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"Der Kärntner Ausnahmezustand hat langsam ein Ende"

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Sozialpsychologe Ottomeyer über das Phänomen Haider. | "Das BZÖ pflegt die Idealisierung." | "Schattenseite wird erst langsam wahrgenommen." | Wien. "Jörg Haider war für viele Kärntner ein Objekt der Sehnsucht und Liebe, das ihre Fähigkeit zur Kritik und Selbstkritik teilweise außer Kraft gesetzt hat", sagt Klaus Ottomeyer. Der gebürtige Frankfurter ist Professor für Sozialpsychologie in Klagenfurt und hat sich seit Jahren mit dem Phänomen Jörg Haider beschäftigt.


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Als Haider vor einem Jahr tödlich verunglückte, schien Kärnten in kollektive Trauer zu verfallen. Allerdings: "Es war keine normale Trauer, sondern eine idealisierende Erinnerung", sagt Ottomeyer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Nach Sigmund Freud gehöre es zu einem wirklichen Trauerprozess, dass man auch die eigenen Ambivalenzen bearbeite, also auch die "Schattenseiten im verlorenen Liebesobjekt". Dies sei in Kärnten nicht der Fall gewesen, so Ottomeyer. "Wenn der Trauerprozess in Idealisierung stecken bleibt, kann es nicht zu einem Abschiednehmen und einer Realisierung des Verlusts kommen. Der Verstorbene wird als eigentlich immer noch anwesend phantasiert. Freud spricht hier von einer halluzinatorischen Wunschpsychose". Dies hätte sich bei der Landtagswahl Anfang März gezeigt, als die Wähler weniger das BZÖ als vielmehr den verstorbenen Landeshauptmann wählten.

"In Kärnten kommt es erst langsam zu einem Hinsehen auf die Schattenseiten", sagt Ottomeyer. So werde etwa in Leserbriefen aber auch der Berichterstattung in der "Kleinen Zeitung" (auflagenstärkstes Blatt in Kärnten) vermehrt ausgesprochen, "welchen Scherbenhaufen der Haider in Kärnten hinterlassen hat - auch finanziell". Hatte man bisher die Schuld am Kärntner Schuldenberg "den Politikern" gegeben, werde jetzt immer deutlicher gesagt, wer das zu verantworten hat. "Haider war schließlich Landeshauptmann und Finanzreferent", sagt Ottomeyer.

"Allerdings wird die Idealisierung von der BZÖ-Spitze immer noch systematisch gepflegt", so der Sozialpsychologe, "sie gehen davon aus, alles in seinem Sinne zu machen, würden ihn nie kritisieren oder von seinem Weg abweichen." Zu Haiders Erbe gehörten auch so "fragwürdige Sachen" wie die Aversion gegen zweisprachige Ortstafeln, "das Sich-lustig-machen über den Verfassungsgerichtshof" oder auch die Sonderanstalt für vermeintlich straffällige Asylwerber auf der Saualm. "Da sagen sie: Das war sein Wille, das hat er so gewollt, das machen wir."

Zu Haiders Erbe gehört auch ein gewaltiges Loch in den Kärntner Finanzen. "Dafür müssen sie jetzt die Rechnung zahlen", so Ottomeyer. So wird etwa die Sozialhilfe massiv gekürzt, für kinderreiche Familien auf maximal 1300 Euro. Die Begründung von Sozialreferent Christian Ragger (BZÖ): "Ein dreifacher Vater, der 2000 Euro netto kriegt, hat kein Interesse mehr, arbeiten zu gehen." Vor allem bei Ausländern werde massiv gekürzt - "ohne gesetzliche Grundlage", was wiederum der Linie Haiders entspricht, wie Ottomeyer sagt. Auch der Heizkostenzuschuss wird gesenkt. "Das alles ist die Konsequenz daraus, dass Haider als Kärntner Robin Hood das Geld großzügigst ausgegeben hat", erklärt Ottomeyer.

Von ÖVP und SPÖ kommt kaum Kritik. Die ÖVP sei als Koalitionspartner ohnehin eingebunden, während die SPÖ dem BZÖ in die Pietätsfalle gegangen sei, sagt Ottomeyer: "Sie wollten bald nach Haiders Tod die Budgetsituation klären, da hieß es: Das könnt ihr nicht machen, das ist pietätlos." Die SPÖ hat sich daran gehalten.

Haiders Erben führen dessen Politik des Sich-über-die-Regeln-hinwegsetzens fort. "Diese Tendenz, dass Politiker Gesetze brechen können, ohne dass ihnen etwas passiert, ist etwas sehr österreichisches. Man bedenke nur die verloren gegangene Anzeige gegen Ex-Innenminister Ernst Strasser. So exotisch sind die Kärntner also nicht. Aber Kärnten war vielleicht so etwas wie ein Vorreiter der Verwahrlosung in der politischen und Rechtskultur", sagt Ottomeyer.

"Wir haben in mehreren Ländern Westeuropas die Tendenz zum Cäsarismus, also dass sich politische Führer über das Recht hinwegsetzen und versuchen, autoritär zu regieren und - wenn möglich - die Medien zu kontrollieren." Gemeint sind damit etwa Silvio Berlusconi in Italien und Nicolas Sarkozy in Frankreich - "die regieren wie an einem Fürstenhof." Dieses System habe in Kärnten Haider überlebt, sagt Ottomeyer. "Der Kärntner ORF ist reinste Hofberichterstattung."

Gibt es eine Chance, dass Kärnten zu Normalität zurückfindet? Ottomeyer glaubt ja: "Der Ausnahmezustand hat langsam ein Ende." Dies zeige sich etwa in der Absage des Ulrichsbergtreffens. "Das sah aus wie ein Lernprozess." Gleichzeitig gebe es aber eben auch jene Zeichen, die in die andere Richtung weisen, also auf eine Fortsetzung des Haider-Kurses.

Zur Person

Der in Frankfurt am Main geborene Klaus Ottomeyer ist Leiter der Abteilung für Sozialpsychologie, Ethnopsychoanalyse und Psychotraumatologie an der Universität Klagenfurt. Als Psychologe hat er sich intensiv und kritisch mit dem Phänomen Jörg Haider beschäftigt, zuletzt in seinem Buch "Jörg Haider - Mythenbildung und Erbschaft", Drava-Verlag, Klagenfurt 2009.