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Der "keltische Tiger" bereitet der EU keine wirkliche Freude

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Irland hat den neuen EU-Vertrag von Nizza - vorerst - abgelehnt, wenngleich nur etwas mehr als 30 Prozent der 2,9 Millionen Stimmberechtigten vergangene Woche zu den Urnen gingen. Das Votum ist eindeutig: Der Vertrag von Nizza kann nur in Kraft treten, wenn ihn alle 15 Mitgliedstaaten abgesegnet haben werden. Erst dann ist der Weg frei für die geplante Erweiterung der Union. Der Kompromisstext war mühsam zu Stande gekommen und müsste nun allenfalls nachverhandelt werden. Keineswegs verzögern soll sich die Osterweiterung durch die Entscheidung der Iren, so die EU.


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Eine gemähte Wiese ist die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten bei weitem noch nicht, das hat die "grüne Insel" der Union signalisiert. Doch der negative Ausgang der Volksabstimmung hat nicht primär nur mit der möglicherweise unerwünschten Aufnahme osteuropäischer Länder zu tun.

Die auf Grund ihres wirtschaftlichen Aufschwungs "keltischer Tiger" genannte Republik Irland hat ihre Wirtschaftsdaten in den vergangenen Jahren auch dank kräftiger Finanzspritzen der EU verbessert. Eben diese Strukturförderungen könnten dem Inselstaat nach der Aufnahme ärmerer Länder abhanden kommen. Zudem führten die irischen Gegner von Nizza vor dem Referendum die Neutralität des Landes ins Treffen. Die EU plant den Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe von 60.000 Mann. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs ebenfalls in Nizza geeinigt. Im Vertrag ist die Eingreiftruppe aber nicht festgeschrieben. In Irland argumentierten die Nizza-Kritiker - Republikaner und Katholische Pazifisten ebenso wie die Grünen und überzeugte Euroskeptiker, die Neutralität würde über die Hintertür abgeschafft, das Land könnte zur Teilnahme an der Krisentruppe gezwungen werden.

Premierminister Bertie Ahern hatte mit Unterstützung der beiden wichtigsten Oppositionsparteien zur Zustimmung zu Nizza aufgerufen. Doch sein eigener Wahlkreis erteilte ihm eine Abfuhr.

Ist nun der europäische Einigungsprozess gefährdet? Nizza ist nicht tot, der Vertrag könnte aber nachverhandelt werden. In EU-Kreisen hieß es, der Vertrag solle nicht aufgeschnürt werden. Irland strebe keine Neuverhandlungen des Nizza-Vertrages an, erklärte ein Regierungsvertreter. Statt dessen werde es nach Klärung mit der EU-Kommission eher eine zweite Volksabstimmung geben.

Irland habe die Absicht, das Vertragswerk zu ratifizieren. Dies müsse über das Referendum laufen; daher könne eine zweite Abstimmung nötig sein. Bereits 1992 wurde in Dänemark der Vertrag von Maastricht abgelehnt, beim zweiten Referendum 1993 aber angenommen.

Irland ist das einzige EU-Mitgliedsland, in dem die Ratifizierung des Nizza-Vertrages per Volksabstimmung erfolgen muss. In den anderen 14 EU-Staaten entscheiden die Parlamente über die Ratifizierung, was als Formsache gilt. Bis Anfang 2003 haben die Mitgliedstaaten für die Ratifizierung Zeit. Frühestens Ende 2002 dürften die ersten Beitrittswerber ihre Verhandlungen mit der EU abgeschlossen haben. Ab 2004 oder 2005 könnten dann die ersten neuen Länder aufgenommen werden.

Vor einem möglichen zweiten Referendum könnte Irland aber auch noch über Ausnahmen verhandeln. Den Dänen ist es 1992 gelungen, den EU-Partnern Sonderreglungen abzuringen: Sie beteiligen sich weder an der Währungsunion noch an der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik, eine europäische Staatsbürgerschaft müssen sie nicht anerkennen, und sie dürfen in der Umwelt- und Sozialpolitik über die EU-Vorschriften hinausgehen. Im Gegensatz zu den euroskeptischen Dänen waren in Irland bisher alle EU-Volksabstimmungen positiv verlaufen.

Das negative Votum der Iren könne die EU-Osterweiterung jedenfalls nicht stoppen, erklärte Erweiterungskommissar Günter Verheugen in einer ersten Reaktion. Die EU werde im selben Tempo und mit derselben Qualität daran weiterarbeiten. Das Ergebnis des Referendums könne "das wichtigste und größte Projekt für die politische und wirtschaftliche Zukunft eines geeinten Europas nicht blockieren", so Verheugen.