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Der Kampf um ein politisches Symbol

Von Martina Madner, Jan Michael Marchart

Politik
© Fotolia / chombosan

An Schulen und Kindergärten ist man von der integrativen Wirkung des Kopftuchverbots wenig überzeugt.


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Wien. "Ich trete für die bundesweite Einführung eines Kopftuchverbots in Kindergärten und Volksschulen ein", sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache am Ostersamstag in einem "Krone"-Interview. Wenn man nicht bei den Jüngsten mit Integration anfange, dürfe man sich nicht wundern, wenn "wir sie als Jugendliche bereits verloren haben".

Bundeskanzler Sebastian Kurz legte beim Pressefoyer nach dem Ministerrat am Mittwoch nach: "Alle Kinder in Österreich müssen die gleichen Chancen haben und dürfen nicht diskriminiert werden." Die Regierung wolle damit ein Zeichen gegen Parallelgesellschaften setzen.

Ein Kopftuchverbot also, warum eigentlich? Strache: Das sei neben Deutsch vor der Schule "der zweite notwendige Schritt, die Integration sicherzustellen". Wie viele Mädchen betrifft es? Dazu sagt Bildungsminister Heinz Faßmann: Zahlen gebe es keine. "Die Rechtssetzung ist nicht abhängig von der quantitativen Dimension." Ist das Kopftuch nicht nur ein Symbol? Ebenfalls Faßmann: "Es ist sicherlich eine symbolische Handlung."

Führt solche Symbolpolitik zu mehr Integration? Kurz: "Es brauche ein Bündel an Maßnahmen und nicht eine, die alles löst." Welche sind das? Das werde erst mit dem Gesetz bis zum Beginn der Sommerferien von der Regierung ausgearbeitet.

Verbote sind kein geeignetes Mittel für bessere Integration

Andreas Ehlers, Sprecher des Österreichischen Elternverbands an Pflichtschulen, ist hörbar verärgert darüber, dass sich die Integrationsdebatte nun nur um das Kopftuch dreht. Das führe an der Realität vorbei. In einem Kopftuchverbot sieht Ehlers eine "Zwangsmaßnahme, so wie das jetzt diskutiert wird, aber sicher kein geeignetes Mittel, um Integration voranzutreiben. Zwang und Motivation sind unvereinbar."

Was aber führt zu besserer Integration? Dazu sagt Karl Dwulit, der Vorsitzende des Verbandes: "Jetzt sind Verbote und Strafen zwar oft Thema. Bestrafung ist aber sicher kein geeignetes Mittel, das schulische Zusammenleben zu verbessern, auch davor im Kindergarten nicht." Er habe zwar sicher kein Verständnis für Eltern, die Kinder mit dem Kopftuch in die Schule schicken wollen, Religiosität sei Privatsache: "Aber hier braucht es Aufklärung und Integration statt Strafen."

Was aber passiert mit Eltern und Kindern, die sich nicht an das Verbot halten? Der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger weiß es nicht, "das müssen sich Pädagogen überlegen". Eltern könne man bestrafen, bei Kindern werde man auf sanfte Mittel zurückgreifen müssen. Wären Geldstrafen oder gar ein Schulverweis probate Mittel? "Mit einem Schulverweis hätte man ein noch größeres Problem geschaffen, was die Integration betrifft. Es wird Fingerspitzengefühl der Lehrer brauchen, was man hier macht. Das lässt sich nicht gesetzlich in ein Schema pressen."

Der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör, der Kurz als Außenminister zu Integration beraten hatte, aber auch für andere politische Parteien gearbeitet hat, ist der Meinung, dass ein Verbot für Klarheit in der Schule und bei den Eltern sorgt, für den Umgang miteinander. Viele Eltern würden sich an so ein Verbot halten. Er räumt aber auch ein, dass eine "kleine Anzahl" fundamentalistischerer Eltern ihre Kinder aus der normalen Schule nehmen und in islamische Privatschulen stecken könnte.

Auch Paul Kimberger, Vorsitzender Bundesleitung der Gewerkschaft Pflichtschullehrer und bei der schwarzen Fraktion Christlicher Gewerkschafter organisiert, kann dem Gedanken von einem Kopftuchverbot in Schulen etwas abgewinnen. Er sagt, dass er "in der Schule gerne auf das Kopftuch verzichten kann, weil es nicht bei der Integration hilft": "Österreich ist ein liberales Land, in dem die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein Grundwert ist." Und: "Unsere Werte stehen nicht zur Disposition." Das Kopftuch sei in Schulen in Ballungsräumen bei manchen Mädchen sichtbar. Ob in großer oder kleiner Zahl kann Kimberger aber ebenfalls nicht beanworten.

