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Der Krampf um die Christie

Von Edwin Baumgartner

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Immer öfter wird die literaturgeschichtliche Wahrheit Opfer einer falsch verstandenen politischen Korrektheit. Vor mir liegt die

im Atlantik-Verlag erschienene "Jubiläumsausgabe" von Agatha Christies Krimi - ja, wie heißt er nun? Früher "Zehn kleine Negerlein", aber das N-Wort darf ja nicht mehr sein, also heißt das Buch jetzt "Und dann gab’s keines mehr". Soll sein, Titel fremdsprachiger Bücher wurden in der deutschen Übersetzung schon aus schlechteren Gründen geändert.

Eine echte Falschbehauptung steht dann freilich auf Seite 4. Als wolle man den originalen Titel vergessen machen, heißt es da: "Die Originalausgabe erschien unter dem Titel And Then There Were None bei Harper Collins, London". Tatsächlich erschien die Originalausgabe 1939 im Collins Crime Club unter dem Titel "Ten Little Niggers". "And Then There Were None" nannte 1940 der US-Verlag die amerikanische Ausgabe, um das in den USA bereits zum Schimpfwort gewordene "Nigger" zu vermeiden. Ab 1985 heißt das Buch auch in Großbritannien so.

Wirklich verstörend ist in der "Jubiläumsausgabe" aber die "Anmerkung der Verlags" auf Seite 5, in der Atlantik quasi um Nachsicht dafür bittet, dass man die Bezeichnung "Nigger Island" und das Wort "Negerlein" nicht ersetzen konnte, weil der Text sonst unverständlich geworden wäre.

Und wenn nicht? Dann hätte man glatt in einen abgeschlossenen und damit historisch gewordenen literarischen Text eingegriffen? Und als Nächstes übermalt man dann Rubens, Rembrandt und Rousseau, weil sie unsere heutigen Wertevorstellungen nicht vorausgeahnt haben?