Zum Hauptinhalt springen

Der Kampf ums Empire

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Tränen, Waffen, Kraftausdrücke: Die Vorwahlen im Bundesstaat New York bringen eine Vorentscheidung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

New York. Wenn nur mehr weinen hilft, dann scheint der Hut wirklich zu brennen.

Am Tag bevor im Bundesstaat New York die Vorwahlen zur Bestimmung der Präsidentschaftskandidaten der beiden großen US-Parteien stattfinden, brach eine seiner höchstrangigen Repräsentantinnen im Kongress öffentlich in Tränen aus. Im Interview mit einem Reporter des Fachmediums "Politico" begann Kirsten Gillibrand unvermittelt zu weinen an, als die Rede darauf kam, wie es der Kandidat Bernie Sanders mit den Waffen hält. Nachdem die 49-jährige Berufspolitikerin den Senator von Vermont zunächst de facto als Handlanger der berüchtigten Waffenlobby NRA hingestellt hatte, begann sie, von ihren "bewegenden Gesprächen mit Opfern von Schusswaffen" zu erzählen. Gillibrand weinte nicht heftig, aber doch so, dass die Botschaft klarer nicht hätte sein können: Schaut her, ich weiß, was es heißt, ein Kind durch einen verirrte Kugel zu verlieren; ganz im Gegensatz zu diesem komischen alten Mann vom Land, der offenbar keine Ahnung hat von der Gewalt in den urbanen Zentren Amerikas und ergo keinerlei Mitgefühl zeigt. Die Tatsache, dass sich Sanders während seiner nunmehr rund drei Jahrzehnte währenden politischen Karriere mit einer einzigen Ausnahme (nämlich der Ablehnung eines Gesetzentwurfs, der Waffenhersteller und -distributoren unmittelbar für die Folgen von dem Waffengebrauch haftbar zu machen) diesbezüglich nichts zuschulden hat kommen lassen? Egal.

Clintons Erbin spendet pflichtschuldig Tränen

Nun ist Kirsten Gillibrand freilich nicht irgendwer, sondern die Nachfolgerin von Hillary Clinton als Senatorin von New York State und entsprechend ernst ist diese Schmierenkomödie zu nehmen. Aber im Kampf um die nach Kalifornien zweitgrößte Masse an Delegiertenstimmen, die die Metropole zu vergeben hat, ist den handelnden Personen mittlerweile jedes Mittel recht und billig, Motto: Willkommen im Empire State. Aufseiten der Republikaner geht es nur mehr um die Frage, ob Donald Trump heute mehr als die Hälfte aller Stimmen bekommt - in den jüngsten Umfragen lag er konstant darüber, Verfolger John Kasich hatte um die 20 Prozent, während Ted Cruz bei um die 15 Prozent herumgrundelte. Bei den Demokraten herrscht dagegen Unsicherheit über den Ausgang. Zwar liegt Hillary Clinton allen Meinungsforschern zufolge relativ deutlich voran, und zwar um mindestens zehn Prozentpunkte. Aber weil Bernie Sanders in den vergangenen zwei Wochen von der kanadischen Grenze über New York City bis Long Island riesige Menschenmengen anzog, traut sich keiner zu behaupten, dass das Rennen vorbei sei. Obwohl es das laut Parteiinsidern eigentlich längst ist. Aus einem einfachen Grund, den Clintons Anhänger immerzu betonen.

Geschlossene Primary spielt Clinton in die Hände

Im Gegensatz zu den Bundesstaaten, in denen Sanders bisher in namhafter Größe punkten konnte, handelt es sich bei den New Yorker Vorwahlen um eine sogenannte "Geschlossene Primary": Das bedeutet, dass nur Leute wählen dürfen, die sich vor spätestens sechs Monaten registrieren haben lassen und keine, die sich offiziell als "unabhängig" deklariert haben. Mit anderen Worten: Dass Sanders in New York State mittlerweile allen seriösen Quellen zufolge mehr Fans hat als Clinton nutzt ihm am Ende nichts, weil diese abertausende Leute heute schlicht nicht stimmberechtigt sind. Insofern deuten maßgeblichen Leute innerhalb der Sanders-Kampagne die Last-Minute-Tränen-Aktion Gillibrands sogar als gutes Zeichen, entlang der Logik: Wer derartig viel Scheinheiligkeit nötig hat, der fürchtet sich trotz aller Vorteile wirklich. Es ist lange her, dass New York State im Vorwahlkalender eine bedeutende Rolle zukam.

Bernie Sanders mit Siegesserie und Hoffnung auf die Zukunft

Aber weil es heuer auf beiden Seiten des politischen Spektrums Spitz auf Knopf steht, fiel der Kampf um den mit rund 20 Millionen Menschen viertgrößten Bundesstaat des Landes ungewohnt heftig aus. Bis vor kurzem galten Griffe in den Schmutzkübel bei den Demokraten als verpönt. Aber weil sich die Gefahr, dass Sanders Clinton die sicher geglaubte Nominierung tatsächlich noch abspenstig machen könnte, mittlerweile als ganz real entpuppt - er gewann nicht weniger als sieben der vergangenen acht Vorwahlen und liegt laut Umfragen in mehreren noch ausstehenden Wettbewerben voran - schaltete die Clinton-Kampagne auf Schadensbegrenzungs-Modus. Die ehemalige Außenministerin und First Lady kann sich viel erlauben, aber nicht New York zu verlieren. Von 2000 bis 2008 repräsentierte sie den Bundesstaat als Senatorin; der erste und im Rückblick gesehen wichtigste Posten, der sie ein für allemal aus dem Schatten ihres Ehemanns Bill heraustreten ließ und als eigenständige Politikerin etablierte. Die quasi psychologischen Folgen einer Niederlage dort wären dementsprechend enorm. Zwar läge Clinton dank ihres großen Rückhalts unter den Parteifunktionären - Stichwort Superdelegierte, die ihr von Anfang an die Treue geschworen haben - wie an absoluten Wählerstimmen weiter vorn.

Als ehemalige Senatorin muss der Sieg ein deutlicher sein

Aber weil mittlerweile sogar der mit Abstand größte Bundesstaat Kalifornien keine Bank mehr für sie darstellt, käme alles andere als ein deutlicher Sieg heute einem Offenbarungseid gleich.

Fest steht indes, wo heute Abend nach Bekanntgabe der Ergebnisse die Tränen fließen werden, die echten wie die der Krokodile: in Brooklyn. Beide Kampagnen haben dort ihr Wahlkampfhauptquartier aufgeschlagen.