Was es an Schulen und in Kindergärten wirklich braucht

Beim Thema Integration holt der Lehrervertreter weit aus. Ein Kopftuchverbot sei kein geeignetes Mittel dafür, dass diese gelingt. Lehrer seien mit Schülern aus unterschiedlichen Kulturen konfrontiert, es käme zu Spannungen in der Kommunikation, "ein Cocktail, den wir nicht alleine bewältigen können." Dazu käme auch eine ganz andere Heterogenität: "Die Kinder kommen mit Entwicklungsunterschieden von drei Jahren und mehr zu uns in die Schule - und das hat gar nichts mit Migration zu tun."

An Schulen bräuchte es folglich eine Vielzahl an Maßnahmen: darunter zusätzliche Ressourcen wie Sozialarbeiter, Psychologen, aber auch mehr Lehrer - um die ersten beiden Klassen doppelt zu besetzen, aber auch "Lehrer aus den Krisengebieten". Warum? "Die waren bei der Integration von Flüchtlingskindern Anfang der 90er Jahre ein Schlüssel zum Erfolg." Und zwar nicht nur bei jener der Kinder, sondern auch deren Eltern, sagt Kimberger: "Die sind auch in die Familien hineingegangen. Das löst zwar nicht alle Probleme, aber es hilft."

Bildungspsychologin Christiane Spiel war Teil des Migrationsrates. Sie führt im Bildungsbereich frühes Deutschlernen in gemischten Klassen, die Aus- und Weiterbildung von Pädagoginnen, Heterogenität nicht nur bei den Kindern, sondern auch dem Lehrpersonal als zielführende Integrationsmaßnahme an. Ein wichtiger Faktor für erfolgreiche Integration seien daneben auch soziale Beziehungen: "Die Klasse ist der Ort, Freundschaften über kulturelle Grenzen hinweg, zu schließen." Außerhalb der Schule gelinge das nicht so gut.

Auf Elementar-Pädagogik käme eine zentrale Rolle zu: "Kindergärten sind ganz klar Bildungsinstitutionen, wo Lernen und Integration passiert, in entsprechend spielerischer Form." Investitionen im Kindergarten lohnen sich auch für Integration am meisten.

Ist das Kopftuch im Kindergarten überhaupt ein Problem? Daniela Kochler, die als Abteilungsleiterin der Magistratsabteilung 10 für die Wiener Kindergärten verantwortlich ist, geht davon aus, dass es kaum oder gar nicht existiert: "Wir wurden schon öfter angefragt, dass man Kinder mit Kopftuch im Kindergarten zum Filmen sucht, haben aber keine gefunden. Aber selbst wenn es sie gäbe, wären es wohl Einzelfälle."

Man habe andere Herausforderungen als das Kopftuch. Gesunde Ernährung, die richtige Kleidung, aber "selbstverständlich auch die Integration. Sie ist eine Herausforderung, wenn auch keine unlösbare." Das Erlernen der deutschen Sprache sei die Voraussetzung. Kinder bräuchten Vorbilder, eine anregende Umgebung, sagt Kochler: "Kindergartenkinder lernen beim Basteln oder Singen besser Deutsch als in Grammatikkursen. Lernen muss eine positive Erfahrung sein, dann ist es erfolgreich."

SPÖ und Neos wollen verhandeln, der Kanzler nicht

Wie geht es nun weiter? Die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ brauchen für das Kopftuchverbot jedenfalls eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, weil das Gesetz auch Länderkompetenzen beinhaltet. Kurz nannte explizit die Sozialdemokratie, auf die er als Mehrheitsbeschaffer hofft.

Aus den Reihen der Roten haben sich bereits einige Funktionäre für ein Kopftuchverbot ausgesprochen. Klubobmann Christian Kern will ebenfalls nicht, dass Kleinkinder und Volksschüler ein Kopftuch tragen, knüpft die Zustimmung der SPÖ aber an Bedingungen. Er fordert ein Gesamtpaket samt Rücknahme der Kürzungen bei Integrationsmaßnahmen, sonst bleibe es eben nur bei "plumpen Botschaften". Kurz sieht allerdings "keine große Notwendigkeit, in Verhandlungen zu treten". Es liege ein Vorschlag vor. Wird die Zweidrittelmehrheit erreicht, werde es das Gesetz geben. Wenn nicht, dann nicht.

Die Neos wären die zweite und letzte Option für eine Zweidrittelmehrheit. Aber auch deren Parteichef Matthias Strolz ist skeptisch. "Mit Bekleidungsvorschriften und -verboten müssen wir in einer liberalen Demokratie immer vorsichtig sein." Das Ansinnen der Regierung will er sich einmal "anschauen". Es dürfe weder den Zwang zum Kopftuch, noch Mobbing gegen Kopftuchträgerinnen geben, so Strolz. Auch er kritisiert die Kürzungen bei Integrationsmaßnahmen: "Die Bundesregierung darf sich nicht hinter populistischen Zügen verstecken, während sie echte Integrationsarbeit durch Mittelkürzungen erschwert."