350.000 Österreicher trinken krankhaft zu viel.
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Wien. Sind Sie weiblich und trinken täglich einen halben Liter Wein? Oder ein Mann, der sich regelmäßig eineinhalb Liter Bier genehmigt? Dann haben Sie die kritische Grenze bereits überschritten, gelten als alkoholgefährdet - und laufen Gefahr, alkoholkrank zu werden. Fünf Prozent der Österreicher über 15 Jahren sind derzeit davon betroffen, das sind rund 350.000 Menschen.
Abseits des persönlichen Schicksals jedes Einzelnen bringt Alkoholismus auch enorme volkswirtschaftliche Kosten mit sich: Knapp 740 Millionen sind es jährlich, die Alkoholkranke den Staat kosten, wie eine am Donnerstag präsentierte IHS-Studie ergeben hat. In diese Summe sind sowohl die direkten medizinischen Kosten von rund 374 Millionen Euro (1,4 Prozent der Gesamt-Gesundheitskosten), als auch Sozialleistungen (41 Millionen) sowie Produktivitätsausfälle (442 Millionen) miteinberechnet. Die Bier- und Alkoholsteuer von 119 Millionen Euro wurde als "Nutzen" des Alkoholkonsums abgezogen.
Weinland, Heurigenland
"Wir müssen davon ausgehen, dass diese Zahlen wesentlich höher sind", meint dazu der Leiter des Anton-Proksch-Instituts, Psychiater Michael Musalek. Seine Schlussfolgerungen: Alkoholkonsum darf nicht länger bagatellisiert und Präventionsmaßahmen müssen verschärft werden.
In Österreich als Weinland mit Heurigen-Tradition ist das freilich nicht ganz so einfach. Immerhin liegt es im internationalen Vergleich beim Pro-Kopf-Alkoholkonsum der Bevölkerung über 15 Jahren von 13 Litern Alkohol jährlich im Spitzenfeld. Nur in Portugal und Frankreich trinkt man laut OECD-Studie mehr.
"Bei uns gilt es als ,fesch‘, zu trinken - wer viel verträgt, ist hoch angesehen", sagt Musalek. Alkohol sei zudem leicht und rund um die Uhr erhältlich. Auch mit dem Alkoholverbot für unter 16-Jährige nehme man es nicht immer so genau. Vielleicht mit ein Grund, warum hier bereits 11- bis 13-Jährige zu trinken beginnen. Vor 20 Jahren lag die Grenze noch bei 15 bis 16 Jahren, so Musalek. Der Anteil der alkoholkranken Frauen steige ebenfalls, das Verhältnis zu den Männern liege bereits bei 1 zu 3,5 - insgesamt nehme die Zahl der Alkoholkranken also nicht ab, sondern zu.
Suchtprävention
Für Musalek ein eindeutiges Signal, das nach Maßnahmen schreit. "Aufklärung muss bereits im Kindesalter beginnen", sagt er und fordert zudem bessere Möglichkeiten zur Reintegration ins Berufsleben. Auch Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer Österreich ortet Handlungsbedarf: Bis zur 6. Woche tragen Dienstgeber Krankenstandkosten - wie durch die Alkoholkrankheit eines Mitarbeiters - allein, bis zur 10. Woche zu 50 Prozent.
Die Volksgesundheit steht zwar auch im Fokus der Gesundheitsreform, wodurch etwaige Projekte leichter möglich werden könnten - doch wie steht es um die derzeitige Situation? "Über den Sommer wird eine nationale Suchtprävention-Strategie erarbeitet, in der ein großes Kapitel dem Alkohol gewidmet ist", heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Vor allem die Jugendprävention solle vereinheitlicht werden. Bereits jetzt würden Projekte zur betrieblichen Gesundheitsförderung unterstützt - viele davon hätten Alkoholprobleme im Fokus.
Erkennt man die Krankheit früh genug, ist sie laut Musalek gut behandelbar. Etwa 75 Prozent bleiben abstinent, wenn sie sich regelmäßig behandeln lassen. Tun sie das nicht, sind es nur 10 bis 15 Prozent.