit einem zusätzlichen finanziellen Aufwand sei dies nicht verbunden, da die Kosten für die Bereitstellung von Wissen im digitalen Zeitalter immer billiger werde.
Länder, die die Talentlücke in ihren Volkswirtschaften schließen müssen, müssen die Anziehungskraft des eigenen Landes stärken und dabei mehr Nutzen aus Migration ziehen. Hindernisse für Mobilität müssten beseitigt werden, klare Regeln für die Zuwanderung, zum Erwerb der Staatsangehörigkeit sowie für die Anerkennung von Qualifikationen und für den Nachzug müssten geschaffen werden. n