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"Der Kongo ist ein besetztes Land"

Von Teresa Reiter

Politik

Für den Politologen Jean-Pierre Mbelu sind Kongos politische Führer Marionetten.


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Wien. Der Politologe und Priester Jean-Pierre Mbelu hält etwas für möglich, an das viele Menschen bereits den Glauben verloren haben: Frieden in seiner Heimat, der DR Kongo. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Mbelu in Wien, wo er sich auf Einladung des VIDC, des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation,aufhielt.

"Wiener Zeitung": Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Landes?

Jean-Pierre Mbelu: Es gibt ein großes Paradox. Einerseits gibt es zumindest auf lange Sicht große Chancen darauf, dass die Kongolesen sich zusammentun, um wieder selbst Herr ihrer eigenen Zukunft und ihres Landes zu werden. Der Weg dahin ist jedoch noch lang, da im Kongo große multinationale Konzerne an der Macht sind, die nur den Reichtum des Landes vor Augen haben und auf einer neoliberalen Basis arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass sie dafür bereit sind, Leben einfach zu vernichten. "Sie" - damit meine ich Akteure, die aus dem Hintergrund agieren. Man sieht sie nicht. Das ist das Komplexe an der Situation im Kongo.

Sind die Bodenschätze des Kongo mehr Fluch als Segen?

Ich würde sie nicht als Fluch bezeichnen. Sie sind eher ein Segen, denn in Wirklichkeit könnten sie sowohl für die Kongolesen als auch für alle anderen, die daran Interesse haben, profitabel sein. Die Bedingung dafür wäre natürlich, dass der Handel durch legitime und ordentliche Wege geht. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Es gibt viele Mittler, die daran mitverdienen. Das sollte man abschaffen. Ideal wäre es natürlich, eine ordentliche Regierung zu haben, die den Handel mit diesen multinationalen Konzernen abwickelt, aber dafür müssten wir erst einmal einen richtigen demokratischen Staat etablieren. Um das zu erreichen, braucht der Kongo eben Hilfe.



Wie kann man ein funktionierendes Justizsystem im Kongo auf die Beine stellen, damit die Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ein Ende hat?

Es gibt natürlich eine Verantwortung, die der Kongo selbst trägt. Die Kongolesen selbst müssen erst einmal verstehen, dass sie sich engagieren sollten, dass Aktivismus dem Land dient und dass ihre Staatsangehörigkeit mit gewissen Pflichten verbunden ist. Anders gesagt, die Leute im Land müssen Druck auf all diese Proxy-Akteure ausüben, damit diese verstehen, dass sie nicht einfach tun können, was sie wollen, und ein Interesse daran haben sollten, den Kongolesen mehr Gerechtigkeit zu bringen.



Wie effizient ist die UNO-Mission im Kongo in dieser Hinsicht?

Die Rolle der UNO ist sehr fraglich, denn sie ist eigentlich ein Organismus, der von den Gewinnern des Zweiten Weltkriegs geführt wird. Das Problem ist, dass viele der Akteure, die am Chaos im Kongo mitwirken, zu genau diesen Ländern gehören. Wenn wir eine Synergie zwischen den Leuten im Kongo und der Diaspora etablieren könnten, die Druck auf diese Großmächte ausübt, dann haben wir Chancen, das Land zu sehen, das wir uns alle wünschen: einen gerechten und demokratischen Staat. Die kongolesischen Aktivisten, die Progressisten sollten ihren Kampf internationalisieren.

Würde es nicht eine sehr starke nationale Identität brauchen, um diesen Druck ausüben zu können? Der Kongo ist ein sehr großes und sehr heterogenes Land ...

Das Problem der nationalen Identität gibt es nicht. Wenn diese Frage sich wirklich stellen würde, würde der Kongo heute überhaupt nicht mehr existieren, er wäre längst implodiert. Man muss es (Ex-Diktator) Mobutu zugute halten, dass er während der 32 Jahre seiner Herrschaft diesen Identitätsgeist geprägt hat, der den Kongo heute noch zusammenhält.

