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Der Knaller kam am Schluss

Von Katharina Schmidt

Politik

Am Abend des zweiten Verhandlungstages des VfGH überraschte ein Zeuge mit einer Beichte.


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Wien. Und dann war da der Satz, der alle im Saal die Köpfe heben ließ. Am Ende eines langen Verhandlungstags über die von der FPÖ angestrengte Anfechtung der Bundespräsidentenstichwahl am 22. Mai war Freistadt der letzte Bezirk, aus dem am Dienstag Zeugen geladen waren. Die Luft war schlecht, die Reihen der Zuhörer und Journalisten ausgedünnt.<p>Und dann war da dieser Satz: "Ich möchte meiner ursprünglichen Aussage noch hinzufügen, dass die Wahlkarten zu diesem Zeitpunkt schon ausgezählt waren", sagte der FPÖ-Wahlbeisitzer aus der oberösterreichischen Gemeinde. Den ganzen Tag über hatte man gehört, dass Wahlkarten vor dem gesetzlich vorgesehenen Auszählungstermin am Montag nach der Wahl um 9 Uhr aufgeschlitzt und vorsortiert wurden. Auch der FPÖ-Wahlbeisitzer hatte in seiner eidesstattlichen Erklärung, die eine der Grundlagen für die Wahlanfechtung der Freiheitlichen ist, zunächst nur angegeben, dass die Wahlkarten schon vorbereitet waren.<p>Was ist passiert? Der Bezirkswahlleiter Bernhard K., der ein bisschen Licht in die Sache hätte bringen können, war der erste in dem bisher zweitägigen Verhandlungsmarathon, der sich der Aussage entschlug – unter Verweis auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen für sich selbst. Denn wie berichtet ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft wegen Amtsmissbrauchs und falscher Beurkundung im Amt in allen von der Wahlanfechtung betroffenen Bezirkswahlbehörden.

