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Der Kompromiss ist nicht genug

Von Elisabeth Rech*

Wirtschaft

Jahrzehntelang wurde diskutiert. Jetzt ist es endlich so weit. Das Strafprozessreformgesetz befindet sich in der Zielgeraden. Es soll noch dieses Jahr beschlossen werden. Und das ist gut so. Denn eine Verrechtlichung des Verfahrens vor den Sicherheitsbehörden, eine Stärkung der Verteidigung und der Rechte der Geschädigten, alles deklarierte Ziele dieser Reform, sind schon längst überfällig. Nur - die Reform hält nicht, was sie verspricht. Sie lebt vom Kompromiss.


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Eine Stärkung der Verteidigungsrechte setzt einen Verteidiger von Beginn des Verfahrens an voraus, und damitauch bei Vernehmungen durch Sicherheitsbehörden. Und was geschieht? Man schreckt sich vor der eigenen Courage. Denn das Recht wird zwar grundsätzlich gewährt, gleichzeitig jedoch den Sicherheitsbehörden Tür und Tor geöffnet, es sofort wieder zu nehmen. Und sollte tatsächlich ein Verteidiger bei der Vernehmung dabei sein, hat er gefälligst nicht zu stören und ruhig zu sein. Eine Stärkung der Verteidigungsrechte? Wohl kaum.

Eine Stärkung der Verteidigungsrechte setzt effektiven Rechtsschutz voraus. Was plant die Reform? Sie billigt zwar dem Verdächtigen ein Rechtsmittel zu, die Wochen später gefällte Entscheidung ändert jedoch nichts an der gesetzwidrigen Maßnahme. Sie macht sie nicht ungeschehen. Wurde also der Verteidiger von der Vernehmung rechtswidrig ausgeschlossen, kann das darüber aufgenommene Protokoll dennoch in der Hauptverhandlung verwendet werden. Vor Nichtigkeitssanktionen ist man zurückgeschreckt, nach dem Motto: Zwei Schritte vor, einer zurück. Effektiver Rechtsschutz? Wohl kaum.

Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Sind sie es wirklich? Was die Stärkung der Verteidigungsrechte anlangt, ist das höchst fraglich. Denn die Reform macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, wie diese Rechte von Menschen beansprucht werden sollen, die keine finanziellen Mittel haben, einen Verteidiger zu beauftragen. Im Verfahren vor Gericht gibt es die Verfahrenshilfe, vor den Sicherheitsbehörden, dem sensibelsten Teil des Strafverfahrens, gibt es nichts. Damit wird klar: Kein Geld, keine Stärkung der Verteidigungsrechte.

Ist man wenigstens bei den Geschädigten ohne Kompromiss ausgekommen? Ziel der Reform ist es, bereits im Strafverfahren eine Entscheidung über die Schadenersatzansprüche des Geschädigten zu erreichen. Damit könnten sich Opfer weitere Prozesse und damit Zeit, Nerven und Geld ersparen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Ansprüche bereits im Strafverfahren so aufbereitet werden, dass eine Entscheidung darüber überhaupt möglich ist. Und dazu bedarf es der Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Und was macht die Reform? Sie teilt die Geschädigten in zwei Klassen, und billigt nur einer - ohne Rücksicht auf die juristische Komplexität des Falles - Verfahrenshilfe zu. Ein Kompromiss, wie er im Buche steht.

Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Es entscheidet sich jetzt, wie der Strafprozess in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird. Mut zu einer wahren Reform ist auf den letzten Metern gefragt. Denn ein Kompromiss ist nicht genug.