Wenn Sie an die Menschen im Kongo denken, die tagtäglich im Chaos leben, glauben Sie, dass diese noch Hoffnung darauf haben, dass sie den Frieden im Kongo noch erleben werden?

Einige dieser Menschen haben noch Hoffnung. Natürlich sind es jene, die noch die richtigen Informationen haben, das sind nicht viele. Und jene, die über diesen Zugang verfügen, sollte man noch weiter unterstützen, damit richtige Informationen sich schneller unter der Bevölkerung verbreiten. Das würde diesen Identitätsgeist noch mehr stärken und die Menschen dazu bringen, dass sie den richtigen Weg einschlagen.

Was meinen Sie mit "richtige Informationen"?

Es ist wichtig zu wissen, wer die wahren Verantwortlichen des im Kongo herrschenden Chaos sind. Die Menschen müssen verstehen, wie diese Leute funktionieren und was sie tun, um ihre Machtposition zu sichern. Es ist wichtig, die verschiedenen Schwächen zu evaluieren und diese auch öffentlich zu machen, damit man daraus lernt und darüber nachdenken kann, wie man diese Punkte verbessern kann. Wie gesagt, die Kongolesen haben eine große Verantwortung, aber ich kann auch zwei dieser Strukturen, die den Kongo zerstören nennen: der Internationale Währungsfonds und die Weltbank.

Hat die kongolesische Regierung gar keine Verantwortung?

Eigentlich gibt es keine kongolesische Regierung. Im Grunde genommen hat dieser Krieg der im Kongo geführt wird schon in den 90er Jahren begonnen und das hat dazu geführt, dass wir heute so einen misslungenen Staat haben. In Wirklichkeit sind die, die man die kongolesische Regierung nennt, einfach nur Leute, die von anderen da hingestellt wurden und der Kongo ist ein Land, das sich nicht selbst beherrscht. Es ist ein besetztes Land und die UNO hat die Regentschaft darüber. Das ist eine der Schwierigkeiten. Eigentlich könnte der Kongo mit den richtigen Akteuren auf einer guten Basis wiederaufgebaut werden. Was aber passiert ist, ist, dass Institutionen von Kräften außerhalb des Landes gewissermaßen unterwandert und umgekrempelt werden. Die Leute, die heute im Kongo an der Macht sind, sind Marionetten.

Wie unterscheidet sich Ihr Kongo-Bild vom gängigen europäischen Bild von ihrem Land?

Es gibt da einen großen Unterschied. Viele Europäer verbleiben bei dem Kongo-Bild, das für den externen Konsum verkauft wird. Wir, die in Kontakt mit Leuten im Kongo stehen, sehen, wie diese Marionetten unser Land zugrunde richten und es zerstören. Der Kongo ist ein Sterbehaus in dem keine Justiz existiert und es keinen Respekt vor der Menschenwürde gibt.

D.R. Kongo

Zur Person

Jean-Pierre Mbelu

ist Priester der kongolesischen Erzdiözese Kananga, Kasai Occidental, und Mitglied der sozialpolitisch engagierten "Groupe Epiphanie", einer Gruppe kongolesischer Theologen in Belgien. Dort betreut er derzeit eine Pfarre in Nivelles. Mbelu ist zudem Politologe und studierte in Kinshasa Philosophie.

Die DR Kongo befindet sich seit Mitte der 90er Jahre im Bürgerkrieg, der trotz eines 2003 geschlossenen Friedensvertrags zwischen Regierung und Rebellen anhält und seit 1998 sechs Millionen Todesopfer forderte. Mit der Entdeckung des seltenen Erzes Koltan, das in Handys zu finden ist, wurde Kongo zunehmend zum Spielball wirtschaftlicher Akteure aus dem Ausland.