<p>Erst die Befragung zweier weiterer Beisitzer von SPÖ und Grünen machte das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten in Freistadt deutlich: Noch am Tag der Stichwahl wurden die Vertreter der Bezirkswahlbehörde zu einer Sitzung gerufen. Um 17 Uhr traf man zusammen, da waren die Überkuverts der Wahlkarten laut Zeugen schon aufgeschlitzt. Dann zählten offenbar zwei der Beisitzer gemeinsam mit K. und Vertretern der Bezirkshauptmannschaft die Wahlkarten aus. Um etwa 21.30 Uhr war man fertig und "beschloss" das Wahlergebnis – obwohl dafür mindestens die Hälfte der Beisitzer hätte anwesend sein müssen. Um das zu legitimieren, wurde Montagfrüh eine reguläre Sitzung der Bezirkswahlbehörde abgehalten, in der alle Anwesenden unterschrieben, dass bis 12 Uhr ausgezählt wurde, obwohl die Sitzung angesichts der bereits erledigten Arbeit schon um 9.30 Uhr beendet war. Die Wahlkarten wurden in Freistadt also nicht nur zu früh aufgeschlitzt, sondern auch zu früh und in der falschen Besetzung ausgezählt. Und auch hier wieder sagte der Grünen-Beisitzer, er wisse erst jetzt, dass das rechtlich nicht in Ordnung war. Und immerhin: "Sonst habe ich keine Unregelmäßigkeiten wahrgenommen."<p>Schon zuvor war deutlich geworden, wie sehr eine explosive Mischung aus Unkenntnis, Desinteresse, Pragmatismus und sozialem Druck in Österreich schon seit Jahren gelebte Praxis sein dürfte. So war offenbar die Bezirkswahlbehörde Wien-Umgebung mit den knapp 11.000 Wahlkarten, die es dort auszuzählen galt, überfordert. Als Andrea Kaiser, FPÖ-Stadträtin in Schwechat und Beisitzerin in der Bezirkswahlbehörde, Montagfrüh bei der Bezirkswahlbehörde eintraf, waren die Überkuverts, in denen die Stimmzettel bei der Briefwahl stecken, bereits geöffnet worden, obwohl das Gesetz eine Öffnung eben erst ab 9 Uhr am Tag nach der Wahl vorsieht. Außerdem hatte jemand bereits die ungültigen Stimmen – zum Beispiel, weil eine Unterschrift unter die eidesstattliche Erklärung auf den Wahlkarten fehlte – von den gültigen getrennt. Der stellvertretende Wahlleiter Markus G. habe auf ihre Nachfrage gemeint: "Sie können schon sicher sein, dass das gesetzeskonform ist." Er argumentierte mit der Zeit: Der Bezirkswahlleiter habe keinen Rüffel aus Wien kassieren wollen, wenn die Ergebnisse erst spät gemeldet werden.<p>Wien-Umgebung: Mittagessen<p>Beisitzerin Kaiser war die Einzige, die von der Möglichkeit Gebrauch machte, die aussortierten ungültigen Wahlkarten-Kuverts stichprobenartig zu überprüfen. Sie bemängelte, dass durch diese Praxis der "Manipulation Tür und Tor geöffnet" wurde.<p>Doch dem nicht genug. Nach der ersten Auszählung der Stimmen fehlten in Wien-Umgebung zehn bis elf Stimmzettel. Man zählte noch einmal, dann waren es noch sechs oder sieben. Dann noch einmal, dann waren es noch drei. Dann noch einmal, dann waren es wieder drei. Und dann kam man, so G., zur Einsicht, dass das ja immerhin schlüssig sei. Ganz nach dem Motto: Wenn zwei Mal hintereinander drei Stimmzettel fehlen, dann wird es wohl so sein.<p>Weil die geleerten Kuverts zur besseren Übersichtlichkeit auf den Boden geworfen wurden, dachte man sich, dass es sich wahrscheinlich bei den drei fehlenden Stimmzetteln um leere Kuverts (also Weißwähler) gehandelt hatte, die unbedacht zu den anderen auf den Boden geworfen wurden, ohne das zu protokollieren. Also wurden die Stimmzettel als ungültig gewertet. Nur Kaiser war dagegen – sie wollte noch einmal auszählen und vermerkte das auch auf einem Zusatzblatt zum Protokoll. Das Protokoll unterschrieb sie trotzdem.<p>Verfassungsrichter Johannes Schnizer fragte den stellvertretenden Wahlleiter erstaunt: "Aber die Alternative wäre doch gewesen, die auf dem Boden liegenden Kuverts noch einmal zu kontrollieren?" "Ja", gab G. zu. Schnizer: "Und da hat man lieber Mittagspause gemacht?" "Ja, wir waren alle schon fix und foxi", sagte G. So musste die Bezirkswahlbehörde Wien-Umgebung immerhin keine Angst haben, dass sie das Ergebnis zu spät nach Wien meldet: Um 13.35 Uhr war man fertig. Pünktlich zur Mittagspause.<p>Landeck, das Mysterium<p>Ein ganz anderes Bild bot sich in der Wahlbehörde Landeck in Tirol. Die Anfechtung der FPÖ gründet sich dort auf eine Erklärung des FPÖ-Wahlbeisitzers, dass die Wahlkarten bereits geöffnet waren, als er am Montag um 9 Uhr in der Wahlbehörde erschien. Doch die Zeugen, die am Dienstag geladen waren, gaben übereinstimmend an, dass der FPÖ-Beisitzer erst zu Mittag erschienen sei.<p>Die Wahlbeisitzer und der stellvertretende Bezirkswahlleiter wurden mehrfach befragt und erklärten, dass die Wahlkarten regelkonform erst in der Sitzung der Bezirkswahlbehörde am Montagvormittag geöffnet wurden. Offen bleibt dennoch, wie es zur angeblichen Erklärung des FPÖ-Beisitzers gekommen ist, die der Rechtsvertreter der FPÖ, Dieter Böhmdorfer, in seiner Wahlanfechtung als Beweis anführt.<p>Die Verfassungsrichter stellten fest, dass die Unterschriften des Mannes auf dem Protokoll der Bezirkswahlbehörde und dem Beweismittel unterschiedlich seien, konnten ihn aber nicht befragen, weil er anscheinend aufgrund eines Urlaubs nicht geladen werden konnte. Noch mysteriöser: Der "Standard" zitierte einen Bericht der "Rundschau Landeck", in dem "ein FPÖ-Beisitzer" den vorbildlichen Ablauf der Wahl gelobt haben soll.<p>Hermagor: Frage nach Warum<p>Ein typisches Beispiel für eine unklare Interpretation des Bundespräsidentenwahlgesetzes lieferte die Befragung des Wahlleiters aus Hermagor, Heinz P. In dem Kärntner Bezirk wurden die Wahlkarten ebenfalls schon am Wahlabend geöffnet – und zwar ohne, dass ein Vertreter der Bezirkswahlbehörde dabei gewesen wäre. Er sei der Meinung gewesen – und es klang so, als sei der das bis heute –, dass dieses Vorgehen vom Gesetz noch gedeckt sei, meinte P., deswegen habe die Bezirkswahlbehörde auch schon 2013 einen Beschluss gefasst, der solche "Vorarbeiten" am Wahlabend erlaubt. Eine knappe Stunde lang nahmen die Richter den Bezirkshauptmann in die Mangel und ließen P. ihren Unmut deutlich spüren. VfGH-Präsident Holzinger: "Ich muss Ihnen jetzt einmal eine Frage stellen, die mir den ganzen Tag durch Kopf geht: Warum machen Sie das?"<p>P. antwortete, er habe den Beisitzern die Auszählung der Stimmen am Montag erleichtern wollen. Der Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, Robert Stein, sagte, er teile die Rechtsauffassung des Bezirkshauptmanns "in keinster Weise". Zumal es im Bezirk Hermagor nur 1700 Briefwahlkarten gegeben habe. "Es gibt mehrere Fälle von solchen Schlampereien und Rechtswidrigkeiten, aber zahlreiche andere Bezirke zeigen, dass man dieses Gesetz tadellos vollziehen kann", sagte Stein. P. konterte: Schlampig sei sein Vorgehen nicht gewesen, immerhin habe man alles genau dokumentiert.<p>Am Nachmittag ging es auch noch um die Bezirke Wolfsberg und Hollabrunn, wobei die Richter vor allem in Hollabrunn kaum Grund für Beanstandungen haben werden: Dort wurde laut dem FPÖ-Wahlbeisitzer zwar schon um 8.30 Uhr mit der Öffnung der Wahlkarten begonnen. Allerdings seien da die meisten Mitglieder der Wahlbehörde schon da gewesen. Auf die Frage von Richter Lienbacher, ob er Unregelmäßigkeiten festgestellt habe, meinte er: "Gar nichts." Das hört man immer wieder in diesem verrückten Verfahren, das viele Beobachter ratlos zurücklässt.