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Der Kampf um die Lebensgrundlage

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Nach der großen Bankenkrise droht nun der Wirtschaft eine weltweite Inflation. In Asien gibt es bei vielen Lebensmitteln bereits Engpässe - und in der Folge politische Unruhen. | Sie haben vielleicht den Artikel auf der Titelseite der "New York Times" letzten Samstag über die hohen Reispreise und die Angst vor Unruhen in Asien nicht gelesen. Aber er könnte sich als frühe Warnung vor einem großen Wirtschaftsproblem erweisen, das auf uns zukommt: eine weltweite Inflation.


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Am meisten beunruhigt die Inflation bei den Lebensmittelpreisen. Sie betrifft aber auch andere Waren, Rohmaterial und alle Produkte, die irgendwie mit Erdöl zu tun haben - also fast alles. Diese Preise sind auf den internationalen Märkten sprunghaft angestiegen.

Gleichzeitig aber überschütteten die US-Notenbank (Fed) und andere Zentralbanken die Welt mit Geld, um eine Finanzkrise zu verhindern. Das ist eine explosive Mischung: Sie könnte eine Art Inflation erzeugen, die Panikkäufe auslösen könnte, Horten und Massenproteste. Der "New York Times" zufolge vollzieht sich diese Entwicklung gerade in Asien.

In den letzten drei Monaten hat sich der Reispreis auf dem Weltmarkt fast verdoppelt. Aus Angst vor Engpässen kürzten laut Keith Bradsher von der "New York Times" einige große Reisproduzenten - Vietnam zum Beispiel, Indien, Ägypten und Kambodscha - ihre Reisexporte stark, um die Ernährung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen.

Bradsher listet Hinweise auf, dass Lebensmittelknappheit und Inflation politische Unruhen erzeugen: Tausende Soldaten bewachen seit Jänner in Pakistan Weizen- und Mehltransporte, in Indonesien sind Proteste wegen der Engpässe bei Sojabohnen losgebrochen, und China hat über Speiseöl, Getreide, Fleisch, Milch und Eier Preiskontrollen verhängt. Zu Lebensmittelunruhen ist es in den letzten Monaten in Guinea, Mauretanien, Mexiko, Marokko, Senegal, Usbekistan und im Yemen gekommen.

Auch Weltbankpräsident Robert Zoellick läutete letzte Woche in einer Rede die Alarmglocken. Er warnte vor politischen Auswirkungen der Inflation: Die World Bank Group schätzt, dass weltweit 33 Länder wegen der drastischen Erhöhungen der Lebensmittel- und Energiepreise von politischen und sozialen Unruhen bedroht sind.

Und was macht die US-Notenbank unterdessen? Während weltweit die Inflation tobt, könnte man erwarten, sie würde versuchen, die Inflationsängste in den USA zu dämpfen. Aber aus Angst vor dem finanziellen Absturz hat die Fed genau das Gegenteil getan, nämlich die Zinsen drastisch gekürzt.

Darüber habe ich mich diese Woche mit Richard Fisher, dem Präsidenten der Dallas Federal Reserve Bank unterhalten. Er war gegen die letzten beiden Zinsenkürzungen, weil sie seiner Ansicht nach die Inflation schüren, ohne das Finanzchaos zu lindern.

Der Wirtschaftsboom in Asien erzeugt laut Fisher eine klassische Nachfrage-inflation, angetrieben von drei Milliarden neuen Teilnehmern an der Weltwirtschaft, die "essen wollen wie Sie, sich kleiden wollen wie Sie, leben wollen wie Sie." Wir könnten uns mit der Inflation nicht arrangieren, sagte Fisher. Wenn sie da sei, ändere sie das Verhalten der Menschen: "Sie ist schlecht für Investoren, schlecht für Arbeitnehmer, schlecht für Sparer."

Fisher warnte, dass der Verbraucherpreisindex der USA, gemessen von der US-Notenbank, mit 3,7 Prozent alarmierend hoch sei. Auch laut jüngsten Zahlen aus der Europäischen Union ist die Inflation in Europa auf 3,5 Prozent gestiegen - auf den höchsten Stand seit Einführung des Index 1997.

In Pennsylvania haben diese Woche die Lastwagenfahrer wegen der hohen Treibstoffpreise gestreikt. Was haben sie mit den Reiskonsumenten in Vietnam gemeinsam? Und mit den Sojabohnenkäufern in Indonesien und den Pasta-Fans in Italien? Mehr als ihnen vermutlich bewusst ist.

Übersetzung: Redaktion