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Der Kolumbus des 20. Jahrhunderts

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Gerne verdrängt die westliche Welt, dass die Sowjetunion in Sachen Raumfahrt bis weit in die 1960er-Jahre führend war. Erst der Sputnik-Schock schreckte und weckte auch die USA auf.


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Am 4. Oktober 1957 hielt die Welt den Atem an. In den Abendstunden unserer Zeit hatte die Sowjetunion den ersten künstlichen Satelliten auf eine Umlaufbahn ins All geschickt. Das erste Lebewesen im All, die ersten Fotos von der Rückseite des Mondes, die erste Mond- und sogar Venuslandung - all dies konnte die Sowjetunion als Triumph ihrer Technik und als Überlegenheit ihres politischen Systems für sich buchen.

Doch der wahre Höhepunkt - ein Mensch befreit sich von den Fesseln der Schwerkraft - kam erst an einem Frühlingsmorgen des Jahres 1961. Juri Gagarin, ein 27-jähriger Pilot, der als Oberleutnant der Sowjetarmee in einem Jagdfliegerregiment diente, verließ als Erster in der Geschichte der Menschheit die Erde.

Natürlich hat sich die sowjetische Propaganda im Kalten Krieg dieser Heldensaga sofort bemächtigt, leider nicht nur im Dienste der Wahrheit. So blieb ein Teil des Raumfluges und der Rückkehr Gagarins ebenso im Dunkeln wie der frühe Unfalltod des Kosmonauten, ausgerechnet bei einem Flugzeugabsturz.

"Niemand hat dabei mehr gelogen, getrickst, verschwiegen und gefälscht als die damalige Sowjetführung", sagt einer, der Licht in dieses Dunkel gebracht hat. Der Berliner Gerhard Kowalski, 69, Gagarin-Biograf und Raumfahrtspezialist, hat sich mit Leidenschaft, Akribie und Hartnäckigkeit dem Leben dieses "Helden der Sowjetunion" gewidmet, hat mehrmals Reisen nach Baikonur, der russischen Raumfahrtexklave in Kasachstan, oder ins Sternenstädtchen bei Moskau unternommen, hat in geheimen Archiven Dokumente und Bildmaterial aufgestöbert und in Korrespondenzen mit Angehörigen und Weggefährten Gagarins bisher unzugängliche Informationen gesammelt.

"Ich diente gerade bei der Nationalen Volksarmee, als der junge Bauernsohn Gagarin seine mutige Reise antrat und damit der Menschheit den Weg ins All gewiesen hat." Er sei, wie fast alle seiner Generation, von der Raumfahrt begeistert gewesen und fasste schon damals den Beschluss, "alles beizutragen, damit dieser Mann niemals vergessen wird".

Heuer, am 12. April, jährt sich Gagarins 108-minütiger Ausflug ins Weltall zum fünfzigsten Mal. Seit dieser Zeit hat Kowalski ein gewaltiges Kompendium an Fakten und Hintergründen zusammengetragen, das in seinem Buch "Die Gagarin-Story" nachzulesen ist. (www.gerhardkowalski.com)

Kowalski erklärt mir etwa die "Landelüge". Bewusst sei der Öffentlichkeit suggeriert worden, Gagarin sei in seinem Raumschiff gelandet. In Wahrheit landete er mit dem Fallschirm auf einem Sturzacker hunderte Meilen vom vorgesehenen Landungsort entfernt. Die ersten Menschen, denen Gagarin begegnete, waren eine Bäuerin und deren Enkelin, während die Bergungsmannschaften woanders warteten.

Zudem wurden alle Probleme, die bei dem Flug auftraten, verschwiegen - von dem defekten Sensor an der Einstiegsluke über den Verlust seines Bleistifts, der in der Schwerelosigkeit entschwebte, so dass der Kosmonaut keine Aufzeichnungen mehr machen konnte, die volle Tonbandspule und die verzögerte Abtrennung der Gerätesektion von der Landekapsel, was um ein Haar fatale Folgen gehabt hätte.

Kowalski: "Je mehr man sich diese Umstände bewusst macht, desto größer erscheint die Leistung des jungen Kosmonauten. Auch ohne jegliche ideologische Verbrämung ist die Bezeichnung Kolumbus des 20. Jahrhunderts durchaus berechtigt."

Markus Kauffmann, seit 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.