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Der Kandidat mit dem besten Schmäh

Von Wolfgang Tucek

Politik

Mit provokanter liberaler Rhetorik und einer kreativen Internet-Kampagne konnte sich der als Außenseiter gestartete Ex-Gouverneur von Vermont, Howard Dean, innerhalb weniger Monate als der Durchstarter unter den demokratischen Präsidentschaftskandidaten profilieren. Diese Woche ist ein vorläufiger Höhepunkt: Dean ist Coverstar der zwei führenden US-Nachrichtenmagazine.


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Der Traum jedes Präsidentschaftskandidaten ist es, die Coverseiten von "Newsweek" und "Time" zu zieren. Howard Dean, vor sechs Monaten noch ein Unbekannter, hat das bemerkenswerte Kunststück vollbracht, die Titelstory der aktuellen Ausgabe beider führenden amerikanischen Nachrichtenmagazine zu sein.

Bis zu den ersten Vorwahlen in New Hampshire und Iowa im Jänner ist aber noch ein langer Weg. Es ist unmöglich vorauszusagen, ob Deans Höhenflug bis dahin anhält. Experten nannten ihn erst ein Strohfeuer, dann widerwillig einen Überraschungsmann. Jetzt trauen sie Dean erstmals zu, tatsächlich der Kandidat der Demokraten bei den Präsidentenwahlen 2004 werden zu können. Das hat heftige Debatten ausgelöst, ob der 54-Jährige eher der Jimmy Carter von 1976 (sein Vorbild) oder der George McGovern des Jahres 1972 wird. "Vorsehung oder Katastrophe", fragt "Newsweek" auf dem Cover.

Sicher ist nur eines: Kein anderer Kandidat verursacht so viel Aufsehen wie Dean. Seine Internet-Prominenz, sein Erfolg beim Sammeln von Wahlspenden - im zweiten Quartal 2003 lukrierte er mit 7,6 Mill. Dollar (7 Mill. Euro) deutlich mehr als seine Mitbewerber - und die geschickte Nutzung der Anti-Bush-Stimmung unter seinen Parteigenossen zeichnen ihn aus.

Die Parteibasis aufrütteln

Deans Strategie ist es, mit sehr expliziter Rhetorik die Basis der Demokraten aufzurütteln. Von Anfang an war er eindeutig gegen den Irak-Krieg. Er gerät bei seinen Attacken gegen den amtierenden Präsidenten ebenso in Rage, wie bei der Kritik am Vorgehen seiner Partei. Mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und geballter Faust verkündet er: "Unser Land ist viel zu weit nach rechts gerückt, auch meine eigene Partei. Die hat sich von fundamentalistischen Predigern und rechten Fernsehsendern verkrochen. Wir müssen wieder stolz darauf sein, wer wir sind. Wir müssen endlich aufhören, Bush schlagen zu wollen, indem wir versuchen, so zu sein wie er."

Damit hat er aber auch einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Parteigänger verschreckt. In den letzten 40 Jahren haben immer nur Kandidaten Erfolg gehabt, die einen gemäßigten Kurs in der politischen Mitte gefahren sind, wie eben Carter oder Bill Clinton. "Die Nominierung von Dean zum Kandidaten könnte erneut zu einem Verlust von 49 der 50 Staaten wie bei McGovern 1972 führen", warnt der Meinungsforscher Mark Penn, der für Lieberman arbeitet.

Wie liberal ist Dean?

Dean verlangt eine Krankenversicherung für alle, will keine Steuersenkung für Superreiche zulassen und tritt für eingetragene Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ein - revolutionär. Komisch nur, dass sich in Vermont kaum jemand an den Ex-Gouverneur als Liberalen erinnern kann. "Dean ein Liberaler? Absolut lächerlich!", sagt Peter Freyne, ein Journalist aus der Vermonter Hauptstadt Burlington. Tatsächlich ist Dean bisher durch sehr bürgerliche Politik aufgefallen: Das "Wall Street Journal" lobte seine wirtschaftsfreundliche Politik, die National Rifle Association schätzt ihn wegen seines Widerstandes gegen einschränkende Waffengesetze, und seine Ablehnung der Todesstrafe revidierte er vor einiger Zeit.

Überhaupt verbindet ihn mit Bush mehr als im ersten Moment scheint. Beide stammen aus dem amerikanischen Geldadel, Dean kommt aus einer New Yorker Bankiersfamilie, beide haben exklusive Privatschulen besucht und anschließend in Yale studiert. Beide sind erst spät in die Politik eingestiegen. Dean war vorher Arzt. Beide sind Populisten und kommen bei einfachen Leuten gut an.

Der Mann aus Vermont hat jedenfalls den Wahlkampf revolutioniert. Sein Internetfeldzug ist bisher beispiellos. Zu seinen Internet-Stammtischen über die amerikaweite Kontaktbörse meetup.com treffen sich monatlich gut 68.000 Anhänger. Auf seiner Website DeanforAmerica.com sind über 200.000 Sympathisanten registriert, und die neuartige Kommunikationstechnik der Weblogs macht aus der täglich anschwellenden Dean-Community eine eingeschworene Gemeinschaft.